Was sie sich im Zeichen des Rössle unter „Performance“ vorstellen, zeigt schon der Werbespot. In diesem Filmgenre wird gerne mal ein wenig übertrieben, doch was Porsche für sein neuestes Auto in Szene gesetzt hat, ist sehr viel mehr als bloß ein Clip.
Die Handlung dreht sich um den Drift. Aus allen Blickwinkeln. Auf losem Sand in der Rub-al-Chali-Wüste bei plus 30 Grad – und bei 30 minus im tief verschneiten Finnland. Im schnellen Wechsel gefilmt von einer High-Tech-Drohne, deren Bilder an eine Computeranimation glauben lassen – und die doch kein bisschen künstlich sind. Vom rasenden Porsche durchs Beduinenzelt per Schnitt hinter den Polarkreis und wieder zurück. Und dann jagt das fliegende Auge dem Quertreiber wie ein Geschoss hinten durch die offenen Seitenscheiben… Ganz großes Kino.
Und ja – auch große Klappe. Immerhin geht es beim neuesten Taycan um eine Art elektrischen Schnell-Transporter. Der heißt Cross, weil er auch über Stöckchen und Steinchen kommt – und Turismo, weil sie in Zuffenhausen vermutlich nur bei „Dreizylinder“ die Augen noch mehr verdrehen, als wenn sie das Wort „Kombi“ hören.
Porsche-Kunden sollen schließlich nicht Blumenerde und Farbkübel im Sinn haben, sondern flotten Fahrspaß – gepaart mit dem Komfort eines Reisewagens. Hinten gibt’s darum jetzt deutlich mehr Kopffreiheit – an den Beinen wird es trotz „Fußgarage“ nicht größer als im Coupé. Aber das wäre Jammern auf hohem Niveau.
Das Plus an Alltagsnutzen erkauft man sich mit einem Minimum an Verzicht. Bis Tempo 100 vergeht gerade mal eine Zehntelsekunde mehr als im jeweiligen Coupé – und der Vortrieb endet zehn Stundenkilometer früher. Werte, die ohnehin nicht annähernd beschreiben können, was sich tatsächlich tut, wenn man rechts unten auf dieses Pedal tritt, das ja keines des Gases mehr ist. Wer immer noch glauben sollte, elektrisch zu fahren mache keinen Spaß, sollte blitzschnell umdenken. Trotz 2,3 Tonnen muss man sich die Beschleunigung vorstellen, als sitze man in einem Katapult und hinten löst jemand den Haken. Wer nicht über die innere Ruhe eines piemontesischen Weinbauern verfügt, ist da schnell im Tempo-Rausch.
Um runterzukommen, muss man eine ordentliche Scheibe haben. Bei den Top-Versionen klugerweise aus Keramik. Die vorderen messen knapp 17 Zoll, die hinteren kaum weniger. Vorteil des Cross Turismo: Der Fünf-Meter-Sauser verfügt schon im 476 PS starken Basismodell über Allrad, Luftfederung und die Performance-Batterie Plus mit 93,4 kWh (netto: 83,7). Und so merkt man gar nicht, dass man vor ordentlich Stauraum herfährt. Maximal 446 Liter sind es bei voller Bestuhlung, umgeklappt finden bis zu 1,2 Kubikmeter Platz – das Dreifache dessen, was der normale Taycan fasst.
So oder so thront man. In gut konturierten Sitzen, umgeben von feinem Interieur und inmitten von Displays und Touchscreens. Vor sich: Ein horizontal betontes Cockpit mit Anklängen an den ersten 911er. Mittig indes der Tacho. Umringt im Wortsinn von einem „Powermeter“. Den über Jahrzehnte kulthaft zentrierten Drehzahlmesser braucht es ja nicht mehr.
Ein opulenter Kommandostand für die Reise ins Niemandsland der Fahrphysik. Dort nämlich glaubt man sich, wenn der Cross Turismo zeigen darf, was er wirklich kann. Weniger als einen Wimpernschlag braucht die Elektronik, um Allradantrieb, Dämpfung und Ansprechverhalten auf das Optimum zu bringen – auf Wunsch dreht sogar die Hinterachse mit. Wo neun von zehn Fahrern schon am Limit agieren, tut es der Taycan jedenfalls noch lange nicht.
Geht derlei Stress auf Dauer gut? Es sieht ganz danach aus. Selbst 20 schnelle Runden auf dem 2,8 Kilometer langen Handlingkurs am Hockenheimring bringen den Cross Turismo – ob nun 476 PS oder 761 – jedenfalls kein bisschen in Bedrängnis. Trotz 17 schneller Kurven und Tempo 200 am Ende der Start-Ziel-Geraden. Kein Hitzestau, kein Warnlämpchen, kein Not-Modus – immer Vortrieb satt. Allenfalls der Verbrauch steigt über Normal…
Aber sie wollten in Zuffenhausen ja auch kein E-Auto bauen, auf dem Porsche steht, sondern einen Porsche mit E-Antrieb. Die Seele der Marke in ein neues Zeitalter bringen, sagte Baureihenleiter Dr. Stefan Weckbach einst. Das verpflichtet: Zu einer Nordschleifen-Zeit von deutlich unter acht Minuten – und bis zu 450 Kilometern Reichweite. Nicht in direkter Kombination, versteht sich.
Ob man nun rast oder reist – irgendwann der Akku leer. Und da versprechen sie bei Porsche gut fünf Minuten Ladezeit für 100 Kilometer. Von fünf auf 80 Prozent Kapazität vergehen 22,5 Minuten. Die meiste Energie indes holt der Taycan aus Rekuperation. Bis zu 265 Kilowatt kann er einspeisen. Man lasse doch kein Watt liegen, heißt es. Wozu derartige Kompromisslosigkeit führt? Erstmals in der Geschichte von Porsche gibt es ein Wartungsintervall von sechs Jahren für die Bremse. Die Beläge könnten sonst zu alt werden…
Zum neuen Modelljahr haben sie den Akku bei allen Modellen nochmal optimiert. Mehr „Laderobustheit“, wie es heißt, vor allem aber um die 20 Kilometer mehr Reichweite (ohne Neuhomologation), weil die Vorderachse beim Abkoppeln nun komplett stromlos bleibt. Zusätzlich gibt’s nun auch Android Auto, und wer mag, parkt von außen ein – per App. Hübsche Überraschung für Enthusiasten: Den Taycan kann man sich ab sofort auch in „Sternrubin“ und ein paar anderen Kultfarben früherer Klassiker gönnen.
Ein Wermutstropfen bleibt: Unter 187.764 Euro ist das Top-Modell „Turbo S“ nicht zu haben. Auch wenn da schon so ziemlich alles an Bord ist, was das Herz begehrt. Kleiner Trost: Cross Turismo geht auch für die Hälfte. Beim Einstiegsmodell kommt man so gerade noch fünfstellig davon.
Große Klappe muss man sich halt auch leisten können…