Als deutscher Ingenieur habe ich gelegentlich die Möglichkeit, mit leitenden Managern der Automobilindustrie zu sprechen, und wenn wir Gedanken austauschen und Meinungen diskutieren, bin ich häufiger als erwünscht erstaunt über ihre Antworten, Reaktionen und Aussagen. Offen gesagt schon fast fassungslos, denn je mehr ich über diese Gespräche nachdenke, desto aufschlussreicher und aufklärender finde ich sie mit Bezug zu dem Status der Schlüsselindustrie meiner Heimat, aber auch und vor allem, der ihre Zukunft.
Das deutsche Ingenieurwesen ist aus guten Gründen und seit langem zu Recht überall anerkannt und geachtet. Meine Frage lautet deshalb:
Wie ist es möglich, dass diese erfahrene Industrie, die so lange Zeit mit all ihren Ressourcen wichtige Segmente des Automobilmarktes dominierte, bei der Entwicklung wettbewerbsfähiger Elektroautos so kläglich scheitern konnte?
In diversen Artikeln habe ich versucht, meine Version dieser unangenehmen Wahrheit zu erklären, indem ich über Technologie, Wirtschaft, Kultur, Menschen, Innovation und Wandel diskutierte, aber heute möchte ich Ihnen die Gelegenheit geben einfach nur zuzuhören, was mir einige der leitenden deutschen Führungskräfte und Manager der Automobilindustrie von Angesicht zu Angesicht zu Elektroautos erzählt haben. Ihre Fragen und Antworten offenbarten einen überraschenden Denkprozess, der meiner Meinung nach die eigentliche Ursache für die Situation ist, in der wir uns befinden.
Drei Beispiele warum der Wandel nicht klappt…
Ich werde drei Beispiele für diese Aussagen zur Veranschaulichung anführen, aber viele weitere sind mir begegnet und haben meine Annahme bestätigt, dass das wahre Problem der deutschen Automobilindustrie nicht notwendigerweise darin besteht, nicht in der Lage zu sein, innovativ zu sein, sondern nicht zu wissen, was innovativ werden muss.
Um es klar zu sagen: Ich habe nie jemanden aus der deutschen Automobilindustrie direkt oder indirekt um ein Gespräch gebeten, sondern wurde zu meiner Überraschung von diesen zu Gesprächen eingeladen. Meine Erwartungen an diese Gespräche waren sehr bescheiden, da ich meine Meinung nicht verstecke, dass die deutsche Industrie immer noch mehr falsch als richtigmacht, und jeder, der nur einen meiner Artikel gelesen hat, weiß das auch.
Zu meiner Überraschung ist das Interesse an den Gesprächen groß, und alle, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, waren sich einig, dass zumindest Teile meiner Kritik berechtigt sind. Subjektiv ermittelte 50% der Manager der deutschen Automobilindustrie sind frustriert über die Unfähigkeit ihrer Organisationen, sich zu verändern. Um meine Quellen zu schützen, bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass ich keine Namen von Personen oder Organisationen nennen möchte.
Behauptung: E-Motoren lassen keine Unterscheidung zu
Zuerst gibt es die Behauptung, dass der Elektromotor eines Elektroautos keine Unterscheidung von Modellen und Marken zulässt, weil ihre technischen Spezifikationen in etwa gleich sind. Ein ähnliches Argument wurde mir von zwei Managern der obersten Führungsebene mit globaler Verantwortung erläutert. Oliver Blume, Porsche-Chef, diskutierte dies ebenfalls in einem Interview im Jahr 2019. Es ist eine oft geäußerte Ansicht.
Dass Elektromotoren keine Markendifferenzierung zulassen, klingt vernünftig, weil sie sich in der Tat in vielen Aspekten recht ähnlich sind und obwohl Unterschiede bestehen, sind sie im Vergleich zu Verbrenner-Motoren nur gering. Interessanterweise wird aber jeder, der Elektrofahrzeuge verschiedener Hersteller gefahren hat, bezeugen, dass seine Fahrerfahrung in der Tat sehr unterschiedlich war. Warum klingt das also wie ein Widerspruch?
Es stimmt zwar, dass ein Elektromotor allein keine großen Unterschiede der technischen Spezifikationen zulässt, wie wir sie von dem Verbrennungsmotor kennen, aber der wirkliche elektrische Antriebsstrang ist die Kombination der Batterie mit dem Elektromotor, dem Bremssystem, der Software, dem Wechselrichter und nicht der Elektromotor allein. Wenn man diese Systeme zusammen betrachtet und Elektroautos erneut vergleicht, unterscheiden sie sich deutlich und nachhaltig voneinander.
