Aus Sicht des Umweltbundesamtes (UBA) sollte eine Minderung der Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2030 um mindestens 70 Prozent und bis 2040 um mindestens 90 Prozent gegenüber 1990 erreicht werden, um der drohenden Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Ein neues Positionspapier zeigt die dafür notwendigen Schritte und weist einen nachhaltigen Weg zu einem treibhausgasneutralen Deutschland in 2045. Es werden für die Bereiche Energie, Verkehr, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft und LULUCF (Senken) sektorübergreifende und sektorspezifische Klimaschutzmaßnahmen und -instrumente erörtert, die schnellstmöglich zu implementieren seien, um die Minderungsziele zu erreichen.
Es sei zwar erforderlich, ambitionierte Ziele zu setzen, die kompatibel sind mit dem Paris-Übereinkommen – das alleine reicht jedoch nicht aus, so das UBA. Es bedürfe auch einer konsequenten Umsetzung und Zielerreichung. Dabei gehe es nicht mehr um die Frage, welche Maßnahmen zuerst umgesetzt werden sollten. Es gehe vielmehr darum, schnell und in allen Bereichen des Klimaschutzes zielorientiert zu handeln.
Der Verkehrssektor stieß laut UBA im vergangenen Jahr geschätzt 146 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus. Laut Klimaschutzgesetz soll diese Zahl bis 2030 auf 85 Millionen Tonnen CO2 sinken. Mit den aktuell beschlossenen Maßnahmen wird laut dem aktuellen Projektionsbericht der Bundesregierung allerdings nur eine Minderung im Jahr 2030 auf rund 126 Millionen Tonnen erreicht. Eine Verfehlung um mehr als 40 Millionen Tonnen.
Will Deutschland seinen Zielwert erreichen, sei eine umfassende Transformation des Verkehrssektors notwendig, die gleichzeitig eine weitere Minderung der Treibhaugasemissionen nach 2030 sicherstellt. Laut UBA müssen vorhandene Instrumente deutlich verschärft und zusätzliche Instrumente schon jetzt umgesetzt werden. Hierfür sei der Gestaltungswille aller Akteur:innen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik notwendig.
Als zentrale Bausteine listet das UBA unter anderem eine verursachergerechte Bepreisung von CO2 im Verkehrssektor, eine Stärkung des öffentlichen Verkehrs sowie einen konsequenten Ausstieg aus der Verbrennertechnologie auf. Nur bei einer zeitnahen, effektiven Umsetzung dieser Instrumente und in Kombination mit sektorübergreifenden Instrumenten könne eine Reduktion der Treibhausgasemissionen auf das Sektorziel erreicht werden.
Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor
Die Elektromobilität sei der zentrale Baustein einer Energiewende im Verkehr, so das UBA. Nur in Verkehrsträgern, wo nach heutigem Kenntnisstand die direkte Nutzung bzw. die ausschließliche Nutzung von erneuerbarem Strom zur Deckung der Mobilitätsbedarfe technisch nicht möglich ist, sollten treibhausgasneutrale, postfossile Kraftstoffe zum Einsatz kommen. Für hohe Minderungen der THG-Emissionen im Personenverkehr sei ein sehr schneller Markthochlauf von elektrischen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (LNF) notwendig. Auch bei schweren Nutzfahrzeugen (SNF) können elektrische Antriebe zu notwendigen Minderungen schon bis zum Jahr 2030 signifikant beitragen. Parallel müsse hierfür auch die entsprechende notwendige (Lade-)Infrastruktur für Pkw, LNF und SNF aufgebaut werden.
Ein Kerninstrument seien neben der sektorübergreifenden CO2-Bepreisung die europäischen CO2-Flottenzielwerte. Diese sollten für Pkw bis zum Jahr 2030 auf -80 Prozent gegenüber 2021 verschärft werden (derzeit -37,5 Prozent), so das UBA. Für das Jahr 2025 sollte ein ambitioniertes Zwischenziel von -30 Prozent und ein konkreter Pfad mit Minderungsanforderungen für die Zwischenjahre festgeschrieben werden. Insbesondere die beiden letztgenannten Vorschläge verringern die Emissionen laut UBA bis zum Jahr 2030 deutlich. Der im Rahmen des „fit for 55-Pakets“ auf EU-Ebene vorgelegte Vorschlag der EU-Kommission enthält demgegenüber nur eine Verschärfung des 2030-Zieles für Pkw auf -55 Prozent; eine Zielverschärfung für 2025 oder Vorgaben für die Zwischenjahre sind nicht vorgesehen.
