Marc Winterhoff ist als Nachfolger von Peter Rawlinson seit Februar Interims-CEO bei Lucid. In einem Interview mit Semafor hat er einen Ausblick auf die Entwicklungen bei der US-amerikanischen Marke gegeben und zu Themen wie Engpässen bei Lieferungen, den Auswirkungen von Zöllen oder der Konkurrenz aus China gesprochen. Außerdem ging es in dem Gespräch um die sinkende Nachfrage bei Tesla sowie um den Einfluss des saudi-arabischen Investors PIF.
Erst im August hat Lucid mit der Veröffentlichung der Quartalszahlen bekannt gegeben, dass es die Produktionsprognose für das laufende Jahr von 20.000 auf 18.000 Elektroautos nach unten korrigiert. Als Grund dafür wurde lediglich das herausfordernde makroökonomische Umfeld genannt.
Einige Faktoren dürften sich auf den Betrieb des Herstellers ausgewirkt haben. So habe Lucid beispielsweise kurz davorgestanden, keine Magnete mehr für die Produktion zu haben, so Winterhoff. „China hat alle Exportlizenzen verzögert“, sagte er in Reaktion auf die Frage, wie sich Zölle auf Lucid ausgewirkt haben. „Wir konnten das Problem umgehen, aber es hat uns viel Mühe gekostet. Unsere Ingenieure mussten eine Menge zusätzlicher Arbeit leisten. Wir haben andere Lieferanten erschlossen – wir arbeiten mit einem australischen Lieferanten zusammen – und wir beschleunigen auch unser Projekt, um von Seltenerdmagneten wegzukommen.“
Auch wenn es sich nur um ein Einzelteil handelt, stellen fehlende Teile für Hersteller schnell große Probleme dar, denn es sei nicht so einfach, den Bauplan spontan zu ändern. „Ein Auto besteht aus 3000 Teilen; wenn eines davon fehlt, können wir das Auto nicht bauen“, so Winterhoff. Während andere Unternehmen in der Vergangenheit immer wieder Engpässe bei Mikrochips hatten, hat Lucid solide Zulieferer: „Wir haben eine sehr gute Beziehung zu Nvidia, daher war das kein Problem. Wir haben auch Qualcomm-Chips.“
Doch nicht nur Teile könnten demnächst in den USA für Hersteller wie Lucid zu Mangelware werden, sondern auch Arbeitskräfte durch die Politik der derzeitigen US-Regierung unter Donald Trump. Erst kürzlich wurde eine Razzia in einem Hyundai-Werk in Arizona zur Einwanderungskontrolle durchgeführt. Außerdem hat Trump angekündigt, die Vergabe von Arbeitsvisa für Fachkräfte zu erschweren und mit einem Preisschild zu versehen: 100.000 US-Dollar soll ein Arbeitsvisum kosten. Winterhoff zufolge gebe es einen Grund, warum so viele Menschen mit diesem Visum in den USA beschäftigt sind, denn es gebe nicht genug qualifizierte Arbeitskräfte mit einem amerikanischen Pass.
Verschobene Nachfrage im gehobenen Segment
Des einen Verlust ist des anderen Gewinn, so auch bei Lucid und seinem Konkurrenten Tesla. Das ebenfalls US-amerikanische Unternehmen für Elektroautos hat in diesem Jahr starke Verluste verzeichnet, ob in den USA oder in Europa. Dabei hat die Marke unter anderem stark unter dem öffentlichen Image des CEO Elon Musk gelitten.
Auf die Frage, ob Musks politischer Kurswechsel gut für Lucids Geschäft gewesen sei oder eher Verbraucher:innen generell von Elektroautos abgeschreckt habe, antwortete Winterhoff: „Tesla-Besitzer haben schon immer einen großen Teil der Käufer von Lucid-Fahrzeugen ausgemacht, einfach weil sie bereits an Elektroautos gewöhnt sind und Abwechslung suchen. Aber jetzt klopft ein höherer Prozentsatz von ihnen an unsere Türen.“ Einige würden von sich aus erzählen, warum sie sich von Tesla abwenden. Andere hätten Aufkleber auf der Rückseite ihres Teslas, so Winterhoff.
