Im Jahr 2020 verkauften sich weltweit mehr Elektroautos denn je. Größere Reichweiten dank leistungsstarker Batterien sollen helfen, diesen Trend fortzusetzen. Um die Sicherheit der Antriebe zu garantieren, hat das Zulieferunternehmen Freudenberg Sealing Technologies ein Produkt kreiert, das zwei Funktionen in sich vereint: den Druckausgleich im Normalbetrieb und die Notentgasung im Notfall.
Wer das Produkt, ein Kunststoffteil namens DIAvent, in die Hand nimmt, der mag es unscheinbar finden. Mit einem Durchmesser von lediglich 55 Millimetern und einer Höhe von 16 Millimetern ist es zudem nicht übermäßig groß. Doch was so unspektakulär erscheint, hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Der Clou des Produkts, das am Batteriegehäuse von Elektroautos angebracht wird, liegt in seinem Innenleben. Vliesstoff-Elemente sorgen dafür, dass die Lithium-Ionen-Batterien nicht nur angemessen be- und entlüftet werden, sondern auch vor Feuchtigkeit geschützt sind. Und bei Notfällen hilft eine elastische Dichtlippe dabei, große Gasvolumen schnell abzuführen und das Batteriegehäuse anschließend wieder vollständig abzudichten.
„Das Interesse unserer Kunden an DIAvent ist sehr groß, was nicht zuletzt vier Serienaufträge zeigen. Wir haben mit DIAvent folglich auf das richtige Thema für unser zukünftiges Portfolio gesetzt.“ – Tanja Heislitz, Technical Director e-mobility bei Freudenberg Sealing Technologies
Lithium-Ionen-Batterien sind das Herzstück von Elektroautos. Das Gehäuse aus Metall oder Kunststoff soll die darin platzierten Zellen vor Staub, Feuchtigkeit und Ölen schützen. Dabei sind zwei Trends zu beobachten: Um die Reichweite der E-Autos zu erhöhen, nimmt die Energiedichte der Batteriezellen beständig zu. Zudem werden die Zellen im Batteriegehäuse immer enger angeordnet, um so wenig wie möglich „totes Volumen“ zu erhalten.
Gleichzeitig werden die Gehäuse immer leichter, dünnwandiger und somit druckempfindlicher. Damit sich das Gehäuse auf Passstraßen oder zwischen einem Kaltstart und hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn nicht verformt, bedarf es eines effizienten Druckausgleichs. Bislang übernahm dies eine poröse PTFE-Folie. Sie reagiert jedoch empfindlich auf zerstörende mechanische Einflüsse sowie Verunreinigungen durch Partikel oder Öle. Dies kann die Luftdurchlässigkeit und letztlich die Druckausgleichsfunktion im Normalbetrieb beeinträchtigen.
In den Gehäusen von Batterien können sich unter Störfall-Bedingungen schlagartig Gase oder große Hitze entwickeln. Diese werden beispielsweise durch die Zerstörung von Zellen bei einem Unfall, durch Fremdkörper, die in die Zelle gelangen, oder durch Kurzschlüsse freigesetzt. Dann müssen Druck und Hitze schnell entweichen, andernfalls droht das Gehäuse zu bersten. Eine Gefahr für das Fahrzeug und dessen Insassen.
Deshalb benötigt jede Batterie eine zu 100 Prozent verlässliche Notentgasung. Bislang war dies nur möglich, indem eine Berstscheibe bei entsprechenden Druckdifferenzen von einem Pin durchstoßen wurde. Dieses Prinzip bannt zwar die akute Gefahr, jedoch auf Kosten weiterer: Das Batteriegehäuse bleibt nach der Aktivierung der Berstscheibe dauerhaft geöffnet. Umgebungsluft kann ins Innere der Batterie gesogen werden, was unkontrollierbare thermische Reaktionen zur Folge haben kann. Zudem kann Feuchtigkeit eindringen, was den sicheren Transport der schadhaften Batterie verkompliziert. Darüber hinaus können toxische Produkte nach außen gelangen.
