In einem Interview mit dem Manager Magazin nutzt Mercedes-Chef Ola Källenius einmal mehr die Gelegenheit, um für einen pragmatischeren Umgang mit der europäischen Klimapolitik zu werben. Er spricht sowohl als Vorstandsvorsitzender von Mercedes-Benz als auch in seiner Rolle als Präsident des europäischen Herstellerverbands ACEA. Sein zentrales Anliegen: das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 zwar nicht abzuschaffen, aber „zu flexibilisieren“. Das Ziel der Dekarbonisierung stehe für ihn außer Frage, doch die Geschwindigkeit und die Methodik der EU hält er für unausgewogen.
„Mein Verständnis von Transformation ist Folgendes: In erster Linie geht es dabei um die Dekarbonisierung der Industrie. Daran soll genauso wenig gerüttelt werden wie am Green Deal der EU“, betont Källenius. Europa wolle bis 2050 klimaneutral werden, doch gleichzeitig müsse die Wirtschaft stark bleiben. „Wir dürfen nicht an wirtschaftlicher Potenz verlieren, damit wir in zehn Jahren noch so stark sind wie heute.“ Transformation bedeute für ihn auch, Lieferketten zu überprüfen, Abhängigkeiten zu verringern und Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfung zu stärken.
In diesem Zusammenhang fordert Källenius eine realistischere Ausgestaltung des Verbrenner-Aus. „Momentan gilt, dass Neufahrzeuge in der EU ab dem 1. Januar 2035 keine CO₂-Emissionen mehr ausstoßen dürfen. Das sind nur noch neun Jahre. Aktuell liegt der Elektroanteil in Europa aber nur bei 16 Prozent, und von 27 EU-Ländern stecken rund 20 noch in den Anfängen, etwa bei der Ladeinfrastruktur.“ Unter diesen Bedingungen sei es illusorisch zu glauben, dass ab 2035 alle Kundinnen und Kunden ausschließlich Elektroautos kaufen werden. Sein Vorschlag lautet daher, die Emissionen zwar weiterhin zu senken, aber über einen längeren Zeitraum zu strecken.
Fließender Übergang statt hartem Verbrenner-Aus
Statt eines harten Schnitts plädiert Källenius für einen fließenden Übergang, in dem auch Hybride und effizient elektrifizierte Verbrenner eine Rolle spielen dürfen. „Zusätzlich zu den E-Autos sollten – anders als bislang geplant – in einem fließenden Übergang auch Hybride eingesetzt werden können, beispielsweise Plug-in-Hybride und Range-Extender, beides Varianten, die Benziner oder Diesel mit Elektromotoren kombinieren. Auch ein gewisser Anteil hocheffizienter, elektrifizierter Verbrenner sollte über das Jahr 2035 hinaus erlaubt bleiben.“ In einer technologieoffenen Logik könne man sich „über die Jahre asymptotisch an die Null annähern“, wie er sagt.
Gleichzeitig fordert Källenius gezielte Anreize, um die Potenziale dieser Übergangstechnologien tatsächlich zu nutzen. „Der CO₂-Ausstoß lässt sich mit Plug-in-Hybriden drastisch reduzieren. Wir müssen die Menschen aber dafür incentivieren, die Fahrzeuge regelmäßig zu laden und tatsächlich elektrisch zu fahren. Wer seinen Plug-in-Hybrid entsprechend fährt, sollte auch künftig Vorteile bei der Kfz-Steuer erhalten.“ Das Ziel, die Emissionen bis 2035 stark zu senken, sei seiner Ansicht nach auch ohne ein vollständiges Verbrennerverbot erreichbar – wenn die Politik bereit sei, den Weg dorthin offener zu gestalten.
Darüber hinaus lenkt Källenius den Blick auf den gesamten Fahrzeugbestand in Europa. In der EU seien derzeit rund 250 Millionen Autos unterwegs. „Mischt man künftig dem Treibstoff fünf Prozent nicht-fossile Anteile bei, etwa synthetischen oder Biokraftstoff, dann entspräche das dem CO₂-Ausstoß von 12,5 Millionen Fahrzeugen. Das ist etwa die Anzahl von Autos, die in der EU jährlich zugelassen werden. Mit so einer Maßnahme hätte man ein Äquivalent zu einem Jahr Null-Emission bei den Neuwagen.“
Ergänzend verweist er auf den Vorschlag eines anderen Herstellers – mutmaßlich Stellantis –, der die Flottenverjüngung beschleunigen möchte, um alte, ineffiziente Fahrzeuge schneller aus dem Verkehr zu ziehen. Der Altersdurchschnitt der europäischen Autos steige, auch weil Neuwagen durch die Vielzahl an Vorschriften immer teurer würden. „In Europa gibt es aktuell nur noch ein Automodell, das weniger kostet als 15.000 Euro“, kritisiert er. Kleinwagen verschwänden zunehmend vom Markt, da sie sich unter den bestehenden Sicherheits- und Regulierungsvorgaben nicht mehr wirtschaftlich anbieten ließen.
