Prof. Matthias Klingner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI), ist der Meinung, dass immer schärfere Schadstoff-Grenzwerte und Dieselfahrverbote nicht die richtige Basis dafür sind, um der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Generell ist er sogar der Meinung, dass es weitaus bessere Möglichkeiten gäbe, unsere Verkehrs- und Schadstoffprobleme zu lösen.
Bei allen momentan diskutierten Lösungen wie etwa reinen Elektroautos oder Brennstoffzellenautos, die mit Wasserstoff angetrieben werde, stelle sich die Frage, „ob sich das Ganze wirtschaftlich durchsetzt“, so Klinger in einem Interview mit dem Magazin Produktion: „Ob man wirklich die Infrastruktur aufbaut, aus der Erkenntnis heraus, dass so eine Infrastruktur eine bestimmte Lebensdauer haben muss. Wenn wir uns ansehen, was momentan alles parallel läuft: Es werden die Wasserstoff-Technologien wieder vorangetrieben, wir reden über die künstlichen Kraftstoffe, wir reden über die Elektromobilität – man kann heute noch nicht sagen, wann sich das wirklich am Markt im einzelnen durchsetzen wird. Deshalb ist es immer wieder schwierig zu entscheiden, ob es sich wirklich lohnt, die Infrastruktur hinsichtlich der Lebensdauer, über die man solche Investitionen abschreibt, aufzubauen“, gibt der Forscher zu Bedenken.
Vor allem im ÖPNV sieht Klinger aber große Chancen für rein elektrische Konzepte, in diesem Bereich seien „die technischen Probleme weitgehend gelöst“ und dank entsprechender Fördertöpfe seitens der Politik seien auch „die Rahmenbedingungen nicht schlecht“.
Im ÖPNV-Bereich sei „die Elektrifizierung auch der nächste, wichtigste Migrationsschritt, um Elektromobilität wirklich in den Verkehr zu bringen. Im Linienverkehr weiß man, welche Energieverbräuche man durch die Batterien abdecken muss, da kann man die Ladeinfrastruktur daran anpassen. Hinzu kommt, dass auch in den Fahrzeugen genügend Platz ist, entsprechende Batteriesysteme einzubauen.“
Bei PKW hingegen gebe es viele Probleme, die in der aktuellen Diskussion oft noch kaum Berücksichtigung finden, wie etwa die notwendige massive Ausstattung mit Lademöglichkeiten: „Wenn wir uns vorstellen, 50 Prozent der Fahrzeuge wären vollelektrisch – wo soll denn die ganze Ladeinfrastruktur verfügbar sein, um die Fahrzeuge über Nacht oder auch über den Tag zu laden? Dazu bräuchte man einen Netzausbau in den urbanen Zentren, der wahnsinnig viel Geld kostet, sodass sich das auch auf die Energiepreise für jedermann umschlagen würde“. Klingner sieht deshalb „keine Chance, in absehbarer Zeit auf konventionelle Antriebe verzichten zu können.“
Für bessere Luft in Städten gebe es außer der schwer zu bewerkstelligenden Antriebswende noch einige weitere, schneller umsetzbare Möglichkeiten, etwa cleverere Ampelschaltungen: „Im Stop-and-Go-Verkehr haben wir 30 bis 40 Prozent mehr Emissionen und Kraftstoffverbrauch“, sagt Klingner.
Ein prominentes Beispiel, wie sich durch intelligente Verkehrssteuerung Emissionen vermeiden lassen, sei Los Angeles: Dort habe man „für sehr viel Geld die gesamten Ampelanlagen so synchronisiert, dass der Bürgermeister 15 bis 20 Prozent Kraftstoffeinsparung konstatieren und am Ende des Projektes für jeden Bürger von LA zusichern konnte, dass alle einen Tag weniger im Jahr im Stau stehen. In diese Richtung sollten wir uns wirklich stark machen, weil darin riesige Potenziale stecken.“
Quelle: Produktion – “E-Mobility braucht keine Fahrverbote, sondern Infrastruktur”