Entsprechend stark ist derzeit die Nachfrage nach Elektroautos von Lucid. Die staatlichen US-Subventionen in Höhe von knapp 6400 Euro sind zwar vor wenigen Tagen ausgelaufen, jedoch gewährt Lucid die Preisnachlässe für das Modell Gravity aus eigenen Mitteln noch bis Jahresende: „Wir wollten diese Kunden nicht enttäuschen, da wir noch dabei sind, die Produktion hochzufahren, also haben wir diesen Verlust in Kauf genommen. Das war möglich, weil der tatsächliche Durchschnittspreis des Gravity, wie er derzeit von unseren Kunden konfiguriert wird, deutlich höher ist als wir dachten – etwa 120.000 Dollar bei einem Einstiegspreis von 94.900 Dollar“, so Winterhoff. Knapp 25.000 Dollar, also umgerechnet fast 21.400 Euro, werden durchschnittlich von Lucid-Kund:innen in die Sonderausstattung investiert.
„Wir haben keine Pläne, nach China zu gehen“
Im internationalen Wettbewerb um Elektroautos hat China die Nase vorn. Die großen Hersteller wie BYD oder Leapmotor expandieren in viele Länder, während die chinesischen Marken auch in Deutschland Zugewinne bei den Zulassungszahlen verzeichnen.
Lucid wiederum wolle, so Winterhoff, nicht mit den kostengünstigen chinesischen Fahrzeugen konkurrieren und habe keine Pläne, nach China zu gehen, weder für den Vertrieb noch für die Produktion. „Ich glaube nicht, dass das ein Bereich ist, in dem man in Zukunft tätig sein möchte“, sagte er in dem Gespräch mit Semafor.
Ein Einstieg in den chinesischen Markt lohnt sich für Lucid also nicht. Das liege dem Interims-CEO zufolge vor allem daran, dass die lokale Kundschaft lokale Produkte zu schätzen lerne. Statt ein Werk in China zu bauen, wie viele andere Autohersteller, ging Lucid einen eher ungewöhnlichen Weg und entschied sich für ein Werk in Saudi-Arabien. „Die Leute schauten uns an, als hätten wir zwei Köpfe“, sagt er.
2018 investierte der Saudi Public Investment Fund (PIF) mehr als eine Milliarde Dollar in Lucid und seit 2019 ist der PIF Mehrheitseigner des Autoherstellers. Das Geld konnte unter anderem für die Entwicklung des Modells Lucid Air verwendet werden, das besonders mit hoher Reichweite punkten kann.
Die in Arizona hergestellten Autos werden derzeit in Bausätzen nach Saudi-Arabien verschifft und dort wieder zusammengebaut. Die neue Vollproduktionsanlage, die nun gebaut wird, solle das ändern und ein lokales Ökosystem aufzubauen, um Arbeitsplätze in einer neuen Branche zu schaffen, die es in diesem Land bisher noch nicht gebe, so Winterhoff. Außerdem sei die lokale Produktion von Batteriezellen im Gespräch.
Eine vollständige Privatisierung von Lucid durch den PIF hält Winterhoff für unwahrscheinlich: „Eines sollte man bedenken: Wir sind ein amerikanisches und ein globales Unternehmen. Würde der PIF das Unternehmen privatisieren, würde es sofort zu einem saudischen Automobilhersteller werden – was außerhalb der Region nicht gerade das beste Verkaufsargument für ein globales Unternehmen wäre. Meiner Meinung nach muss man also den Status quo beibehalten, damit das Unternehmen als globales und amerikanisches Unternehmen wahrgenommen wird.“
Quelle: Semafor – Lucid Motors’ Marc Winterhoff on tariffs, H-1Bs, and staying out of China