Nachdem wir uns im vergangenen Herbst bereits die schicke chinesische Limousine Nio ET5 intensiver anschauen konnten, kam nun mit dem Nio ET5 Touring der erste Kombi der Marke Nio für einen zweiwöchigen Test vorbei. Diese Version wurde vor allem mit Blick auf den deutschen Markt konzipiert, denn auch wenn SUV immer bedeutender werden, erfreuen sich Kombi-Modelle hierzulande weiterhin einer vergleichsweise hohen Beliebtheit.
Mit 4,79 Metern Länge, 1,96 Metern Breite sowie 1,50 Meter Höhe entsprechen die äußeren Abmessungen des Kombis dabei exakt denen der Limousine. Dank des heckwärts später abfallenden Daches erhöht sich das Kofferraumvolumen jedoch von 386 auf 450 Liter, was den Touring nicht nur für Familien zum alltagstauglicheren Weggefährten macht als die Limousine, die dafür mit der subjektiv etwas hübscheren Form daher kommt. Zudem lässt sich die hintere Sitzbank mehr oder weniger zu einer komplett ebenen Fläche umklappen.
Der 360 kW (489 PS) starke Motor ermöglicht wie in der Limousine ein maximales Drehmoment von bis zu 700 Newtonmeter. Das Kraftpaket mit dem 100 kWh fassenden Akku (75 kWh gibt es als Alternative) beschleunigt auch dank des Allradantriebs in nur vier Sekunden aus dem Stand bis 100 Stundenkilometer. Aufgeteilt nach Stärken und Schwächen folgen einige Punkte, die während des Testzeitraums – eine Fahrt vom Rhein-Main-Gebiet an die Ostsee und zurück inklusive – aufgefallen sind.
Die Pluspunkte des Nio ET5 Touring
Die Langstreckentauglichkeit: Die jeweils gut 600 Kilometer lange Hin- und Rückfahrt nach Schleswig-Holstein war eine gute Gelegenheit, die Langstreckentauglichkeit des Nio zu testen – mit durchaus positivem Ergebnis. Dank des 100 kWh großen Akkus ist schon einmal von Vornherein eine ordentliche Reichweite möglich. Und auch wenn der Nio ET5 bedingt durch den Allradantrieb kein Verbrauchswunder ist – auf der Autobahn pendelte sich der Verbrauch bei Reisegeschwindigkeiten von 120 bis 160 Stundenkilometern bei durchschnittlich etwa 24 bis 26 kWh ein – lassen sich allein auf Basis der großen Batterie weite Strecken um die 400 Kilometer mühelos mit nur einer Vollladung bewältigen.
So reichte auf der Hinfahrt ein knapp einstündiger Mittagessen-Stopp völlig aus, um ohne jegliche Minute Wartezeit auf das Auto an der Ostsee anzukommen. Und weil der Tester unterwegs noch zweimal auf Toilette musste und dabei den Wagen jeweils wenige Minuten an den DC-Lader stecke, waren am Ziel sogar noch mehr als 30 Prozent im Akku. Weil in der Nähe der Unterkunft ein Schnelllader steht, war das Fahrzeug nach dem Ausladen und Einchecken nach gut 45 Minuten schon wieder nahezu voll, sodass er bereit für die Rückfahrt geparkt werden konnte.
Auf der Rückfahrt gab es teilweise etwas Stau, als Ausgleich wurde der Nio auch mal mit längeren Passagen mit höherem Tempo von der Leine gelassen, wobei der Verbrauch am Bordcomputer auch mal knapp über 30 kWh anstieg. Zwei Ladepausen mit jeweils etwas mehr als einer halben Stunde waren dafür auf der Rückfahrt nötig, um dann fast leergefahren am Ziel anzukommen – also auch hier nicht mehr Pausen, als sich bei einer so langen Strecke ohnehin empfiehlt.
Das Fahrverhalten: Mit seinen knapp 500 PS im Sport-Plus-Modus kann der ET5 Touring ein echtes Biest sein, in weniger angriffslustigen Fahrmodi ist er aber ein gediegenes Gefährt, in dem es sich lange angenehm aushalten lässt. Die Federung ist tendenziell zwar recht straff, ohne jedoch unkomfortabel zu werden. Die Fahrassistenten funktionieren vor allem auf der Autobahn intuitiv und ordentlich, hilfreich ist die Ansicht der Verkehrssituation drumherum im dynamischen Cockpit. Zudem sitzt es sich vorne wie hinten sehr bequem. Gas- und Bremspedal sowie Lenkrad lassen sich gut dosieren und geben ein gutes und angenehmes Feedback.