Als Beispiel für unterschiedliche Fahrerlebnisse nehmen Sie den Renault Zoe und den Porsche Taycan oder den Nissan Leaf und die Performance Modelle von Tesla. Niemand wird jemals ernsthaft behaupten, dass sie ein ähnliches Fahrerlebnis bieten. Während in der Verbrenner Industrie der Motor und das Getriebe ein Schlüsselelement für ein einzigartiges Fahrerlebnis sind, gilt dasselbe für die Batterien zusammen mit dem Elektromotor, dem Wechselrichter, der Rekuperation sowie dem Bremssystem. Da die Batterie fälschlicherweise von vielen Automobilherstellern immer noch als der “Tank ” des Elektroautos gesehen wird, unterschätzen sie, dass eine Batterie viel mehr leistet als nur Energie zu speichern.
Die Physik zwischen den beiden Antriebsstrangkonzepten ist so unterschiedlich, dass die Entnahme eines Elements aus dem Gesamtsystem und der Vergleich mit dem anderen Element ein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen ist, und das ist es, was viele deutsche Automobilhersteller leider machen. Sie verwenden ein ihnen bekanntes Referenzsystem, für das sie seit Jahrzehnten arbeiten, und schauen sich den “offensichtlichen Teil” in einem Elektroauto als Vergleich an. Ein Fehler den ich jedem Bürger auf der Straße verzeihen kann aber keinem hochrangigen Ingenieur aus der Industrie und schon gar nicht dem Vorstandsvorsitzenden von Porsche.
Wenn Top Manager auf Geschäftsführungsebene sich in Vergleichen allein auf den Elektromotor fokussieren und sagen, dass Elektrofahrzeuge über die Technik nicht wirklich zu differenzieren sind dann ist das eine Offenbarung, dass sie nicht verstehen, wie der Antriebsstrang eines Elektroautos im Vergleich zu einem Verbrenner funktioniert. Um es in direkten und harten Worten zu sagen, es ist ein Ausdruck von Inkompetenz und Unverständnis für die grundlegende Technologie der Elektrofahrzeuge. Jede Führungskraft die so etwas behauptet verdient es keine Führungskraft mehr zu sein.
Software – ein Differenzierungsmerkmal von gut zu außergewöhnlich
Im zweiten Beispiel geht es um Software, eine Technologie, für die deutsche Automobilhersteller bekanntlich nicht berühmt sind, mit neuesten Beispielen insbesondere innerhalb des VW-Konzerns. Betrachtet man ein Autodisplay als Ein- und Ausgabegerät eines IT-Systems, so sieht es so aus, als ob das Design deutscher Autodisplays uns sagen will, dass es nicht viel ein- und auszugeben gibt.
Die Softwareprobleme und -herausforderungen einschließlich der Fahrzeugrückrufe begannen mit Verbrennern und setzen sich bei allen Elektro-Modellen fort, die sie jemals produziert haben, sei es der e-Golf, Taycan, e-Tron, i3 oder EQC. Die Geschichte von Softwarefehlern, Ausfällen, Verzögerungen und Problemen ist eine unendliche Geschichte, die sich mit dem ID.3 und dem Rückruf und Produktionsstopp des neuen Golf 8 in die Zukunft fortsetzt.
Wenn in der Anzeige Ihres e-Tron eine Warnung erscheint, dass ein Ölwechsel fällig ist, wie wir es in letzter Zeit gesehen haben, sollte die Warnung direkt an den Audi-Vorstand gehen und ihm mitteilen, dass die IT-Organisation, die Software und deren Verantwortlichkeiten einen Wechsel benötigen.
Die Autohersteller sind es gewohnt, alles für ihre Produkte extern einzukaufen und sie lieben es, alles ohne Aufwand am besten wie Lego zusammenzustecken. „Plug and Play“ ist ihnen am liebsten. Dadurch können sie sich auf das Marketing und den Vertrieb konzentrieren, aber sie unterschätzen dabei, dass Software ein integrierter Bestandteil des gesamten Fahrzeugs ist und nicht ein mitgeliefertes Teil, dass man wie Hardware einfach nur zusammensteckt.
Die so genannte ‘Digitalisierung’ von Fahrzeugen ist seit Jahren ein großes Marketingthema der deutschen Automobilindustrie, aber die grundlegenden Voraussetzungen zur Entwicklung eines Fahrzeugbetriebssystems sind immer noch nicht vorhanden. Die Unternehmen müssen sich von einer Hardware zu einer Software Organisation entwickeln, denn die Wertschöpfung liegt heute in der Software des Fahrzeugs und nicht mehr in der Hardware wie es früher einmal der Fall war.