Källenius sieht darin ein strukturelles Problem. „Wenn wir durch weniger Regulierung und weniger preistreibende Vorschriften die Kosten für saubere Fahrzeuge senken können und so den Autobestand schneller erneuern, senken wir auch den CO₂-Ausstoß extrem.“ Er schlägt vor, den Herstellern regulatorische Vorteile zu gewähren, wenn sie ihre Lieferketten dekarbonisieren. Als Beispiel nennt er den Bezug von Aluminium mit 70 Prozent geringerem CO₂-Footprint von Norsk Hydro. „Regulatorisch profitieren wir davon heute nicht, obwohl wir hier natürlich höhere Kosten haben.“
Verantwortung dürfe nicht nur bei Automobilhersteller liegen
Einen Kern seiner Argumentation bildet die Forderung, die Verantwortung gerechter zu verteilen. „Bisher liegt die komplette regulatorische Last auf einem einzigen Stakeholder: den Fahrzeugherstellern.“ Auch Energieversorger, Politik und Verbraucher müssten ihren Beitrag leisten. Niedrige Strompreise seien entscheidend, um Elektroautos für Kunden attraktiver zu machen. „Die meisten Menschen kaufen ihr Auto nicht aus ideologischen Gründen. Sie kaufen das Auto, das am besten zu ihren Bedürfnissen und ihrem Portemonnaie passt.“
Källenius weist den Vorwurf zurück, die Industrie handle zu langsam oder widerwillig. „In den letzten Jahren hat die europäische Automobilindustrie inklusive der Lieferanten über 300 Milliarden Euro in die Elektromobilität investiert. Niemand sonst hat annähernd so viel Geld in die Dekarbonisierung und den Green Deal gepumpt.“ Mercedes selbst gehe mit dem Aufbau eines eigenen Ladenetzes über die eigentliche Herstelleraufgabe hinaus. „Die Infrastruktur ist eigentlich nicht die originäre Aufgabe eines Automobilherstellers, aber wir wollen auch hier mit gutem Beispiel vorangehen und Teil der Lösung sein.“
Was Källenius an der europäischen Politik stört, ist nicht das Ziel, sondern der Weg dorthin. „Uns stört nicht das Tempo. Uns stört die Methode.“ Als positives Beispiel nennt er China, das bei der Dekarbonisierung der Mobilität weiter sei als Europa. „Dort liegt der Anteil rein elektrischer Fahrzeuge 2025 bei gut 30 Prozent. In Deutschland bei gut 15 Prozent. Wie haben die Chinesen das geschafft? Mit voller Technologieoffenheit. Kein Schlussdatum, keine harten Verbote, keine drakonischen Strafen.“ Zwar sei das chinesische System nicht in allen Punkten übertragbar, doch Källenius hält dessen pragmatische Herangehensweise für lehrreich. „Wenn das dort funktioniert: Warum ändern wir dann nicht unsere Taktik, wenn sie hier nach fünf Jahren nicht den gewünschten Effekt hat?“
Bundesregierung muss ihren Teil dazu beitragen eine der deutschen Schlüsselindustrien zu erhalten
Gegenüber der Bundesregierung appelliert er an die industriepolitische Verantwortung. „Es geht hier darum, eine Schlüsselindustrie zu erhalten. Die Autoindustrie leistet mit ihren Beschäftigten einen ganz bedeutenden Beitrag zur Finanzkraft vieler europäischer Staaten und der EU selbst. Wenn wir so weitermachen, riskieren wir dies.“ Trotz der angespannten Marktlage halte Mercedes an seinen Investitionen fest. „Auch uns tut es finanziell weh, wenn unsere Werke nicht ausgelastet sind. Trotzdem stoppen wir unsere Investments nicht. Im Gegenteil. Wir warten nicht einmal ab. Wir machen weiter.“
Am Ende des Gesprächs betont Källenius, dass die Branche sich in einer Phase tiefgreifender Umbrüche befinde, die nur mit klarem Realismus zu bewältigen sei. „Die Lage ist ernst. Gleichzeitig investiert die deutsche Autoindustrie – für Mercedes kann ich das am sichersten sagen – mehr als je zuvor in Zukunftstechnologie. Wir warten nicht den Sturm ab und machen dann weiter. Wir säen jetzt, investieren die Milliarden.“
Quelle: Manager Magazin – „Ein gewisser Anteil“ Verbrenner über das Jahr 2035 hinaus