Die Optik: Auch wenn die Limousine schnittiger ist, braucht sich der Kombi nicht zu verstecken. Linienführung und Lichtdesign sind formschön und stimmig, zudem gibt es einige sehr hübsche Farben zur Wahl. Das Zitronengelb unseres Testwagens ist vielleicht nicht jedermanns Sache, doch zum Beispiel beim Stratosphere Blue dürfte es wenige geben, die diesem Farbton so überhaupt nichts abgewinnen können. Das Kombi-Heck ist ebenfalls gelungen und erinnert entfernt an Familienkutschen eines deutschen Herstellers aus München.
Auch das Innendesign weiß zu gefallen. Weil die meisten Bedienelemente im großen Tablet in der Mitte integriert oder per Sprachsteuerung ansteuerbar sind, gibt es wenige Knöpfe und Schalter, was einen sehr aufgeräumten Eindruck hinterlässt. Im Testwagen war die sandfarbene und somit sehr helle Innenausstattung verbaut, für unseren Geschmack gefälliger sind die ebenfalls verfügbaren schwarzen und grauen Innenausstattungen.
Die Ausstattung: Da lässt sich nur aus dem Testbericht zum ET5 zitieren: Bis hin zur kräftig zupackenden Massagefunktion in den Vordersitzen ist auch der ET5 Touring in Vollausstattung mit Annehmlichkeiten vollgestopft. Die Sitze sind zudem sehr bequem, auch im Innenraum ist alles wertig und schick verarbeitet. Die Optik im Fahrzeuginneren ist angenehm schlicht und edel – selbst die Lüftungsschlitze sind in der Armatur gut getarnt, leisten aber trotzdem ihre Arbeit. Die Assistenten arbeiten ordentlich, auch wenn – typisch für asiatische Hersteller – häufig Warntöne erklingen. Allerdings fallen diese weniger penetrant aus als bei manch anderen Herstellern.
Die Sprachassistenz: Der sprechende kleine Ball auf dem Armaturenbrett namens “Nomi” war auch in unserem Testwagen wieder an Bord, allerdings gibt es inzwischen die Sprachassistenz in der Standardausführung auch weniger verspielt und “versenkt”. Vielleicht auch, weil wir inzwischen Erfahrungswerte beim Formulieren der Befehle hatten, machte Nomi zumeist recht zuverlässig das, was man sich von ihr wünschte – vorausgesetzt es bestand eine Internetverbindung: Massage starten, Wetterbericht vorlesen, Spiegeleinstellung anzeigen, Radiosender wechseln – solche Aufgaben gehen Nomi leicht von der Hand und ersparen Fahrer wie Mitfahrern das Suchen der Funktionen in besagtem Tablet.
Besonders großer Beliebtheit erfreute sich Nomi zudem beim zwölfjährigen Neffen des Testers, der bei der Bewertung des Coolness-Faktors eines Testwagens als unangefochtene Instanz gilt. Hier erhält der Nio ET5 fünf von fünf Coolness-Sternen, was bislang nur dem Porsche Taycan Turbo vorbehalten war. Unter anderem reizte der junge Mittester das Repertoire an Witzen in Nomis Datenbank restlos aus. Ein Beispiel muss an dieser Stelle genügen: “Warum klaut Robin Hood Deo? Um es unter den Armen zu verteilen.” Nomi hat also fraglos auch das Zeug zur Kinderbelustigung, was wertvoll auf längeren Fahrten sein kann – vorausgesetzt der Fahrer kann mit dem herumalbernden Gefährten auf dem Armaturenbrett ablenkungsfrei umgehen.
Die Einparkhilfe: Was Nomi ebenfalls richtig gut kann: einparken. Auf den Befehl “Hi Nomi, starte den Einparkassistenten” erscheint ein Bildschirm, auf dem in der Umgebung ein durchnummerierter Parkraum ausgewählt werden kann. Daraufhin startet das Fahrzeug selbsttätig den Einparkvorgang. Dieser muss zwar vom Fahrer überwacht werden, allerdings ist – anders als bei vielen anderen derartigen Assistenten – kein selbsttätiger Gangwechsel oder Wechsel von Gas und Bremse notwendig. Selbst mehrere nötige Züge für das komplette Einparkmanöver übernimmt das Fahrzeug zuverlässig, während der Fahrer lediglich wachsam zuschaut.
Das Panoramadach: Ein durchgängiges Glasdach wie im Nio ET5 Touring ist eine feine Sache. So kommt viel mehr Licht in den Innenraum, und vor allem in der hinteren Sitzreihe steigt die Aufenthaltsqualität enorm. Im Nio lässt sich das Dach zudem optional verdunkeln (1500 Euro Aufpreis), sodass auch eine zu starke Sonneneinstrahlung verhindert werden kann. Allerdings verpufft besagter Effekt bei aktivierter Verdunkelung fast völlig – und der Tester hat leider dusseligerweise erst am Ende des Testzeitraums herausgefunden, dass er dies steuern kann. Dafür kann aber Nio nichts.
