Report: So steht Deutschland beim Ladenetz im EU-Vergleich da

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Daniel Krenzer
Daniel Krenzer
  —  Lesedauer 7 min

ChargeUp Europe hat einen Bericht abgegeben, wie sich in den 27 EU-Staaten in den vergangenen beiden Jahren der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge entwickelt hat. Der Zusammenschluss wurde im März 2020 von EVBox, Allego und ChargePoint gegründet und hat seither viele wichtige Mitglieder aus der Branche aufgenommen. Die Betrachtung ermöglicht einen Vergleich des Ladenetz-Ausbaues in den europäischen Ländern und wagt Prognosen für die Zukunft.

Grafik: ChargeUp Europe

Laut Bericht befanden sich im Jahr 2022 in allen EU-Mitgliedsstaaten insgesamt rund drei Millionen vollelektrische Fahrzeuge und 2,5 Millionen Plug-in-Hybride im Bestand – das entsprach zusammen gerade einmal zwei Prozent aller Fahrzeuge. Für 2030 geht ChargeUp Europe davon aus, dass dann 44,2 Millionen Fahrzeuge vollelektrisch sein werden, 11,1 weitere Millionen Plug-in-Hybride. Das würde dann einem Anteil von 18 plus 4, also 22 Prozent des Gesamtmarktes entsprechen und eine Verzehnfachung zu 2022 bedeuten. Ab 2035 sollen in der EU ausschließlich emissionsfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden.

Grafik: ChargeUp Europe

Der Anteil der elektrischen Fahrzeuge in den Bestandsflotten in den einzelnen Mitgliedsländern variiert dabei sehr stark. Sind es in Schweden im Jahre 2022 bereits 9 Prozent und in Luxemburg 6,4 Prozent gewesen (vollelektrisch und Plug-in-Hybride), geht es hinter diesen beiden Ausreißern bereits steil bergab. Einen vergleichsweise hohen Anteil haben auf den Plätzen drei bis fünf noch Dänemark (5,2 Prozent), Niederlande (5 Prozent) und Deutschland (4,2 Prozent). Doch die osteuropäischen EU-Mitglieder hatten allesamt nur einen elektrischen Anteil von 0,1 bis maximal 0,7 Prozent aufzuweisen. Und auch große Nationen wie Italien und Spanien kamen lediglich auf 1 Prozent. In Norwegen als Nicht-EU-Mitglied betrug der Anteil an elektrischen Fahrzeugen im Bestand Ende 2022 sogar schon etwa 20 Prozent.

61 Prozent Zuwachs in nur zwei Jahren

Da viele Europäer den Wechsel zur Elektromobilität scheuen, weil sie eine zu schwach ausgebaute Ladeinfrastruktur fürchten, fällt deren Ausbau eine entscheidende Bedeutung beim von der EU angestrebten Hochlauf der E-Mobilität zu. Die gute Nachricht: Hier wurde zuletzt enorm an Fahrt aufgenommen. Stieg die Anzahl der Ladepunkte von 2015 bis 2022 noch um gerade einmal 39 Prozent an, gab es in den vergangenen beiden Jahren alleine einen Zuwachs von 61 Prozent. Etwa 475.000 Lademöglichkeiten hat es laut Bericht 2022 in der EU gegeben, zwölf Prozent davon mit hohen DC-Ladegeschwindigkeiten von mehr als 22 kW.

Grafik: ChargeUp Europe

Doch auch hier sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten enorm hoch. Mit 111.721 Ladepunkten 2022 liegt die Niederlande klar an der Spitze – bemerkenswerterweise gab es 2021 allerdings mit etwa 122.000 Ladepunkten noch mehr. Auch für Luxemburg, Litauen und Estland verzeichnet der Bericht von 2021 auf 2022 sinkende Werte. Die zweitmeisten Ladepunkte hatte 2022 Deutschland mit 87.674 Ladepunkten (2021: 65.600). Auf Rang drei folgt Frankreich mit 83.317 Ladepunkten (2021: 30.000). Den größten Sprung machte 2022 Spanien auf 34.380 Ladepunkte, 2021 waren es noch 5900.

Dahinter sinken die Zahlen aber rasant, und das nicht nur bei kleinen europäischen Staaten, die logischerweise weniger Ladepunkte benötigen. Große Mitgliedsstaaten wie Bulgarien und Griechenland kommen auf kaum mehr als 1000 Ladepunkte im gesamten Land. Schlusslicht war der kleine Inselstaat Malta mit 13 öffentlichen Ladepunkten.

