Vor und hinter dem Stecker muss es schneller gehen

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Patrick Solberg
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Aktuell sieht es in Deutschland nicht gut aus rund um die Elektromobilität. Während es in vielen europäischen Ländern mit den Zulassungen weiter nach oben geht, hinken die deutschen Elektroverkäufe massiv hinterher. Unter anderem mehr Ladesäulen und ein schnelleres Ladetempo könnten das ändern, um Skeptiker zu überzeugen. Doch aktuell hapert es an beiden Seiten des Steckers.

Aktuell haben reine Elektroautos in der deutschen Verkaufsstatistik kaum eine Chance gegen Hybridmodelle. Wer sich die Ergebnisse von Kundenkliniken und repräsentativen Befragungen anschaut, bekommt für die deutsche Verkaufszurückhaltung immer wieder die gleichen Antworten genannt. Neben den hohen Verkaufspreisen sind es insbesondere die als schlecht empfundenen Reichweiten und die als unzureichend wahrgenommene Infrastruktur, die die potenziellen Kunden von einem Kauf abschrecken.

Viele haben die ehemals geplanten Neuerwerbe daher zurückgestellt und bleiben noch länger im eigenen Fahrzeug oder kaufen wieder einen Verbrenner – neu oder gebraucht. Keine Überraschung, dass das Durchschnittsalter der Privatfahrzeuge auf deutschen Straßen mittlerweile bei über zehn Jahren liegt. Jene, die sich dann doch für ein neues Modell entscheiden, greifen unverändert gerne zum bekannten Benziner oder Diesel. Und wenn schon Elektro, dann sind Hybridmodelle mit oder ohne Stecker oftmals beliebter denn je. Im vergangenen Monat lag der Zulassungsanteil von Elektroautos in Deutschland gerade einmal bei 12,6 Prozent und somit etwa auf Niveau des Vorjahres.

Beim Netzausbau liegen viele europäische Länder und somit auch Deutschland hinter den Erwartungen der Kunden sowie den eigenen Planungen zurück. Nachdem die Autobahnen mittlerweile recht gut mit einer Ladeinfrastruktur versorgt sind, hapert es zumeist in den Städten ebenso wie in kleinen Ortschaften oder auf dem Land. Hier ist weder die Zahl der Ladesäulen ausreichend noch das Ladetempo an sich. Denn auch wenn die Verkaufszahlen der Elektromodelle weit geringer sind als ehemals erwartet und die Reduzierung der Verkaufsförderungen in einigen Ländern die Nachfrage nach Fahrzeugen mit Stecker signifikant abfallen ließ, wurden mittlerweile derart viele Autos verkauft, dass die Ladesäulen in den Innenstädten oft über ihrer Kapazitätsgrenze liegen.

Schnelles Laden in der Stadt ist schwierig

Zudem ist schnelles Laden in der Stadt schwieriger denn je. Viel mehr als 22 Kilowatt gibt es hier oft nicht, und selbst in Metropolen wie Hamburg oder München sucht man Hypercharger mit mehr als 150 Kilowatt Ladeleistung innerhalb der Innenstadt in der Regel vergebens. Doch es sind nicht allein die meist kommunalen Betreiber, die mit ihren Ladesäulen und speziell den Hochgeschwindigkeitsanlagen nicht nachkommen.

Auch bei den Autoherstellern hapert es am Ladetempo. Jene Modelle, die schnell mit mehr als 250 Kilowatt nachladen können und sich damit insbesondere für lange Strecken eignen, sind rar gesät. So mancher Kleinwagen kann an der Zapfsäule selbst unter optimalen Umständen mit maximal 100 Kilowatt nachladen. Das gilt für nahezu die gesamten Modelle des Stellantis-Konzerns vom Peugeot e-208 über Lancia Ypsilon bis hin zum Opel Astra Electric. Die jüngst vorgestellten Mini-Modelle des Cooper SE oder eines Mini Aceman tanken an der Ladesäule mit schmalen 75 bis 95 kW nach.

Selbst viele Modelle der Mittel- und Oberklasse wie ein Audi Q8 E-tron, BMW i5 oder Mercedes EQE und EQS liegen allenfalls bei rund 200 kW. Unzeitgemäß für ein 2024er Modell und unverständlich wer das internationale Wettbewerbsumfeld mit Modellen von Tesla, Audi, Porsche oder Hyundai sieht, die schon länger bis zu 270 Kilowatt bieten. Und langsam kommen nunmehr erste Modelle wie der Porsche Taycan, ein Lucid Air oder der Audi E-tron GT, die über 300 kW an der Ladesäulen in sich aufnehmen. Doch selbst der neue VW ID.7, der erfolgreich gegen das Tesla Model 3 antreten will, lädt als Langstreckenlimousine mit maximal 200 kW.

Wenn zum müden Ladetempo eines Klein- oder Mittelklassewagens dann noch ein allzu kleines Akkupaket mit 40 bis 50 kWh kommt, wird es zäh auf einer längeren Fahrt. Denn wer denkt, dass die kleinen Fahrzeuge ausschließlich in der City oder in einem urbanen Umfeld bewegt werden, irrt. Auch Opel Corsa, Hyundai Kona, Mini Cooper SE oder MG 3 sind regelmäßig auf langen Distanzen unterwegs. Sei es nur, Freunde oder die Familie zu besuchen, ein Kurztrip ins Wochenende oder der Konzertevent in Norddeutschland.

Wer sich auf eine längere Fahrt mit einem Elektroauto macht, dessen Akku schon auf dem Papier nur für 350 Kilometer reicht, muss sich damit abfinden, was aus dieser alles andere als beeindruckenden Reichweite bei Autobahntempo oder gar im Winter wird. Statt der in Aussicht gestellten 350 Kilometer sind das im Realbetrieb kaum mehr als 200, 250 Kilometer und wenn es dann beim Ladetempo hakt und durch die Langstrecke selbst am Schnelllader mitunter mehrfach bis zu einer halben Stunde nachgeladen werden muss, entscheidet man sich das nächste Mal doch wieder für die Bahn oder den Flieger – oder wählt eben ein Auto mit Verbrenner, wenn er die Probleme von Ladetempo und geringer Reichweite im Freundeskreis mitbekommen hat. Es wird Zeit, hier nachzubessern.

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