Synthetischer Kautschuk ist heute unverzichtbar, insbesondere für Autoreifen und technische Gummiwaren. Die Rohstoffe für seine Herstellung werden bislang weitgehend aus fossilen Quellen gewonnen. Unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP erschließen nun vier Fraunhofer-Institute alternative, biobasierte Rohstoffquellen für Synthesekautschuk, die völlig neue Kautschuktypen für Autoreifen ermöglichen sollen. Das dreijährige Projekt wird durch Fraunhofer mit 3,25 Millionen Euro finanziert und startet in diesen Tagen.
Jährlich werden knapp 15 Millionen Tonnen Synthesekautschuk produziert – Tendenz steigend. Pkw-Reifen stellen dabei mit etwa 70 Prozent den Hauptmarkt für Synthesekautschuk dar. Die benötigten Ausgangsstoffe – die Monomere Butadien, Styrol und Isopren – werden aktuell fast ausschließlich auf Basis von Erdöl hergestellt. Mit der Erschöpfung fossiler Ressourcen und der dringenden Notwendigkeit, CO2-Emissionen in der Umwelt zu verringern, besteht weltweit für Kautschukproduzenten ein enormer Bedarf an nachhaltigen Alternativen.
Darüber hinaus ergeben sich aus dem gesamtgesellschaftlichen Ziel, die Mobilität nachhaltiger zu gestalten, etwa durch Elektroautos mit ihren vergleichsweise schweren Akkus im Unterboden, auch neue Anforderungen an Autoreifen. Diese erfordern fortgeschrittene Materialien sowie neue Design- und Fertigungstechnologien.
Nachhaltige Rohstoffe und innovative Polymerstrukturen
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, erschließt ein Team aus vier Fraunhofer-Instituten im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Biomonomere für Synthesekautschuke mit anwendungsbezogenen einstellbaren viskoelastischen Eigenschaften NaMoKau“ biobasierte Rohstoffquellen für Synthesekautschuk. Beteiligt sind die Fraunhofer-Institute für Angewandte Polymerforschung IAP, für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM und für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT.
„In dem Projekt stellen wir die Kautschuk-Monomere Butadien, Isopren und Dimethylbutadien aus biobasierten Alkoholen her“, erklärt Dr. Barbara Zeidler-Fandrich vom Fraunhofer UMSICHT. „Damit dieser Prozess funktionieren kann, ist es essenziell, einen möglichst aktiven und selektiven Katalysator einzusetzen. Dafür entwickeln wir neuartige Materialien auf der Basis von Tonmineralien.“
„Insbesondere die Herstellung von nachhaltigem Dimethylbutadien ist ein herausragendes Merkmal des Projekts, da dieses Monomer im technischen Maßstab bisher nicht verfügbar war und folglich nicht in der Kautschukproduktion verwendet wird“, ergänzt NaMoKau-Projektleiter Dr. Ulrich Wendler, Polymerexperte am Fraunhofer IAP. „Wir werden Dimethylbutadien für die Kautschuksynthese zugänglich machen. Kombiniert mit den Synthesebausteinen Butadien und Isopren werden wir neuartige Polymerstrukturen mit einzigartigen mechanischen und thermischen Eigenschaften synthetisieren. Auf diese Weise entstehen völlig neue biobasierte Kautschuktypen mit Materialeigenschaften, die bisher nicht realisierbar waren und äußerst systematisch eingestellt werden können“, wie Wendler in Aussicht stellt.
Auf dem Weg zu Autoreifen mit bisher unerreichten Eigenschaften
Eine der großen Herausforderungen bei der Entwicklung von Autoreifen besteht darin, einen idealen Ausgleich zwischen den drei Faktoren Rollwiderstand, Nassgriff und Abrieb zu finden. Zur Verbesserung dieser Parameter werden Füllstoffe, Verarbeitungshilfsmittel und andere Additive dem Kautschuk zugesetzt. Diese beeinflussen die Lauffläche des Autoreifens maßgeblich. „Unser Ziel ist es, auf Basis der Kautschuktypen, die wir im Projekt erforschen werden, neue Mischungen für Pkw-Laufflächen mit bisher nicht erreichbaren Eigenschaftsprofilen zu entwickeln. Das wird der Reifenindustrie neue Perspektiven eröffnen“, erklärt Professor Mario Beiner vom Fraunhofer IMWS.
Um die Markteinführung des Kautschuks so schnell wie möglich zu erreichen, sei der Einsatz digitaler Methoden im Materialdesign unverzichtbar – etwa um die Eigenschaften der komplexen Kautschukcomposite vorherzusagen. „Mittels datengestützter Simulationen machen wir möglichst zielgerichtete Vorschläge für Versuche zur Synthese und zur Materialcharakterisierung. Dafür entwickeln wir einen Softwareprototypen zur modellbasierten Vorhersage, Unsicherheitsbewertung und Versuchsplanung“, sagt Professor Michael Bortz vom Fraunhofer ITWM.
Schlussendlich soll aus den entwickelten Materialien ein vollständig testbarer Reifen-Demonstrator entstehen. „Die gesamte Wertschöpfungskette vom Monomer über das Polymer bis zum Kautschukcompound im Demonstrator wird mit einem Life Cycle Assessment begleitet. Durch diese systematische Analyse sind wir in der Lage, den ökologischen Fußabdruck ISO-konform zu ermitteln und zur Grünen Chemie beizutragen“, erläutert Dr. Markus Hiebel vom Fraunhofer UMSICHT.
Evolution des Synthesekautschuks schreitet voran
Mit dem Projekt NaMoKau wollen die Fraunhofer-Forschenden ihre Expertise im Bereich Synthesekautschuk konsequent weiter ausbauen: „In einem früheren institutsübergreifenden Fraunhofer-Projekt haben wir den biomimetischen Synthesekautschuk BISYKA entwickelt, der die herausragenden Abriebeigenschaften des Naturkautschuks sogar übersteigt. Das hier gewonnene Wissen im Bereich Synthese und Maßstabsübertragung ist äußerst hilfreich“, erläutert Wendler. Dank der Möglichkeiten im Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ können Kautschukproduktion und -compoundierung im industrienahen Maßstab durchgeführt werden – ein Pluspunkt für Industriekunden wie Reifenhersteller, ebenso wie für Erzeuger von technischen Gummiwaren oder Medizinprodukten.
„Während wir im Projekt BISYKA einen synthetischen Kautschuk mit möglichst wenig Abrieb entwickelt haben, adressieren wir mit NaMoKau die Ökobilanz von Synthesekautschuk. Dies stellt eine sinnvolle und bedeutsame Ergänzung dar, die perfekt zu den gegenwärtigen Bemühungen der Gesellschaft zur Reduzierung von CO2- und Mikroplastikemissionen passt. Auf diese Weise setzen wir die Entwicklung eines nachhaltigen Synthesekautschuks fort und treiben seine Evolution voran“, so Wendler.
Quelle: Fraunhofer-Institut UMSICHT – Pressemitteilung vom 03.04.2024