Der Ort, an dem die Gewinne gemacht und das wirkliche Geld verdient wird, liegt von nun an in der Software. Aus diesem Grund sollte die Software-Abteilung die nötige Macht und den Einfluss haben, die sie braucht, um die Gewinne zu maximieren, aber diesen Einfluss haben sie nicht und die aktuellen Machtverhältnisse zeigen uns das dies auch nicht für die Zukunft geplant ist.
Um zu veranschaulichen, wie ernst die Probleme sind, gebe ich Ihnen ein paar Zitate mit, die ich in den letzten Monaten von Abteilungsleitern großer deutscher Automobilhersteller dokumentiert habe.
Zitat: “Wenn wir die Ladeabbrüche nicht in den Griff bekommen, sollte die Markteinführung des Autos komplett gestoppt werden.“ / “Die grundlegenden Probleme des Betriebssystems sind so gravierend, dass die gesamte Markteinführung gefährdet ist, aber wenn wir die Einführung verzögern, müssen wir Bußgelder in Milliardenhöhe zahlen.”
BMW, Daimler wie auch der gesamte VW-Konzern suchen heute, im Jahr 2020, nach einer Lösung, wie sie Betriebssoftware für ihre zukünftigen Elektroautos entwickeln können, haben aber immer noch keine Antwort. Software zu entwickeln war bisher eine Zulieferaufgabe für Subsysteme im Auto, aber nie ein strategisches Geschäft. Sie musste als Teil eines Bauteils funktionieren, aber nicht als Differenzierungskriterium, das den Wert des Gesamtfahrzeugs über alle Systeme hinweg definiert.
Für das Getriebe oder das Motoreinspritzsystem verantwortlich zu sein, erhielt die höchste Anerkennung und Wertschätzung in den etablierten Unternehmen, aber Software wurde als weniger wichtig angesehen und deshalb ausgelagert. Glaubt irgendjemand wirklich, dass innerhalb von Tesla, dem Unternehmen mit der größten vertikalen Integration in der Branche jemals eine Diskussion darüber geführt wurde, die Software an einen Zulieferer auszulagern?
Ist es denn ein Wunder, dass es heute bei den großen deutschen Automobilherstellern keine guten Software-Ingenieure mehr gibt? Ist es denn ein Wunder, dass die Software-Abteilung ein eher machtloser Teil der Organisation ohne Einfluss ist, der aktuell den ganzen Druck erhält?!
Selbst wenn sie heute versuchen, die klügsten Köpfe ins Haus zu holen, ist dem Glanz und Ruf, stattdessen in der Tesla Giga Berlin zu arbeiten, schwer etwas entgegen zu setzen. Die gesuchten aufgeweckten, klugen und innovativen Software-Ingenieure werden sich lieber ein paar Jahre lang bei Tesla verausgaben, bevor sie bei einer etablierten deutschen Autofirma eventuell eine dann gute Position antreten. Wahrscheinlicher ist aber, dass die fundamental andere Unternehmenskultur einen Schock auslöst und ihre Verweilzeit eher gering ist.
Behauptung: Große Reichweiten seien nicht für den Alltag notwendig
Eine dritte und oft wiederholte Argumentation ist, dass der typische Anwendungsfall des Elektrofahrzeugs die kurze Distanz ist und es deshalb auch keine große Reichweite haben muss. Das wurde von BMW über den i3 gesagt, von VW über den e-Golf und sogar von Porsche über den Taycan neben vielen anderen. Es ist eigentlich ein Punkt, der nicht nur von Automobilmanagern vorgebracht, sondern auch von den Medien und von Politikern ständig wiederholt wird, aber stimmt das auch?
Ein Zitat eines deutschen Senior Automotive Managers an mich: “Wir hatten eigentlich nicht die Absicht, ein Elektroauto mit einer Reichweite von einem Tesla zu entwickeln. Das war nicht unsere erste Priorität”.
Es kommt selten vor, dass ich nicht die richtigen Worte finde, um angemessen zu antworten, aber dieser Moment war einer davon. Nicht den Ehrgeiz zu haben, ein Elektroauto mit einer wettbewerbsfähigen Reichweite zu entwickeln, bedeutet, die Niederlage zu erklären oder zu akzeptieren und das zukünftige Kern Geschäft damit aufzugeben.
Es steht außer Frage, dass der durchschnittliche Arbeitsweg in vielen Ländern nur 30- 40 Kilometer am Tag beträgt, deshalb glauben die Hersteller vielleicht, dass ein kleines batteriebetriebenes Elektroauto mit kurzer Reichweite oder ein Hybridfahrzeug mit einer Reichweite von 30 km gut genug und ausreichend sein wird. Wenn das wahr wäre, warum ist die erste Frage, die man mir zu meinem Model 3 Long Range stellt, normalerweise die Reichweite?