Ergänzend dazu sollte auf nationaler Ebene eine Elektro-Quote für neuzugelassene Pkw eingeführt werden, schlägt das UBA vor. Dies sei insbesondere dann notwendig, wenn die EU-Flottenzielwerte nicht ausreichend verschärft werden. Hierfür sollte für 2025 ein Anteil von 40 Prozent und im Jahr 2030 ein Anteil 85 Prozent von Elektrofahrzeugen an den neuzugelassenen Pkw festgelegt werden. Diese Maßnahme sollte um ein an CO2-Emissionen orientiertes Bonus-Malus-System beim Pkw-Neukauf ergänzt werden. Mit diesen Instrumenten wäre ein Hochlauf der Elektromobilität bis 2030 auf 15 Millionen Elektroautos im Bestand möglich. Ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor für Neuzulassungen wäre spätestens zwischen 2032 und 2035 notwendig.
Auch die europäischen CO2-Flottenzielwerte für SNF müssen verschärft werden, so das UBA. Im schweren Nutzfahrzeugverkehr müssen in Deutschland bis 2030 mindestens 30 Prozent der Fahrleistung elektrisch erbracht werden – dies schließt auch aus erneuerbarem Strom hergestellte, treibhausgasneutrale Kraftstoffe wie beispielsweise Wasserstoff ein. Im Zeitraum von 2035 bis 2038, und damit deutlich vor 2040, sei auch beim Lkw ein Ausstieg aus dem reinen Verbrennungsmotor vollzogen. Hierzu werden die europäischen CO2-Flottenzielwerte für SNF so verschärft, dass Lkw mit reinen Verbrennungsmotoren nicht mehr in den Markt gebracht werden können.
Grenzen des Elektro-Hochlaufs
Einem noch schnelleren Hochlauf der Elektromobilität seien allerdings auch Grenzen gesetzt, räumt das UBA ein. Limitierende Faktoren seien zum einen die Herstellung und Entsorgung von Fahrzeugen und Komponenten, v.a. der Batterien. Zum anderen müsse die Bereitstellung umweltschonend geförderter Rohstoffe sichergestellt werden. Je früher Elektrofahrzeuge in den Markt gebracht werden, desto höher ist der Rohstoff- und Energiebedarf pro Kilowattstunde Kapazität der Batterie. Daher seien zeitgleich Regelungen zur Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit und Recycelbarkeit insbesondere von Fahrzeugbatterien und deren Komponenten zu entwickeln, um frühzeitig einen möglichst geschlossenen Rohstoffkreislauf zu gewährleisten.
Um relevante Verknappungen von Rohstoffen zu vermeiden und Importe von Rohstoffen aus Konfliktgebieten zu verringern, sei zusätzlich die Forschung an Post-Lithium-Ionen-Akkus zu intensivieren, um deren schnelle Markteinführung zu ermöglichen und dadurch Rohstoffe zu sparen.
In Ergänzung zum Hochlauf der Elektromobilität könne mit Effizienzverbesserung aller Fahrzeuge (alle Antriebe, alle Fahrzeugklassen) ein wichtiger Beitrag zur Energieverbrauchsreduktion gewährleistet werden. Beim Pkw, auch durch die CO2-Bepreisung und das Bonus-Malus-System unterstützt, finde schon bis 2030 eine Segmentverschiebung hin zu kleineren und leichteren Pkw statt, die den Energieverbrauch des Verkehrs zusätzlich senken und dadurch maßgeblich zur Erreichung der Ziele beitragen kann.
Postfossile Kraftstoffe für den Luft- und Seeverkehr
Alternative Kraftstoffe spielen für den Klimaschutz im Verkehrsbereich nur dann eine Rolle, wenn sich die Verkehrsmittel nicht oder nur schwer direkt elektrifizieren lassen, wie dies bei den internationalen Luft- und Seeverkehren sowie ggf. bei Teilen des Lkw-Fernverkehrs der Fall ist, so das UBA. Die Integration dieser Kraftstoffe wird bereits in internationalen, europäischen und nationalen Regeln angegangen. So werden zur nationalen Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (RED II) voraussichtlich alternative Kraftstoffe in der Größenordnung von 35 bis 40 TWh im Jahr 2030 notwendig sein.
Sektorübergreifend, aber auch explizit für den Luft- und Seeverkehr sollte die Produktion von postfossilen, aus erneuerbarem Strom hergestellten Kraftstoffen (Power-to- Liquid/PtL und Power-to-Gas/PtG) zeitnah angegangen und die notwendigen Anlagen aufgebaut werden. Die hierbei entstehenden prozessbedingten Koppelprodukte in Power-to-Liquid-Anlagen könnten dann auch in den Teilen des landgebundenen Verkehrs eingesetzt werden, die nicht oder nur schwer elektrifizierbar sind (z.B. Sonderfahrzeuge der Feuerwehr, ggfs. übergangsweise auch Lkw im Fernverkehr), oder im Fahrzeugbestand genutzt werden.
