Deutschland soll eine global führende Wasserstoff-Industrie aufbauen, in der Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe eine entscheidende Rolle spielen sollen. Dieses Ziel sei jedoch durch einen aktuellen Gesetzesplan des Bundesumweltministeriums (BMU) ernsthaft gefährdet, so der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband (DWV), der Mineralölwirtschaftsverband (MWV), der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) in einer gemeinsamen Mitteilung.
Nach Ansicht der vier großen Industrieverbände führe der Referentenentwurf zur nationalen Umsetzung der europäischen Erneuerbare-Energie-Richtlinie (RED II), in der die EU die Mindestmengen an erneuerbaren Energien für den Verkehrssektor festlegt, in die falsche Richtung und sollte daher gestoppt werden. Vor dem Hintergrund einer Anhörung zum Thema Wasserstoff im Deutschen Bundestag fordern die vier Verbände, den Referentenentwurf, unter der Berücksichtigung aller möglichen Optionen und einer Anerkennung der Klimaziele 2030, zukunftsweisend vollständig zu überarbeiten und erneut in die Verbändeanhörung und Ressortabstimmung zu geben.
Der Gesetzesvorschlag schaffe weder die Rahmenbedingungen für den Markthochlauf einer deutschen Wasserstoffwirtschaft, noch führe er zu zusätzlichen CO2-Einsparungen im Verkehr. Somit ignoriere der Entwurf faktisch die Nationale Wasserstoffstrategie, in der die Bundesregierung ambitionierte Ziele im Rahmen der RED II-Umsetzung vorgibt. Nur mit einer ambitionierten Umsetzung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie und unter Einsatz von synthetischen Kraftstoffen sei eine Verkehrswende und das Erreichen der EU-Klimaziele bis 2030 möglich. Und bei der bestehenden Fahrzeugflotte mit Verbrennungsmotoren könne nur mit Einsatz sogenannter E-Fuels eine schnell wirksame CO2-Reduzierung erreicht werden. Laut einer aktuellen Studie unter anderem im Auftrag des MWV weisen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die mit klimaneutralen Kraftstoffen auf Ökostrombasis angetrieben werden, eine ähnlich gute Energie-Gesamtbilanz auf wie batteriegetriebene Fahrzeuge. Dazu etwas später mehr.
Die Verbände befürchten zudem, dass das Umweltministerium mit seinem Entwurf hunderttausende Arbeitsplätze ebenso gefährdet wie den geplanten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Bei einer Überarbeitung müssten daher neben den Klimazielen gleichermaßen auch die Anforderungen der beteiligten Industrien sowie die nachhaltige Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft Berücksichtigung finden, betonen sie. Das Schreiben der Verbände wurde an das Bundeskanzleramt, zahlreiche Bundes- und Landesministerien, Abgeordnete sowie Mitglieder des Nationalen Wasserstoffrats versendet.
„Die deutsche Automobilindustrie will die KIimaschutzziele und CO2-Flottenziele der EU erreichen. Wir sind bereit und wollen die dazu notwendigen Beschlüsse auf die Straße bringen. Schon heute können die Kunden unter 70 E-Fahrzeugen deutscher Hersteller wählen. Bis Ende 2023 werden es mehr als 150 sein, das ist eine rasante Entwicklung und hat starke Priorität. Zugleich arbeiten wir an der Marktreife für E-Fuels und Wasserstoff. Auch der moderne Verbrennungsmotor hat Zukunft. Wir brauchen E-Fuels und Wasserstoff aus nachhaltigen Energiequellen, um auch bei den Millionen PKW im Bestand die Klimaziele zu erreichen. Und es wird auch neue, sparsame PKW und LKW mit Verbrennungsmotor geben. Daher ist auch die Forschung und Entwicklung klimafreundlicher Antriebe mit synthetischen Kraftstoffen und Wasserstoff wesentlich. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, gibt es zu dieser Doppelstrategie keine Alternative.“ – Hildegard Müller, Präsidentin VDA
Studie: Kaum Effizienzunterschied zwischen batterieelektrischen Antrieben und strombasierten Kraftstoffen
Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die mit klimaneutralen Kraftstoffen auf Ökostrombasis angetrieben werden, sollen eine ähnlich gute Energie-Gesamtbilanz aufweisen wie batteriegetriebene Fahrzeuge, wie aus der Studie „Der Effizienzbegriff in der klimapolitischen Debatte zum Straßenverkehr“ des Beratungsunternehmens Frontier Economics im Auftrag der Verbände MWV und UNITI hervorgehe. Grundlage dieser Neubewertung sei ein gesamtheitlicher Effizienzvergleich.