Es spielt keine Rolle, dass die durchschnittliche Pendelstrecke klein ist, denn der Verbraucher möchte keine Verhaltensänderung und will das gleiche was er mit seinem Verbrenner hatte, nur besser, billiger und sauberer. Kompromisse für ein Elektroauto zu machen klingt für viele nach Verzicht der Umwelt zuliebe und Verzicht klingt gar nicht gut.
Reichweitenangst wegen einer zu kleiner Batterie oder schlechter Effizienz oder beidem zu haben, ist ein negatives Gefühl. Wer will schon bei jedem Wochenendausflug, Urlaub oder Geschäftstreffen in einer anderen Stadt negative Gefühle wegen dem Transport haben? Ich, auf jeden Fall nicht und ich glaube behaupten zu dürfen das ich damit nicht allein bin.
Persönlich kenne ich keine einzige Person oder Familie, die ein Auto nur für den täglichen Weg zur Arbeit und ein anderes für den Rest des Lebens besitzt, obwohl es sie sicherlich gibt. Autos sind teuer, und die meisten Menschen können sich nur eines leisten, und ein zweites oder drittes ist Luxus. Als ich mein Elektrofahrzeug kaufte, war meine wichtigste Forderung nicht, schlechter, sondern besser dran zu sein und das bedeutet bei der Reichweite und der Nutzung keine Kompromisse machen zu müssen.
Zu den Anforderungen gehört auch das Auto einfach und schnell mit Benzin oder Energie überall betanken bzw. laden zu können, ein großartiges Fahrerlebnis mit Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit zu erleben sowie Fahrkomfort und Stauraum. Kein einziger Verbraucher möchte darüber nachdenken, ob sein Elektroauto ihm erlaubt, von Punkt A nach B zu fahren, auch wenn dieser Punkt B einige tausend Kilometer entfernt ist. Ich könnte in dieser Minute in meinen Tesla vor meiner Tür springen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie und wo man das Fahrzeug auflädt und wie lange es dauert.
All diese Gedanken gab es bei mir nicht als ich noch einen Verbrenner fuhr und es gibt sie heute nicht mit meinem Tesla.
Warum sollten E-Autos das Leben verkomplizieren?
Das Leben ist kompliziert genug, warum also sollte es ein Verbraucher mit einem Elektroauto, das eine kurze Reichweite hat, noch komplizierter machen?
Vereinfachen Sie Ihr Leben!
Jeder kann eine Meinung haben, und das gilt natürlich auch für alle Führungskräfte in der deutschen Automobilindustrie, aber von einem Geschäftsmann erwarte ich eine durch Fakten gut untermauerte und durchdachte Schlussfolgerung. Leider habe ich das in meinen Gesprächen mit den meisten deutschen Automobilmanagern nicht erlebt, sondern stattdessen eine Wiederholung fehlerhafter Annahmen, vermischt mit waghalsigen Vermutungen und gekrönt von unbewiesenen Behauptungen.
All das mag ja einmal in einem Gespräch vorkommen, aber es hat mich verwundert, dass es immer und immer wieder vorkam und vorkommt. Sind die Deutschen nur schlecht informiert oder steckt mehr dahinter?
Ich habe in der Vergangenheit viel darüber geschrieben, warum die deutsche Autoindustrie in Bezug auf Elektroautos das Schiff sprichwörtliche verpasst hat, aber ich habe vielleicht selbst dabei übersehen, dass sie vermutlich gar nicht wissen, was die eigentliche Herausforderung wirklich ist. Was wäre, wenn die Fragen, die sie sich stellen, die falschen Fragen ist und sie infolgedessen eine Herausforderung zu lösen versuchen, die gar nicht erfolgsrelevant ist?
Wenn das die Situation der deutschen Automobilindustrie heute ist, dann sollten wir alle nicht überrascht sein, dass wir bisher kein deutsches Elektroauto gesehen haben, das ein Model S von 2012 herausfordern kann. Schlimmer noch, ohne das die Hersteller die selbstverschuldeten Probleme der deutschen Autohersteller schnell und nachhaltig lösen, sage ich hiermit voraus, dass wir im Jahr 2025 keinen SUV oder Crossover sehen werden, der das 2020er Model Y herausfordern kann.
Ich hoffe aber dass ich damit falsch liege.
Dieser Artikel ist im Juni 2020 auf der US Webseite www.cleantechnica.com erschienen und wurde in der heutigen deutschen Version mit aktuellen Zahlen, Inhalten und Informationen angepasst.