Die Schaffung neuer Instrumente für einen nachfrageseitigen Anreiz, PtL/PtG im landgebundenen Verkehr einzusetzen, sei nicht zielführend, so das UBA. Auch sollte der Einsatz von solchen postfossilen Kraftstoffen, wie auch von anderen alternativen Kraftstoffen, nicht über eine Anrechnung bei den CO2-Flottenzielwerten angereizt werden. Beides stehe der effizienteren und damit prioritären Lösung – nämlich der Elektrifizierung – entgegen und verhindere eine schnellere Minderung des Energieverbrauchs von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.
Verkehrswende aktiv gestalten: Verkehr vermeiden und verlagern
Ein weiterer zentraler Baustein sei auch die Verringerung der Verkehrsmengen und die Verlagerung auf klimaschonendere Verkehrsträger, sowohl beim Personen- als auch Güterverkehr. Als Grundlage erfordere dies eine verursachergerechte Bepreisung des Verkehrs, bei welcher der CO2-Preis deutlich oberhalb des aktuellen Preispfads liegt und die den Abbau umweltschädlicher Subventionen im Luftverkehr, bei Dienstwagen, Diesel und Entfernungspauschale einschließt. In den nächsten Jahren sollte die Einführung einer fahrleistungsabhängigen Pkw-Maut auf allen Straßen geprüft werden, die dann um das Jahr 2030 eingeführt werden könnte und sich an den externen Kosten des Verkehrs orientiert. Im Güterverkehr sei eine frühzeitige Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Lkw, alle Straßen und eine Internalisierung aller externer Kosten notwendig.
Für den Personenverkehr sei auch der schnelle und massive Ausbau des öffentlichen Verkehrs über den bereits jetzt sehr ambitionierten Ausbaupfad hinaus erforderlich. Das gehe einher mit noch mehr Investitionen in die Schieneninfrastruktur (inkl. Digitalisierung, v.a. Leit- und Sicherungstechnik, und Lärmschutzmaßnahmen) und einer weiteren Erhöhung der finanziellen Mittel für die Bestellung von öffentlichem Verkehr zur Umsetzung eines verbesserten Verkehrsangebotes.
Durch eine Verbesserung im Fernverkehr mit der Bahn könne auch ein Großteil innerdeutscher Flüge auf die Schiene verlagert werden. In Ergänzung zum liniengebundenen öffentlichen Verkehr müssen auch bedarfsgesteuerte ÖPNV- und Sharing- Angebote in Städten, aber auch in ländlichen Gebieten weiter ausgebaut werden, findet das UBA.
Es gelte zudem, den Rad- und Fußverkehr deutlich zu stärken. Hier liege der Fokus auf mehr Investitionen in die Infrastruktur, einer beschleunigten Planung sowie einer gerechteren Verteilung des öffentlichen (Straßen-)Raums.
Damit die oben beschriebenen Maßnahmen zum Erreichen der Klimaschutzziele im Jahr 2030 beitragen, müsse in den kommenden Jahren ausreichend Personal für Planung und Bau der Infrastruktur sowie den Betrieb im öffentlichen Verkehr ausgebildet werden. Hierfür müsse die Finanzierung sichergestellt sein. Zudem müsse das Straßenverkehrsrecht auf die Erfordernisse der Verkehrswende ausgerichtet werden, so das UBA. Dafür sollten die Ziele zum Klima-, aber auch des Umwelt-, Ressourcen- und Gesundheitsschutz im Straßenverkehrsrecht verankert werden. Das UBA fordert deshalb ein allgemeines Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Außerortsstraßen sowie eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h in Städten.
Viele der aufgezeigten Instrumente und Maßnahmen für eine Verkehrswende wirken mittel- und langfristig und liefern erst nach 2030 nennenswerte Beiträge zum Klimaschutz. Damit sie dann aber ihre volle Wirksamkeit erlangen können, müssen sie schon heute auf den Weg gebracht werden. Eine Verkehrswende komme zudem nicht nur dem Klimaschutz zugute, sondern erhöhe auch die Umwelt- und Lebensqualität – gerade in Städten und Ballungsräumen.
Quelle: Umweltbundesamt – Jetzt handeln: Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2030! / Umweltbundesamt – Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2030: So kann es gehen! (PDF)