Niederlande relativ und absolut vorne

Um die Länder besser miteinander vergleichen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Anzahl der Ladepunkte pro 100.000 Einwohner. Auch hier liegt die Niederlande an der Spitze mit 577 Ladepunkten im Jahr 2022 (2021: 699). Auf Rang zwei folgt Luxemburg mit 308 Ladepunkten, auf Rang drei Österreich mit 240 Ladepunkten je 100.000 Einwohner. Der EU-Schnitt liegt bei 106, und erst dahinter reiht sich Deutschland mit 99 Ladepunkten ein – immerhin noch Rang 9 von 27. Interessant ist hier der Blick ans Ende des Feldes, der klar macht, wie sehr manche EU-Mitgliedsstaaten beim Ausbau von Ladeinfrastruktur abgehängt wurden: Polen, Griechenland (beide 9), Rumänien und Zypern (beide 8) kommen lediglich auf eine einstellige Anzahl an Ladepunkten pro 100.000 Einwohner.

Allerdings berücksichtigt der Bericht im nächsten Schritt auch die bereitgestellte Ladeleistung pro Elektrofahrzeug, denn es macht nun einmal einen Unterschied, ob es viele sehr langsame Ladepunkte gibt oder an einer relativ großen Zahl an Schnellladepunkten viele Fahrzeuge in kurzer Zeit mit Strom versorgt werden können. Dieses Argument brachte jüngst auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit Blick auf Deutschland vor, weshalb das Ziel von einer Million Ladepunkte bis 2030 gar nicht mehr relevant sei. Dem widersprach hingegen der Verband der Automobilindustrie (VDA) vehement.

Foto: ChargeUp Europe

Wer wegen der BDEW-Aussage also hofft, dass Deutschland zumindest bei den Ladekapazitäten sehr gut dastehe, der erlebt beim Blick in den ChargeUp-Report eine Enttäuschung: Stehen im EU-weiten Schnitt durchschnittlich 2,7 kW pro elektrischem Fahrzeug zur Verfügung, so waren es 2022 in Deutschland nur 2 kW. Nur in 5 von 27 Mitgliedsstaaten lag dieser Wert niedriger. An der Spitze liegen hier Länder mit nur einer geringen E-Fahrzeugdichte, jedoch einem offensichtlich hohen Anteil an Schnellladesäulen: Lettland stellt pro E-Auto 14,2 kW bereit, in Kroatien sind es 12,6 kW, in Bulgarien 12,4 kW. Schlusslicht ist Malta mit 0,2 kW, wo es lediglich AC-Ladepunkte gibt.

145 Megawatt im Jahr 2030?

Der Hochlauf der Elektromobilität stellt in ganz Europa Herausforderungen für die Stromnetzbetreiber dar. Wurden 2022 noch EU-weit 15,5 Megawatt Ladeleistung zur Verfügung gestellt, geht ChargeUp von 145 Megawatt im Jahr 2030 aus. Als Minimum laut Afir-Vorgaben vorgesehen sind lediglich 57,4 Megawatt.

Vorne liegt Deutschland hingegen EU-weit beim Anteil der ultraschnellen HPC-Ladestationen mit mindestens 150 kW Ladeleistung, die 2022 stolze 10,2 Prozent aller Ladepunkte ausmachten. Es folgen Finnland (8,6 Prozent) und Kroatien (6,5 Prozent). Den höchsten Anteil an AC-Ladepunkten mit maximal 22 kW gibt es in den Niederlanden mit 97 Prozent aller Ladepunkte, es folgen Belgien (95,6 Prozent) und Luxemburg (94,9 Prozent). In den vergleichsweise kleinen Ländern fallen vermutlich seltener lange Strecken an, sodass ein regelmäßiges, aber langsames Laden dem Großteil offenbar auszureichen scheint.

Foto: ChargeUp Europe

Allerdings findet in ganz Europa der größte Teil der Ladevorgänge im privaten oder beruflichen Umfeld statt – und nicht an öffentlichen Ladesäulen. Das spiegelt sich auch in der privat installierten Ladeinfrastruktur wider, die in der gesamten EU 2022 im Durchschnitt 8 kW pro Elektrofahrzeug betrug. Hier liegt Deutschland mit 8,9 kW knapp über dem Durchschnitt. An der Spitze befindet sich in dieser Wertung Tschechien mit 11,1 kW installierter Ladeleistung pro E-Auto, es folgen Dänemark (11 kW) und Slowenien (10,5 kW).