Die in bisherigen, konventionellen Analysen ausgewiesene Effizienz der direkten Nutzung von Ökostrom in batterieelektrischen Pkw von rund 70 Prozent schrumpfe in der ganzheitlichen Analyse von Frontier Economics auf magere 13 bis 16 Prozent. Sie liege damit in einer vergleichbaren Größenordnung mit Fahrzeugen, die mit Verbrennungsmotor und erneuerbaren Kraftstoffen betrieben werden. Deren Gesamteffizienz betrage je nach Szenario 10 bis 13 Prozent.
Ursache dieser Neubewertung ist, dass in konventionellen Analysen die Unterschiede der Erträge von Solar- oder Windanlagen je nach Standort völlig ausgeblendet seien. Anders ausgedrückt: Eine Solaranlage an einem durchschnittlichen Standort in Deutschland erzeuge nur rund 40 Prozent der Strommenge pro Jahr, die eine vergleichbare Anlage in Nordafrika produziere. Dieser höhere Stromertrag pro Anlage könne über den Import von Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen nach Deutschland im Straßenverkehr genutzt werden. Für batterieelektrische Fahrzeuge sei man dagegen weitgehend auf die erneuerbare Stromerzeugung im Inland angewiesen.
Bisherige Analysen zum Effizienzvergleich von Elektromobilität und erneuerbaren Kraftstoffen sollen darüber hinaus häufig weitere wichtige energiewirtschaftliche Aspekte außer Acht lassen, wie aus der Frontier-Studie hervorgehe:
- E-Autos müssen auch dann geladen werden können, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. In einem zu 100 Prozent erneuerbaren Stromsystem werde ein gewisser Anteil des Stroms für batterieelektrische Fahrzeuge daher auch über den Umweg der Zwischenspeicherung über Wasserstoff, das dann in Gaskraftwerken wieder in Strom umgewandelt wird, zur Verfügung gestellt werden müssen.
- Zudem werde häufig nicht berücksichtigt, dass Fahrzeuge zusätzlich Energie zur Kühlung und insbesondere auch zur Heizung des Innenraums benötigen.
Bedarf an Ökostrom-Anlagen nur unwesentlich höher als bei Elektromobilität
Besonders anschaulich werde das Ergebnis der Studie, wenn man vergleicht, wie viele Wind- und Solaranlagen errichtet werden müssen, um den Energiebedarf eines inländischen Pkw mit durchschnittlicher Jahresfahrleistung zu bedienen: Der Betrieb mit erneuerbaren Kraftstoffen erfordere rechnerisch eine Solarkapazität von 6 Kilowatt in Nordafrika, ein Elektroauto mit 5,7 Kilowatt fast ebenso viel Photovoltaik-Leistung in Deutschland. Bei Windstrom müssen für einen Pkw mit grünen Kraftstoffen 3 Kilowatt in Argentinien (Patagonien) oder 2,3 Kilowatt in Deutschland installiert werden. Das heißt, es müssten kaum mehr erneuerbare Stromerzeugungsanlagen für die Mobilitätsvariante des Fahrzeugs mit Verbrennungsmotors im Vergleich zum Batteriefahrzeug gebaut werden, diese aber an anderen, ertragreichen Standorten.
Dazu kommt, dass in Deutschland nicht 100 Prozent Ökostrom zur Verfügung steht und dass die Verfügbarkeit von Flächen mit hohen Ökostrom-Potenzialen und geringer Bevölkerungsdichte in Regionen wie Nordafrika oder Südamerika deutlich höher sei als hierzulande, die Kosten der Flächen und die Akzeptanzhürden seien aber niedriger.
„Strom deckt derzeit gut 20 Prozent des deutschen Endenergiebedarfs. Wind- und Photovoltaik-Anlagen tragen ca. 6 Prozent zur Bedarfsdeckung bei. Bei allem notwendigen Ausbau dieser Erzeugungsanlagen in Deutschland wird es auch langfristig nicht möglich sein, ohne substanzielle Energieimporte auszukommen. Damit diese dann erneuerbar sind, müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Die Abhängigkeit von Energieimporten und die in dieser Studie dargelegte ausgeglichene gesamtheitliche technische Effizienz von erneuerbaren Kraftstoffen und Elektromobilität verdeutlichen, dass eine Festlegung allein auf die batterieelektrische Variante im Straßenverkehr zum heutigen Zeitpunkt ein großer Fehler wäre.“ – Prof. Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer MWV
Quelle: VDA – Pressemitteilung vom 27.10.2020 // MWV – Pressemitteilung vom 26.10.2020