Aus zwei mach eins: DIAvent
DIAvent ist laut Freudenberg Sealing Technologies die passende Antwort auf diese Schwächen. Es bewältigt sowohl den Normalbetrieb wie die Notfallentgasung und macht damit die PTFE-Folie sowie Berstscheiben überflüssig. Im Regelbetrieb sorgt das Ventil für einen beständigen Druckausgleich. In ihm integrierte atmungsaktive Vliesschichten ermöglichen den gewünschten Luftaustausch von rund 16 Litern pro Minute, wie der Zulieferer mitteilt. Zugleich verhindert die einem Filter nachempfundene Druckausgleichslage das Eindringen von Wasser und Schmutz.
Bei einer Notentgasung kommt die zweite Funktion des DIAvent ins Spiel. Ein Schirmventil reagiert ab einer bestimmten Druckdifferenz zwischen dem Inneren der Batterie und der Atmosphäre. Ab dann öffnet das Ventil und lässt bei einem Differenzdruck von 300 Millibar 15 Liter Gas pro Sekunde über seitlich angebrachte Öffnungen entweichen. Doch damit nicht genug: Ist das Gas ausgetreten, federt die elastische Dichtlippe zurück und schließt die Batterie wie zuvor wasserdicht ab.
Daneben nutzt es die Notentgasungsfunktion, um kurzfristige Druckspitzen abzubauen. Sobald diese einsetzen, öffnet sich das Schirmventil, nimmt Druck vom System und schließt sofort wieder. Die konventionelle Lösung mit Berstscheiben bliebe dann offen, obwohl womöglich gar kein gravierender Notfall vorlag.
Doch wie kommt mit Freudenberg Sealing Technologies ein Spezialist für Dichtungslösungen dazu, ein solches Produkt auf den Markt zu bringen? „Wir erleben in der Fahrzeugbranche eine Transformation hin zur Elektromobilität. Das heißt, die Hersteller werden zwar weiterhin Dichtungen von uns benötigen“, führt Tanja Heislitz aus, Technical Director e-mobility bei Freudenberg Sealing Technologies. „Allerdings spielen Materialentwicklungen für die Sicherheit des batterieelektrischen Fahrzeugs eine immer größere Rolle.“ Denn wäre die Sicherheit nicht garantiert, dann würde das wachsende Interesse der Verbraucher an dem alternativen Antrieb erkalten. „Die Sicherheit entscheidet über den Erfolg der Elektromobilität und wir machen die Elektromobilität mit unserem DIAvent sicherer“, bringt es Heislitz auf den Punkt.
Innovating together als Innovationsbasis
Freudenberg Sealing Technologies hatte jedenfalls laut eigener Aussage beste Voraussetzungen für die DIAvent-Entwicklung. „Wir verfügen über eine außergewöhnliche Kompetenz bei der Materialentwicklung. Sie ist unsere DNA. Und sie war auch der Schlüssel zum Erfolg von DIAvent“, sagt Heislitz. So besteht die Dichtlippe aus einem speziellen Silikon-Elastomer. Dessen Steifigkeit können die Elastomer-Experten derart genau einstellen, dass er bei zuvor festgelegten Druckverhältnissen zuverlässig reagiert und damit den Weg zur Notentgasung frei macht, danach aber auch wieder automatisch schließt.
Hinzu kommt, dass innerhalb der Freudenberg-Gruppe der Geschäftsbereich Performance Materials das Know-how für leistungsfähige Vliesstoffe beisteuerte. „DIAvent ist der perfekte Beleg des Freudenberg-Claims ‚Innovating together‘. Wir haben gezeigt, dass wir in dem für uns neuen Segment gute Ideen haben und sie in die Realität umsetzen können. Damit haben wir uns rasch Glaubwürdigkeit erworben“, ist Heislitz überzeugt.
