Der Wahn mit den Nordschleifen-Bestzeiten: Immer im Kreis herum

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Porsche / Press-Inform

Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 5 min

Es vergeht kaum ein Monat, in dem ein Autohersteller nicht mit irgendeinem Modell seine neue Bestzeit auf der Nordschleife des Nürburgrings verkündet. Bedeutung für den Kunden hat das keine, und der Imagewert durch die Rekordrunde von Verbrennern sowie Elektroautos scheint mehr als überschaubar.

Kurz vor dem Monatswechsel Juli auf August flatterte die nächste Nachricht über den Ticker. General Motors mit seinem prestigeträchtigen Sportwagen Corvette hat mit seinen beiden Boliden vom Typ ZR1 und ZR1X neue Bestzeiten auf der Nordschleife des Nürburgringes herausgefahren. Keine absolute Rekordrunde, nicht einmal eine für einen Sportwagen. Stattdessen rühmt sich General Motors nunmehr mit dem unbedeutenden Titel des schnellsten Autos von einem amerikanischen Hersteller auf der Eifelrennstrecke. „Kein Automobilhersteller hat zuvor einen solchen Rundenrekordversuch auf dem Nürburgring unternommen“, sagte GM-Präsident Mark Reuss etwas arg vollmundig. „Von der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Nordschleife des Nürburgrings, der Grünen Hölle, haben wir deutlich gezeigt, dass es keine Grenzen gibt für das, was unsere GM-Ingenieure und Fahrzeuge leisten können.“

Einst galt die Nordschleife des Nürburgrings nicht nur als eine der schwersten, sondern auch als eine der wichtigsten Teststrecken auf der Welt. Seit Jahrzehnten kommen Autohersteller, Reifen- und Fahrwerksentwickler oder Zulieferer in die Eifel, um auf der über 20 Kilometer langen Nordschleife selbst und den kaum weniger beeindruckenden Landstraßen in der Umgebung neue Produkte zu testen. Neben den Dauerläufen und Erprobungsrunden im sogenannten Industriepool begann irgendwann ein Wettrüsten um fragwürdige Rekordzeiten. Da die über drei Jahrzehnte gültige Bestzeit des einstigen Rennfahrers Stefan Bellof von knapp über sechs Minuten – gefahren im Qualifying eines Langstreckenrennens – unerreichbar schien, wurden von den Autoherstellern künstliche Kategorien erschaffen, um die eigene Sportlichkeit imposanter denn je nach außen stellen zu können.

Je kleiner die selbst kreierte Kategorie, umso leichter sind die Rekorde zu brechen, die es vorher oftmals gar nicht gab. Volkswagen kommunizierte Mitte Juni, dass der VW Golf GTI Edition 50 das schnellste Volkswagen-Serienfahrzeug auf der Nordschleife sei. Sportwagen oder besonders leistungsstarke Fahrzeuge hat der Wolfsburger Autobauer jedoch gar nicht im Angebot – also muss die Kompaktklassenlegende Golf GTI herhalten, um vermeintliche Bestmarken zu setzen. Bei der Rekordzeit von 7:46,13 Minuten für die knapp 21 Kilometer lange Eifelrennstrecke hätten die Testfahrer am Steuer der Corvette ZR1X wohl nur müde gegähnt. Pilot Drew Cattell brauchte für dieselbe Strecke am Steuer des deutlich kraftvoller motorisierten Amerikaners (5 und 5,5-Liter-V8-Doppelturbo mit 1250 PS) mit 6:49,28 Sekunden rund eine Minute weniger. Renault und Honda kämpften jahrelang um den Titel des schnellsten Fronttrieblers auf der Nordschleife. Zwischendurch setzte sich der Renault Megane RS Trophy vor den Honda Civic Type R und einen Mini John Cooper Works – alle mit knapp über 7:40 Minuten.

