Elektromobilität braucht eine gute Ladeinfrastruktur, das ist klar. Doch aus Sicht von VDA-Präsidentin und Cheflobbyistin Hildegard Müller geht es noch immer nicht schnell genug. Um die Ladenetz-Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu schaffen, müsse das Ausbautempo drastisch erhöht werden.
Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist ein wichtiger Bestandteil der Elektromobilität. Die Attraktivität von Elektroautos hängt aus Kundensicht von der Einfachheit der Nutzung ab – das Laden der Batterie stellt also einen entscheidenden Faktor dar. Hierbei geht es nicht nur um die Anzahl und Verteilung der Ladesäulen, sondern vor allem auch um die Benutzerfreundlichkeit. Entscheidend dafür sind auch ein ungehinderter Zugang, ein einheitliches, einfaches Bezahlsystem und die Ladedauer.
Im März 2023 wurde die Vereinbarung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) beschlossen. Die neue AFIR-Verordnung ist ein verbindliches Rechtsinstrument und verpflichtet alle EU-Länder, Ladestationsbetreiber (CPO) und E-Mobilitätsanbieter (EMSP) dazu, bei der Bereitstellung öffentlicher Ladestationen für Elektrofahrzeuge, für Pkw und schwere Nutzfahrzeuge spezifische Regeln zu befolgen. Die EU-Länder müssen bestimmte Ziele für die EV-Infrastruktur einhalten – zum Beispiel die Stromkapazität und eine reichweitenbasierte Abdeckung auf Hauptverkehrsstraßen und Autobahnen.
Die Zahl der Elektroautos wächst deutlich schneller als die der öffentlichen Ladesäulen
Europa muss über ein robustes Ladenetzwerk verfügen, das mit der Elektroauto-Nachfrage und den steigenden Zulassungszahlen Schritt halten kann. Und genau da liegt der sprichwörtliche Hund begraben: Die Zahl der Elektroautos in Deutschland wächst deutlich schneller als die der öffentlichen Ladesäulen. Schaut man sich die aktuellen Zulassungszahlen an, sieht man, dass im Juli 2023 knapp 49.000 Stromer zugelassen wurden – dies entspricht einem Anteil von 20 Prozent. Gegenüber dem Vorjahresmonat liegt die Steigerung damit bei knapp 70 Prozent.
Laut Verband der Automobilindustrie (VDA) seien in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten sogar durchschnittlich rund 68.000 Elektroautos pro Monat neu zugelassen worden, wie aus einer Pressemitteilung von April hervorgeht. So oder so stehe die steigende Zahl von Elektroautos auf unseren Straßen nicht im Verhältnis zur Geschwindigkeit des Ladenetz-Ausbaus, findet der VDA. Denn gleichzeitig würden etwa nur 540 neue öffentlich zugängliche Ladepunkte pro Woche entstehen, also rund 2300 pro Monat. Laut Bundesnetzagentur gab es zu Beginn des Jahres rund 80.000 von ihnen, jetzt dürften es ungefähr 90.000 sein. Dass diese Rechnung nicht aufgehen kann, dürfte spätestens jetzt auffallen.
Denn, um das Ziel von einer Million Ladepunkten im Jahr 2030, das auch die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich festgehalten hat, zu erreichen, wären viermal mehr Ladepunkte pro Woche nötig. Aktuell gibt es also nichtmal ein Zehntel der angestrebten Ladepunkt-Anzahl. „Die Ausbaugeschwindigkeit müsste also etwa vervierfacht werden, um das Ziel zu erreichen. Wird das aktuelle Ausbautempo nicht gesteigert, gäbe es in Deutschland im Jahr 2030 gerade einmal rund 310.000 Ladepunkte – also weniger als ein Drittel des angestrebten Ziels“, so der VDA.
Deutschland hat also weiterhin großen Nachholbedarf beim Ausbau der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur. Laut des Lobbyverbandes kommen aktuell 23 E-Pkw auf einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt, nicht viel mehr als noch vor zwei Jahren, als es 17 an der Zahl waren. Weiter geht aus dem Ladenetz-Ranking des VDA hervor, dass es in rund der Hälfte (46 Prozent) aller 10.773 Gemeinden in Deutschland zudem immer noch keinen einzigen öffentlichen Ladepunkt gibt.