Zwischen dem Anstoß zur DIAvent-Entwicklung und der Serienreife lagen gerade einmal vier Jahre. Ein durchaus kurzer Zeitraum für eine derartige Innovation. Der Markt verlangt aber nach immer kürzeren Entwicklungszyklen. Ideengeber des DIAvent war unter anderem Dr. Peter Kritzer, Senior Application Manager e-mobility. Er erkannte früh das Potenzial eines solchen Bauteils und gab wertvolle Denkanstöße. Mit Christian Kleinke, Christopher Schäfer und Roman Herzog machten sich drei Entwickler an die Konzeption eines Prototypen. Und das gewissermaßen parallel zum Tagesgeschäft.
„Das zeigt, dass wir nicht lange grübeln, sondern auch einfach mal machen“, unterstreicht Heislitz. Zusammen mit Schlüsselkunden entwickelte Freudenberg Sealing Technologies das Druckausgleichselement schließlich zur Serienreife. Die Vorteile liegen auf der Hand: DIAvent erhöhe die Sicherheit der Batterie signifikant. Es ist robuster als die bisherigen Lösungen. Es lässt sich leicht am Gehäuse anbringen. Und es hilft Kosten zu sparen, weil es zwei Funktionen in einem Bauteil vereint.
Starker Kundenfokus, starke Nachfrage
Da jeder Fahrzeughersteller für seine Modelle auf unterschiedliche Batterien setzt, hat allerdings jeder andere Anforderungen an DIAvent. „Im Automotive-Bereich produzieren wir fast ausschließlich Produkte, die an die Bedürfnisse der Kunden angepasst wurden“, sagt Tanja Heislitz. Dabei bleibt die Funktionsweise unverändert, aber unterschiedlich dicke Gehäusewände machen Modifikationen notwendig. Zudem variiert, wie das Element am Gehäuse angebracht wird. Am meisten nachgefragt sind Verschraubungen. Aber auch lösbare wie nicht-lösbare Bajonett-Lösungen sind möglich. „Wir setzen uns mit unseren Kunden zusammen und entwickeln die Lösung, die für sie passt. Das ist unser oberstes Gebot“, betont Heislitz den kundenzentrierten Ansatz. „Denn nur so erfüllen unsere Innovationen ihren Zweck: den Anwendern in einem bestimmten Bereich ihren größten Schmerz zu nehmen.“
Seit 2020 haben erste Hersteller DIAvent im Serieneinsatz. Etwa Abt, das den e-Caddy und den e-Transporter von Volkswagen damit ausrüstet. Daneben verwendet der chinesische Fahrzeughersteller BJEV DIAvent. Auch ein indischer Fahrzeugproduzent sowie ein Batteriehersteller vertrauen inzwischen darauf.
Derweil hat Freudenberg Sealing Technologies DIAvent weiterentwickelt, da bei immer leistungsfähigeren Batterien im Notfall immer mehr Gasvolumen abzuführen ist. DIAvent Highflow kann bis zu 120 Liter pro Sekunde bei einem Differenzdruck von 500 Millibar abgeben. Im Normalbetrieb tauscht es 10 Liter Luft pro Minute aus. Die Modifikation musste erneut unter großem Zeitdruck erfolgen. „Wir haben den Winkel der Dichtlippe optimiert und zusätzliche Abluftkanäle integriert. Was sich simpel anhört, bedurfte vieler Simulationen und Überarbeitungen“, so Heislitz. Die Nachfrage sei auch hier groß und einige Anwender beabsichtigen, mehrere der neuartigen Druckausgleichselemente am Batteriegehäuse anzubringen.
Druckausgleichelemente auch für Brennstoffzellen und E-Motoren
Die Weiterentwicklung des DIAvent ist nicht auf die Anwendung bei Batterien begrenzt. Mit DIAvent Light hat Freudenberg Sealing Technologies ganz aktuell eine Modifikation auf den Markt gebracht, die Brennstoffzellen und E-Motoren dazu verhelfen soll, gut mit dem herrschenden Umgebungsdruck umzugehen. Da in beiden Fällen keine Notentgasung benötigt wird, verfügt DIAvent Light lediglich über die druckregulierende Funktion, die aber nicht minder wichtig ist.
Quelle: Freudenberg Sealing Technologies – Pressemitteilung vom 13.07.2021