Das liegt jedoch weit hinter dem elektrischen Prototypen des VW ID R zurück, der 2019 mit dem ehemaligen Porsche-Werksfahrer Romain Dumas für die Nordschleife nur 6:05,34 Minuten benötigte. Die Niedersachsen wollten sich den Rekord von Nio zurückholen, denn der chinesische Elektrohersteller hatte zwei Jahre zuvor mit seinem Nio EP9 und Peter Dumbreck am Steuer 6:45,90 Minuten benötigt. Da der Nio EP9 jedoch kein echtes Serienfahrzeug ist, konnte sich der Rimac Nevera 2023 den Rekord eines elektrischen Serienfahrzeugs nach Kroatien holen. Martin Kodric brauchte mit dem 1900 PS starken Elektro-Rennwagen, einem der teuersten Serienautos auf der Welt, 7:05,29 Minuten. Der aktuelle Rimac Nevera R hat jüngst neue Weltrekorde in 24 Kategorien aufgestellt und mit einer Zeit von 25,79 Sekunden – 2,04 Sekunden schneller als der bisherige Rekordhalter – den Titel für die Beschleunigung von 0 auf 400 km/h zurückerobert.

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Auch der Sportwagengigant Porsche unterstreicht die eigene Dynamik allzu gerne mit Bestzeiten auf Rennstrecken in aller Welt. Besonders begehrt: die Rekorde auf der Nordschleife. Ebenfalls im Juni gab es jedoch erst einmal neue Bestmarken auf den Rennstrecken von Atlanta und Abu Dhabi – nicht wirkliche Rekorde, sondern solche für ein elektrisches Serienfahrzeug. Dafür wurde der über 1100 PS starke Porsche Taycan Turbo GT mit dem optionalen Weissach-Paket ausstaffiert. Nicht, dass ein Kunde mit der viertürigen Coupélimousine einmal auf eine Rennstrecke gehen würde, denn unter Dauerbelastung im Rennen haben Elektroautos gegen Verbrenner keine Chance. Doch ein oder zwei schnelle Runden mit Sportreifen sind allemal drin und so will jeder Autohersteller unterstreichen, wie schnell und erfolgreich die eigenen Produkte mit Stecker sind. Mercedes feiert seinen AMG One für eine grandiose Rundenzeit von 6:29,09 Minuten – der schnellste in der Klasse der Supersportwagen.

Auch auf den Rennstrecken von Sao Paulo, Shanghai, Laguna Seca oder eben vom Nürburgring hält der Taycan aktuell die Elektro-Rekorde – zugegeben für Serienfahrzeuge. Porsche-Testfahrer Lars Kern brauchte für die Eifelrunde 7:07,5 Minuten, doch der Rekord hielt nicht lang, weil Xiaomi mit seinem SU7 Ultra nochmals rund drei Sekunden schneller die 73 Kurven hinter sich brachte. Lange Zeit hatte sich Porsche ein Elektroduell mit Tesla geliefert, denn auch Elon Musk hatte zwischenzeitlich scheinbar seine Rekordzeitliebhaberei für die Nordschleife entdeckt. 2023 schaffte ein speziell ausgestattetes Tesla Model S Plaid mit Tom Schwister am Steuer eine Rekordzeit von 7:25,23 Minuten.

Porsche hält seit Jahrzehnten den echten Rekord auf der Nordschleife und das nicht in einer fragwürdigen Disziplin, die eigens kreiert wurde, sondern absolut. Der 1985 auf der Rennstrecke von Spa tödlich verunglückte Porsche-Werksfahrer Stefan Bellof umrundete den Eifel Kurs im Jahr 1983 mit einem Porsche 956 in spektakulären 6:11,13 Minuten. Der Rekord hielt bis zum Jahr 2018, als Timo Bernhard, ebenfalls Porsche Werkspilot, die damalige Zeit am Steuer eines LMP1-Rennwagens vom Typ Porsche 919 Hybrid Evo mit 5:19,55 Minuten geradezu pulverisierte.

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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