Die Kette an Wirtschaftsvertretern und Politikern, die wegen der Corona-Krise an Klimagesetzen rütteln wollen, reißt nicht ab. Zuletzt forderte der Wirtschaftsrat der CDU eine Überprüfung von teils längst beschlossenen Klimavorgaben. Nach dem Ende der Pandemie müssten „prinzipiell alle Sonderbelastungen der deutschen Wirtschaft auf den Prüfstand“ gestellt werden, die einer Erholung im Wege stünden, sagte der Generalsekretär des Rates, Wolfgang Steiger, der Süddeutschen Zeitung (SZ). Durch einen Sonderweg in der Klima- und Energiepolitik drohe Deutschland eine „Deindustrialisierung“, warnte Steiger. Er plädierte zudem für eine „zeitliche Streckung der klimapolitischen Zielvorgaben“ auf EU-Ebene.
Die EU-Kommission hingegen will an ihrem Green Deal trotz Corona festhalten. Der Klimaschutz soll, neben der Digitalisierung, beim „Wiederaufbau eine ganz zentrale Rolle spielen“, sagte Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen. Dieser Meinung sind auch zehn Umweltminister der EU, die in einem Brief an die Kommission forderten, gerade jetzt den Green Deal zu forcieren. Europa müsse „ein starkes Signal an die Welt und unsere Bürger senden, dass die EU selbst in schwierigen Zeiten vorangeht.“
Etliche weitere Klimaexperten und nachhaltig eingestellte Politiker warnen ebenfalls davor, im Kampf gegen die Klimakrise wertvolle Zeit zu verspielen. Sie fordern für den Wiederanlauf der Wirtschaft nach Corona verstärkt Investitionen in nachhaltige Technologien. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) etwa rief das Ziel aus, nach der Corona-Krise „Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität“ miteinander zu verbinden, sagte sie der SZ. Dies sei möglich, „wenn wir den Weg aus der Corona-Krise auch dazu nutzen, klimaverträgliche und nachhaltige Wirtschaftsstrukturen zu fördern“.
„Eine Krise macht die andere nicht weg oder kleiner“
Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan äußerte in der SZ die Hoffnung, dass die Politik nach der Erfahrung der Corona-Krise nun „auch in der Klimakrise beginnt, den Wissenschaftlern zuzuhören und ihre Empfehlungen“ umzusetzen. Die Klimakrise sei ein Fakt, der weiterhin stattfindet. „Eine Krise macht die andere nicht weg oder kleiner“, sagte sie, und die Pandemie habe die Schwächen des derzeitigen Wirtschaftssystems schonungslos offengelegt. Nun biete sich die Chance, viele Dinge grundlegend zu ändern, sagte Morgan. „Was wir gerade erleben“, sagte Morgan der SZ, „ist ein Moment für unsere Zukunft.“
„Die Schlüsselfrage“ sei, ob wir in Sachen Klimaschutz nach Corona Zeit gewinnen oder verlieren, sagte Christoph Bals, Klimaexperte der Entwicklungsorganisation Germanwatch, der SZ. Er schlägt vor, Corona-bedingte Fördergelder und Hilfen an Nachhaltigkeit und alternative Technologien zu knüpfen. Fließe das Geld dahin, könne das den Weg in eine klimafreundliche Zukunft beschleunigen. „Wenn es aber in alte Technologien geht und damit deren Lebensdauer verlängert“, so Bals, „dann wirft uns diese Krise um Jahre zurück.“
Auch einige Unternehmenschefs sind der Meinung, dass Klimaschutz und das Ankurbeln der Wirtschaft nach der Corona-Krise nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. BMW-Chef Oliver Zipse etwa machte sich für eine „Innovationsprämie“ stark, die „eine doppelte Chance“ biete: „Sie kann als Konjunkturmaßnahme die Wirtschaft ankurbeln und gleichzeitig den Umstieg der Kunden auf klimaschonende Technologien beschleunigen. So kombinieren wir wirtschaftliche Erholung mit wirksamem Klimaschutz, anstatt beides gegeneinander auszuspielen“, sagte Zipse.
Quelle: Süddeutsche Zeitung — Wie Corona den Klimaschutz in Gefahr bringt // NTV — Drohende „De-Industrialisierung“ — CDU-Wirtschaftsrat will Klimaziele kippen