Im Streit über die deutsche Klimapolitik wächst der Druck auf die Bundesregierung, ihre Pläne nachzuschärfen – auch in den eigenen Reihen: Der CDU-Fraktionsvize Andreas Jung warb dafür, die Obergrenze für den CO2-Preis bis 2030 auf 180 Euro pro Tonne anzuheben. Das könnte Diesel, Benzin und Heizöl um mehr als 50 Cent pro Liter verteuern. Auch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) forderte, schon zum Einstieg im jahr 2021 mehr als die geplanten zehn Euro pro Tonne zu verlangen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lehnte Nachverhandlungen über den Einstiegspreis ab.
Die Zielmarke von 180 Euro ist nicht zufällig gewählt. Das entspricht laut Umweltbundesamt den Schäden, die eine Tonne CO2 verursacht. Die Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future und ihre Unterstützer fordern ebenfalls einen CO2-Preis von 180 Euro.
Das Klimapaket der Bundesregierung „kann überhaupt keine Lenkungswirkung entfalten“, kritisiert Prof. Mojib Latif, Klimaforscher am Kieler GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, die Beschlüsse der Großen Koaltion. „Dieses Paket ist eine Art Sterbehilfe für das Weltklima“, sagte Latif der Passauer Neuen Presse. Mit den geplanten Maßnahmen ließen sich die Klimaziele „sicher nicht“ erreichen.
Einen Preis von zehn Euro pro Tonne CO2, noch dazu erst 2021, nannte der Wissenschaftler „absolut lächerlich“. Auf den Benzinpreis umgerechnet seien das „weniger als die täglichen Preisschwankungen an den Zapfsäulen“. Natürlich müsse man die Menschen mitnehmen, damit die Akzeptanz für den Klimaschutz nicht verloren gehe, räumte Latif ein. „Aber man darf nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Ein realistischer CO2-Preis würde bei anfänglich 50 Euro pro Tonne liegen.“
Gleichzeitig müsste eine Klimaprämie als sozialer Ausgleich eingeführt werden. „Wer CO2 spart und mehr für den Klimaschutz tut, behält etwas übrig. Das muss das Ziel sein. Nur so bewegt man die Menschen dazu, sich umweltfreundlich zu verhalten.“ Im internationalen Vergleich sei „Deutschland beim Klimaschutz der Einäugige unter den Blinden“. Deutschland tue zwar etwas, aber es sei bei weitem nicht genug. „Wir sind zum Beispiel beim Verkehr auf dem Niveau von 1990. Das geht einfach nicht.“ Es fehle es an Fortschritten.
Einer Umfrage zufolge findet eine Mehrheit der Deutschen das deutsche Klimapaket unzureichend. Wie aus dem ZDF-Politbarometer aus einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen hervorgeht, erklärten 53 Prozent der Befragten, die im Klimapaket beschlossenen Maßnahmen gingen nicht weit genug. Höhere Spritpreise allerdings würden nur ein Drittel der Befragten begrüßen.
Vorbild Schweden: „Emissionen sinken, Wirtschaftswachstum wird beibehalten“
Klimaforscherin Brigitte Knopf kritisiert ebenfalls den langen Stillstand in der deutschen Verkehrspolitik und zieht Schweden als Vorbild für ein funktionierendes CO2-Steuer-Modell heran. Knopf ist Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Mitverfasserin des aktuellen Sachstandsberichts des Weltklimarats zur globalen Erwärmung.
„In Schweden hat man die historische Verbindung von Wirtschaftswachstum und Emissionswachstum entkoppelt“, sagte die Klimaforscherin dem Nachrichtenportal t-online.de. „Emissionen sinken heute, das Wirtschaftswachstum wird beibehalten.“ Schweden hatte bereits 1991 den mit Abstand höchsten CO2-Preis der Welt beschlossen – heute liegt er bei rund 110 Euro pro Tonne Kohlendioxid, elfmal höher als der geplante Einstiegspreis der Bundesregierung.
„In Schweden sind die Emissionen im Verkehrs- und Wärmesektor seit 2005 um 28 Prozent gesunken“, sagt Knopf. „In Deutschland ist dagegen im Verkehrssektor seit 1990 gar nichts passiert.“ Dass die Schweden die finanzielle Belastung durch die hohen CO2-Preise akzeptieren, sei eine Mentalitätsfrage: „Wo Bürger großes Vertrauen in ihren Staat haben, sind auch die CO2-Preise hoch – vor allem in Skandinavien.“
SPD offen für Nachbesserungen
Angesichts der heftigen Kritik am Klimapaket der Bundesregierung zeigt sich die SPD-Spitze zu Nachbesserungen bei der CO2-Bepreisung bereit. „Wir haben ja der Union vorgeschlagen, dass man wenigstens als Kompromiss mit 20 Euro beginnt“, sagte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer in einem Interview mit dem Tagesspiegel. „Es ist nicht an der SPD gescheitert, es hätte mit uns einen höheren Preis geben können“, sagte Dreyer mit Blick auf das Verhalten von CDU/CSU in den 19-stündigen Verhandlungen bei Kanzlerin Angela Merkel.
„Wir werden offen mit den Grünen darüber sprechen, wie man zusammenkommen kann“, betonte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin mit Blick auf die schwierigen Verhandlungen über die CO2-Steuer und andere Pläne im Bundesrat – Dreyer selbst regiert mit Grünen und FDP in Mainz.
Für mehrere Schlüsselprojekte des Pakets braucht es eine Billigung der Bundesländer. Union und SPD hatten sich auf einen Einstiegspreis von zehn Euro je Tonne CO2 ab 2021 für die Bereiche Verkehr und Gebäude ausgesprochen. Damit würde Benzin höchstens 3 Cent je Liter teurer. Die Pendlerpauschale soll 2021 ab dem 21. Kilometer auf 35 Cent steigen, um Mehrkosten für Benzin und Diesel abzufedern.
Dreyer betonte, man dürfe nicht die vielen Pendler und einkommensschwachen Bürger vergessen: „Wir wollen beides: Die Klimaziele bis 2030 erreichen und den sozialen Frieden bewahren.“ Wenn ein CO2-Preis eine Lenkungswirkung haben, also sofort zu Verhaltensänderungen führen soll, dann würden auch 20 oder 30 Euro nicht reichen. „Ich könnte sagen, wir erzwingen alles über den Preis und zwar ab morgen. Völlig egal, wer das bezahlen kann.“ Das würde aber die Spaltung im Land deutlich verschärfen. Bis 2030 soll der Treibhausgasausstoß um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken – Experten sehen das mit dem Paket aber als kaum machbar an.
„Es ist doch klar, dass wir jenseits der normalen Schwankungen des Benzinpreises eine dauerhafte, kontinuierliche Erhöhung des Benzinpreises haben werden“, betonte Dreyer mit Blick auf den Einstieg in eine CO2-Bepreisung der Kraftstoffe.
Quellen: Passauer Neue Presse – Vorabmeldung vom 26.09.2019 // t-online – Vorabmeldung vom 26.09.2019 // Tagesspiegel – Vorabmeldung vom 25.09.2019 // Automobilwoche – Neuer Ärger um Zahlen im Klimapaket: CO2-Preis zu niedrig?