Bosch steckt – wie die gesamte Autoindustrie – mitten in einer Transformation hin zu nachhaltiger Mobilität. In einem Interview mit The Pioneer erklärte Bosch-CEO Stefan Hartung, wie der weltgrößte Autozulieferer diesen Kraftakt stemmen will, wie sich seiner Meinung nach die E-Mobilität entwickeln wird und wie sich die Zusammenarbeit mit chinesischen Autoherstellern von der mit deutschen Herstellern unterscheidet.
Zuletzt stockte der Hochlauf der Elektromobilität, bedingt durch unter anderem die generell verhaltene Wirtschaftslage sowie den plötzlich weggefallenen Umweltbonus in Deutschland. Auch die kaum enden wollenden Vorurteile gegenüber Elektroautos tragen ihren Teil zum schleppenden Absatz bei. Hartung sieht all dies als normale Entwicklung: „Die Elektromobilität ist im Grundsatz weiter ein Wachstumsmarkt. Nur dass sie natürlich nicht linear verläuft, sondern in Wellen“, erklärt er in dem Interview. Und bei einer Welle gehe es naturgemäß „mal rauf und mal runter“.
Der Bosch-CEO ist sich sicher, „dass wir einen weiteren Anstieg der Elektromobilität sehen werden. Nur, wie wir auch von Fahrzeugherstellern hören, wird der Hochlauf langsamer verlaufen, als bisher angenommen“. Hartung machte in dem Interview ein interessantes Rechenbeispiel auf: Selbst wenn die aktuellen Produktionsmengen von heute auf morgen auf 100 Prozent Elektroautos umgestellt werden würden, würde es bei gut 90 Millionen Neufahrzeugen pro Jahr und einem Bestand von global gut 1,4 Milliarden Fahrzeugen 16 Jahre dauern, bis sie alle elektrifiziert sind.
Da aber auch weiterhin Verbrennerfahrzeuge produziert werden und nicht alle Regionen der Welt für E-Autos geeignet sind, rechnet der Bosch-Chef mit mindestens 30 bis 35 Jahren, bis zumindest ein Großteil der Autos weltweit elektrifiziert ist. Und er geht auch davon aus, dass „ein Teil der Mobilität am Ende gar nicht elektrisch sein wird“. Dass Deutschland sein Zwischenziel von 15 Millionen Elektroautos bis 2030 erreichen kann, sei „sportlich“, aber möglich: „Die Industrie wird die 15 Millionen Fahrzeuge produzieren“, ist er sich sicher. Wo diese dann aber zugelassen werden, sei eine andere Frage: „Die könnten ja auch woanders hin verkauft werden, wenn es hier keine ausreichende Nachfrage gibt.“
Verbrenner-Verbot ab 2035 “ist keine unrealistische Zielstellung”
Das EU-weite Verbot von Verbrenner-Neuzulassungen ab 2035 verteidigt Hartung: „Das ist keine unrealistische Zielstellung“, stellt er klar. Das Vorgehen bedinge „lediglich, dass wir bis dahin wirklich alle überzeugt haben, ein vollelektrisches Fahrzeug zu kaufen“. Man dürfe auch die aktuelle Situation nicht mit der Zielstellung für 2035 vergleichen, derzeit etwa seien Elektroautos in manchen Preisregionen und Fahrzeugklassen noch nicht verfügbar – was sich in den elf Jahren bis 2035 aber noch maßgeblich ändern wird. Schon jetzt sei die Elektromobilität „für Fahrzeuge, die im Stadt- oder Umlandbetrieb betrieben werden, eindeutig die richtige Wahl“.
Auch das Argument, dass die Elektromobilität aufgrund der geringeren Komplexität im Vergleich zu Verbrennern Arbeitsplätze kostet, will der Bosch-Chef nicht pauschal gelten lassen. Zwar hat Bosch in den vergangenen Monaten den Abbau von tausenden Jobs kommuniziert, doch Hartung stellt klar: „Was wir aus Wettbewerbsgründen tun müssen, hat mit dem Übergang hin zur batterieelektrischen Technologie nur teilweise zu tun“. Außerdem baue Bosch die Stellen so weit es geht sozialverträglich ab, etwa über Mitarbeiter, die ohnehin in den Ruhestand gehen. „Zudem haben wir bis 2026 betriebsbedingte Kündigungen in unserer Mobilitätssparte in Deutschland ausgeschlossen“, so der Manager.
In dem Interview verweist Hartung auf einige Standortnachteile, die Bosch weitaus mehr zu schaffen machen als die Transformation zur E-Mobilität. Etwa die Versorgung mit ausreichend günstiger und erneuerbarer Energie. Denn „wenn die energieintensiven Produkte in Deutschland teurer werden, dann stellt sich sofort die Frage: Gibt es sie woanders preiswerter?“ Die Strompreisfrage könne für den Standort Deutschland „entscheidend werden“. Auch an der überbordenden Regulierung stört Hartung sich: „Wir müssen aufpassen, dass wir im Vergleich zu China, den USA und anderen europäischen Ländern nicht überproportional viel regulieren. Das wird sonst zum großen Standortnachteil“.
„Wir waren vielleicht zu euphorisch mit der Wasserstofftechnologie“
Auch zur Zusammenarbeit mit chinesischen Autoherstellern äußerte sich der Bosch-Chef. Dort zeige sich „natürlich eine etwas andere Art, wie sie Autos für ihre Endkunden bauen“, die chinesischen Hersteller seien „enorm endkundenorientiert: Man sieht da zum Teil Fahrzeuge, die in der Spezifizität und Ausrichtung, wie sie gebaut werden, fast schon überraschen“, sagt Hartung. Qualitativ sieht der Manager, was die verbauten Technologien und Teile betrifft, kaum Unterschiede: „Die Systeme, die in die Fahrzeuge eingebaut werden, ob in China oder in Deutschland, sind alle technisch top“, sagt er. Sie seien zwar „unterschiedlich von der Ausstattung“, aber es sei „nicht so, dass irgendwo eine zweite Wahl reinkommt“. In China ist Bosch demnach aufgrund der hohen Produktionszahlen mit manchen seiner E-Auto-spezifischen Bauteile schon profitabel, „in Europa noch nicht“.
Nach seinen größten Fehlern als Bosch-Chef gefragt räumt Hartung ein, „vielleicht zu euphorisch mit der Wasserstofftechnologie“ gewesen zu sein, „wo wir nun ein bisschen bremsen mussten“. Allerdings sei er „nach wie vor überzeugt, dass wir Wasserstofftechnologie brauchen“. Dass die Technologie aber nun doch „später zum Einsatz kommt, tut schon weh, denn es ist bereits viel Geld in die Entwicklung geflossen.“
Quelle: The Pioneer – „Wir brauchen 35 Jahre, um weltweit alle Autos zu elektrifizieren”