Endlich! Seit 18 Monaten ist das Elektroauto da. Ich kann es jedoch nur behelfsmäßig an einem Haushaltsstromanschluss eines Nachbarn laden, mit dem ich den Stellplatz in unserer Gemeinschaftsgarage vorübergehend getauscht habe. Ok, eine Dauerleistung von einem Kilowatt reicht über Nacht auch aus. Eine zukunftsfähige Lösung für die 52 Stellplätze kann das natürlich nicht sein. Es musste ein Lastmanagement her. Die Recherchen und Telefonate waren langwierig und aufwendig. Der Standard OCPP (Open Charge Point Protocol) zu deutsch „Freier Ladepunkt Kommunikationsstandard“ klingt doch super modern. Darunter wollte ich es nicht tun. Schließlich wollen wir zukunftssicher sein.
Aber die Lösung musste auch mitwachsen können, denn in den ersten Wochen fand ich lediglich zwei andere Mitstreiter. Eine Erstinvestition von 20.000 € wollten wir zu dritt eigentlich nicht stemmen. Außerdem wollten wir keine laufenden Kosten haben und Fehleranfälligkeit durch hohe Komplexität vermeiden. Also haben wir uns doch für ein sehr einfaches und bewährtes und skalierbares Kommunikationssystem entschieden. Die Kommunikation zwischen dem Lastmanagement-Controller und den infrage kommenden Wallbox-Modellen läuft einfach über ein Datenkabel, auch als Telefonkabel bekannt, das an sog. potenzialfreie Kontakte angeschlossen wird. Die Wallbox meldet, dass sie laden möchte, das Lastmanagement schaut nach, ob es noch Strom übrig hat. Falls ja, schickt es das Freigabesignal an die Wallbox und schon fängt sie an, das schicke neue Auto zu laden.
Aber ob die Anschlussleistung wirklich ausreicht? Der Netzbetreiber wollte uns von der Hausanschlussleistung von 39 kW lediglich 30 kW im Dauerbetrieb zur Verfügung stellen. Also wurde ein bisschen gerechnet. Und tatsächlich: Die Leistung reicht für 50 Fahrzeuge, wenn ein Lastmanagement eingesetzt wird. Ein durchschnittlicher Tagesbedarf pro Auto von 5 kWh vorausgesetzt, können alle Autos rein rechnerisch in 8- 9 Stunden eines Tages geladen werden. Da bleibt sogar noch Platz für das Zulassen der sog. Netzdienlichkeit. Der Netzbetreiber drosselt oder pausiert die Stromlieferung für ein paar Stunden abends, um das gesamte Stromnetz stabilisieren zu können. Dafür verzichtet er auf das Netzentgelt von 4- 6 Cent pro Kilowattstunde. Diese Ersparnis reicht der Stromversorger an uns weiter. Bei Bedarf würde der Netzbetreiber den Anschluss mit einer sog. Wandlermessung für geschätzt 3.000,- um weitere 30kW ertüchtigen.
Das Konzept wurde in ein paar Wochen mithilfe eines Fachberaters und unseres Elektrikers ausgearbeitet und eine Kostenabschätzung vorgenommen. Wir wollten ganz klein anfangen und erwarteten, dass weitere Nachbarn sich unserem Beispiel anschließen würden. Das Inkrafttreten der Reform des Wohnungseigentumsrechts, das WEMoG Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz am 1. Dezember 2020 gab uns den nötigen Schub. In einer außerordentlichen Eigentümerversammlung wurde unser Konzept einer Ladeinfrastruktur ohne Gegenstimmen abgesegnet. Dann konnte es losgehen.
Der Lastmanagement-Controller für die ersten 10 Ladepunkte wurde angeschafft. Ein weiteres dickes Arbeitsstromkabel wurde gezogen, Kabelpritschen über der gemeinsamen Fahrgasse mit den querliegenden Stellplätzen montiert und die ersten Arbeitsstrom- und Datenkabel zu drei Stellplätzen verlegt. Es entstanden zwei Arten von Eigentum. Ein gemeinschaftliches Eigentum der Nutzer an der Grundinstallation und individuelles Eigentum an den Kabeln, elektrischen Komponenten im Verteilerkasten und den selbst zu beschaffenden Wallboxen an den Stellplätzen. Nachdem die Montagearbeiten begonnen hatten, wurden weitere Nachbarn aufmerksam und dann waren wir schon sechs Miteigentümer mit sieben Stellplätzen. Die Anfangsinvestition konnte also schon durch sieben geteilt werden.
Beim jetzigen Umfang der Grundinstallation können zehn Ladepunkte/Stellplätze bedient werden. Dann betragen die Investitionskosten ca. 15.000 €. Jeder weitere Nachbar, der sich an der gebildeten Nutzergemeinschaft beteiligen möchte, vergütet den Altnutzern einen Teil ihrer Beteiligung. Damit ist gewährleistet, dass zumindest in den ersten Jahren vor Beginn der Abschreibung jeder den gleichen Anteil an der Grundinstallation trägt. Diese Nutzergemeinschaft, die sich einen eigenen Vertrag gegeben hat, ist offen für alle weiteren Nachbarn, die sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beteiligen wollen.
Ausblick
Elektromobilität und damit lokale Emissionsfreiheit macht nur Sinn, wenn der Strom aus erneuerbaren Energieträgern kommt. Am besten wird er möglichst nahe an der Verwendung produziert. Das wäre also die eigene Photovoltaikanlage auf dem Dach der Parkgarage. In diesem Beispiel könnten 50 kWp installiert werden, die ca. 50.000 kWh im Jahr produzieren könnten. Rechnerisch könnten mit dem selbst erzeugten Sonnenstrom in Verbindung mit einem Speicher und klugem Lademanagement über 25 E-Autos betrieben werden. Die Regulatorik lässt dies jedoch derzeit (Sommer 2021) nicht zu.
Der Autor Jürgen Conrads ist bereit weitere Auskünfte über folgende Mail-Adresse: NGLIS62@web.de (NGLIS steht für Nutzergemeinschaft Ladeinfrastruktur) zu geben. Einfach schreiben und auf diesen Artikel beziehen.