Die Minuspunkte des Nio ET5 Touring
Die Ladeleistung: Mehr als 124 kW DC-Ladeleistung bekamen wir auch bei diesem Test nicht auf der Anzeige zu sehen, was angesichts eines solch großen Akkus doch ziemlich wenig ist. Fein raus ist derjenige, der Akkutausch-Stationen von Nio auf seinen regelmäßigen Wegen hat, deren Anzahl ja weiter steigen soll. Binnen fünf Minuten ist dann der fast leere durch einen aufgeladenen Akku ersetzt. Allerdings ist dafür zwingend das Batteriemietmodell nötig statt des Batteriekaufs – schließlich befindet sich ja ständig ein anderer Akku im Fahrzeug.
Allerdings befand sich die Wechselstation in Großburgwedel bei der langen Testfahrt in Wartung, sodass mit dem benachbarten EnBW-Ladepark Vorlieb genommen werden musste. Wer die Ladepause mit einer Mahlzeit verbindet, der kann diese Ladegeschwindigkeit verschmerzen. Wer aber schnell weiterfahren möchte, für den sind 80 bis 90 kW Ladeleistung im Schnitt eine mitunter quälende Angelegenheit. Allerdings hatten wir offenbar einen älteren Akku an Bord, die neuen sollen Ladeleistungen bis zu 180 kW ermöglichen. Beim Akkutausch kann es also durchaus passieren, dass man statt eines alten Akkus einen neuen erhält – oder umgekehrt.
Die Bedienbarkeit: Wer wie unser Überführungsfahrer mit Nomi fremdelt (“Nee, mit der red’ ich nicht”), wird in den Menüs viel Zeit mit Suchen verbringen. Da es kaum Hebel und Knöpfe gibt, sind die Funktionen allesamt im tabletgroßen Mitteldisplay verborgen – jedoch nicht immer dort, wo man sie intuitiv suchen würde. Zudem hat die Software ein paar Schwächen, die Ladeplanung funktionierte dieses Mal aber sehr ordentlich. Am angenehmsten lässt sich das Fahrzeug mit der Sprachassistenz bedienen – allerdings muss man diese manchmal ganz schön laut rufen, wenn man die Musik etwas stärker aufgedreht hat. Gut ist hingegen die Bedienbarkeit per App, um den Wagen zu orten, vorzuheizen oder geplante Ladestopps zu übermitteln.
Der Preis: Der Nio ET5 Touring ist alles andere als billige Chinaware, vor allem in Sachen Verarbeitung können sich manch europäische und US-amerikanische Hersteller etwas abschauen. Doch das macht sich auch beim Preis bemerkbar. Preise ab 47.500 Euro klingen erst einmal in Ordnung, doch für den 75 kWh großen Akku kommen noch einmal 12.000 Euro und für den 100 kWh großen Akku sogar 21.000 Euro dazu, sodass unser Testwagen mit Zusatzausstattung auf gut 73.000 Euro kommt. Im Vergleich zur Konkurrenz ist das zwar im Rahmen, Fahrzeuge für jedermann baut Nio aber bislang noch nicht.
Wer allerdings die Möglichkeit der Akku-Wechselstationen nutzen möchte, darf den Akku nicht dazukaufen, sondern muss sich für die alternative Mietmöglichkeit entscheiden. Dann kommen bei unserem Testwagen zum Anschaffungspreis von dann etwa 52.000 Euro monatliche Mietkosten von 289 Euro hinzu, also knapp 3500 Euro pro Jahr. Beim kleineren Akku sind es 169 Euro monatlich. Im Vergleich zum Akkukauf dürfte für viele Kunden die Miete auch finanziell das attraktivere Angebot darstellen.
Fazit
Der Nio ET5 Touring ist schön, praktisch, agil und toll verarbeitet. Wie schon beim Test der Limousine attestieren wir ihm, ein ungewöhnliches Elektroauto zu sein, das sich absolut mit der Konkurrenz messen lassen kann. In der Kombi-Ausführung wird das schon vorher bildschöne Fahrzeug noch richtig geräumig, eine Kombination, die es bei vollelektrischen Fahrzeugen noch nicht allzu oft gibt. Strecken bis 500 oder 600 Kilometer sind angenehm und ohne spürbare Nachteile zu bewältigen. Wer eine weitere Fahrt plant, sollte entweder mit längeren Pausen rechnen oder – sofern vorhanden – den Besuch einer Wechselstation unterwegs mit einplanen.
Disclaimer: Das Fahrzeug wurde von Nio zu Testzwecken für 14 Tage kostenlos zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst die Meinungsbildung seitens unserer Redaktion jedoch nicht.