Niederländer laden vor allem öffentlich

Die niedrigste private Ladeleistung pro Elektroauto hat wiederum die Niederlande. Denn wo an jeder Straßenecke Ladesäulen öffentlich zur Verfügung stehen, besteht offenbar privat gar keine große Notwendigkeit, eine eigene Wallbox anzuschaffen. Nur 3,9 kW private Ladeleistung stehen pro Elektrofahrzeug in den Niederlanden zur Verfügung. So einen niedrigen Wert mit ebenfalls 3,9 kW hat in der EU nur noch Zypern vorzuweisen – hier spielt die Elektromobilität aber offensichtlich insgesamt noch fast keine Rolle.

Im Ausführlichen Bericht von ChargeUp wird unter anderem noch ausgeführt, womit Nutzer öffentlicher Ladesäulen in Europa bezahlen und in welchen Ländern smarte Zahlmöglichkeiten besonders beliebt sind. Das würde an dieser Stelle aber den Rahmen sprengen, ist aber bei ChargeUp für jeden nachzulesen, den es interessiert. „Dieser Bericht ist das Ergebnis eines bedeutsamen Jahres für den Weg der Europäischen Union in Richtung Klimaneutralität. Immer mehr Meilensteine werden gesetzlich verankert, und die Umstellung auf Elektromobilität wird auf unserem Kontinent immer schneller vorangetrieben“, schreibt Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission. Jedoch fällt dieser Antrieb im europäischen Vergleich sehr unterschiedlich aus, wie die Betrachtung zeigt.

Quelle: chargeupeurope.eu

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Daniel Krenzer

Daniel Krenzer

Daniel Krenzer ist als studierter Verkehrsgeograf und gelernter Redakteur seit mehr als zehn Jahren auch als journalistischer Autotester mit Fokus auf alternative Antriebe aktiv und hat sich zudem 2022 zum IHK-zertifizierten Berater für E-Mobilität und alternative Antriebe ausbilden lassen.

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David Hücking:

AFAIK hat man in den Niederlanden ein Recht, dass eine Wallbox öffentlich gefördert wird, wenn im Umkreis x um die Wohnung/ Autostellplatz kein „öffentlicher“ Ladepunkt vorhanden ist. – Die dann installierte Wallbox wird dann aber in ein öffentliches Bezahlnetz eingebunden.
Darum sieht man sehr viele an Privatgebäuden angebrachte Wallboxen mit RFID-Leser, die mir „als Deutschem“ auf den ersten Blick eher „privat“ aussehen.

Daniel Krenzer:

Das ist ein Thema für sich, das wir auf dem Schirm haben und bestimmt an geeigneter Stelle ausführlich behandeln!

Sven B:

Schade, dass der interessanteste Teil des Reports dann nur kurz erwähnt wird. Noch immer ist meiner Erfahrung nach nicht das Finden einer Ladesäule das größte Problem, sondern das Finden der passenden Bezahlmöglichkeit

Daniel Krenzer:

Habe ich rausgesucht und füge ich an :-)

Sven:

Schade das die Zahlen von Norwegen nicht als Referenz mit angegeben wurden. Das wäre mal ein interessanter Ausblick in unsere Zukunft geworden.

Alex:

vor 3 Wochen mit meinem BEV: Nachts am Hotel außerhalb der Stadt in Kempten angekommen, Ladeplatz direkt am Hotel gefunden, gefreut, schlafen gegangen, nächsten Morgen abgezogen: 70 Euro Kosten angezeigt (30 Euro Ladekosten, 40 Euro „Parkgebühren“). Beides war nicht ausgewiesen. Die Abzocke ist wie so oft das Schlimmste, nicht der zu langsame Ausbau.

Daniel Krenzer:

Gut aufgepasst, danke! Klar, Norwegen ist ja nicht EU und spielt in einer ganz eigenen Liga :-)

Geograüh:

Die 9% gehören zu Schweden.
Norwegen ist nicht aufgeführt…dürfte aber einen sehr viel höheren Anteil haben…

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