Im Bereich der für den Erfolg der E-Mobilität besonders wichtigen Schnellladeinfrastruktur, die Ladepausen stark verkürzt, sei die Situation noch viel gravierender: In mehr als acht von zehn Gemeinden gäbe es nichtmal einen einzigen Schnellladepunkt mit mehr als 22 kW (laut Definition der Bundesnetzagentur). Außerdem sei eine Abnahme der zur Verfügung stehenden Ladeleistung pro Auto erkennbar: Waren es im Januar 2020 noch 3,5 kW, fiel die Zahl bis Januar dieses Jahres auf 1,3 kW. „Auch bei dieser Betrachtungsweise zeigt sich, dass der Ausbau der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur nicht mit dem Wachstum des E-Pkw-Bestand mithält“, erklärt der VDA.
Große Unterschiede in Bundesländern und Städten
Hildegard Müller, Präsidentin des VDA, findet deutliche Worte: „Auf Deutschlands Straßen gibt es erfreulicherweise immer mehr E-Fahrzeuge, circa 1,9 Millionen sind es schon heute und für das aktuelle Jahr erwarten wir, dass rund 765.000 E-Pkw neu zugelassen werden. Es ist wichtig, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur mit dieser Entwicklung Schritt hält, doch er hinkt nach wie vor hinterher. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist eine der drängendsten Infrastrukturaufgaben für Deutschland, wurde aber bisher zu sehr vernachlässigt“. Um die Ausbaugeschwindigkeit zu erhöhen, seien schnellere Planungs- und Genehmigungsprozesse zentral. Klar ist: Nur bei einer flächendeckenden und leistungsfähigen Ladeinfrastruktur steigen die Menschen auf die E-Mobilität um. „Nur mit ihr kann das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die E-Mobilität weiterwachsen“, so die VDA-Präsidentin.
Aus dem Ladenetz-Ranking des VDA, das den Ausbau der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur in Deutschlands Städten und Landkreisen analysiert, geht hervor, dass sich in Emden aktuell die wenigsten Elektroautos einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt teilen müssen: statistisch gesehen nämlich 5,9. Zum Vergleich: In Offenbach bei Frankfurt am Main sind es fast 117, was den letzten Platz bedeutet. Auch die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind groß: Im führenden Sachsen kommen 14,7 Elektroautos auf einen Ladepunkt, beim Schlusslicht Saarland 33,9 E-Pkw, mehr als doppelt so viele. Laut VDA sei Wolfsburg übrigens am attraktivsten für den Umstieg auf die Elektromobilität, da es hier am meisten Ladepunkte im Verhältnis zu allen zugelassenen Autos (inklusive Verbrenner) gibt. Auch hier liegt das hessische Offenbach auf dem letzten Platz.
Laut VDA-Statistik, die auf amtlichen Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes und der Bundesnetzagentur beruht, kommen in Deutschland durchschnittlich knapp 142 E-Pkw auf einen Schnellladepunkt. Die ersten vier Plätze belegen Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. In diesen Ländern teilen sich maximal 80 E-Pkw einen Schnellladepunkt, im letztplatzierten Saarland sind es mit gut 210 fast dreimal so viele. Der Ausbau der Ladepunkte sei das Eine, doch das Stromnetz das Andere. Hierbei fordert VDA-Präsidentin Müller einen umfassenden Ausbau: „Das Stromnetz hat eine wichtige Schlüsselrolle beim Erfolg der E-Mobilität, doch es gibt hier erheblichen Nachholbedarf. Die Stromnetze müssen jetzt beschleunigt und vorausschauend, also am künftigen Bedarf orientiert, ausgebaut werden. Wie im Koalitionsausschuss verständigt, muss der vorausschauende Ausbau der Stromnetze jetzt auch gesetzlich verankert werden.“ Es gibt also noch viel zu tun, um Elektroautos auch für Skeptiker attraktiv zu machen. Denn nach wie vor sind Reichweitenangst und Sorgen darüber, das Auto nicht laden zu können, die wohl größten Contra-Punkte für einen Umstieg auf die Elektromobilität.
Quellen: ADAC – Pkw-Neuzulassungen im Juli 2023: E-Autos legen deutlich zu / Chargepoint – Die neue Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) / Der Spiegel – Autoindustrie warnt vor Lücken im Ladenetz / VDA – Pressemitteilung vom 20.04.2023