Circunomics will Datendrehscheibe der Akku-Branche werden

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Circunomics

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 5 min

Circunomics hat sich seit seiner Gründung 2019 in Mainz zu einem zentralen Akteur der europäischen Batteriekreislaufwirtschaft entwickelt. Das junge Unternehmen will Lithium-Ionen-Batterien über alle Phasen ihres Lebenszyklus hinweg begleiten – von der Nutzung im Elektroauto über eine mögliche Zweitverwendung bis hin zum Recycling.

Bei einem Besuch durch Elektroauto-News-Herausgeber Sebastian Henßler im neuen Testlabor in Roßdorf bei Darmstadt bot sich die Gelegenheit, sich die Arbeit der Ingenieure und Software-Spezialisten direkt anzusehen und mit Mitgründer und CTO Jan Born ausführlich über den Ansatz zu sprechen.

Analyse als Fundament für Transparenz und Vertrauen

„Unser Fokus liegt vor allem in der Kreislaufwirtschaft von Lithium-Ionen-Batterien. Wir wollen technologisch die gesamte Wertschöpfungskette abbilden, im Sinne der Automatisierung, der Digitalisierung dieser Prozesse, um das Maximale aus der Batterie herauszuholen – ökonomisch wie ökologisch“, fasst Born die Grundidee hinter Circunomics zusammen. Dass das Unternehmen dabei nicht in einzelnen Etappen denkt, sondern den gesamten Zyklus im Blick hat, zeigt sich an der konsequenten Entwicklung der vergangenen Jahre.

Ein Schlüssel dafür ist die präzise Analyse. Unter der simplen Bezeichnung Analytics hat Circunomics eine Produktkomponente geschaffen, die den Gesundheitszustand von Batterien überwacht, Lade- und Entladevorgänge nachvollzieht und Prognosen für die weitere Lebensdauer erstellt. „Analyse heißt bei uns erstmal überhaupt die Batterien zu verstehen. Verstehen heißt, den State of Charge zu bestimmen, Temperaturen zu überwachen, Anomalien zu erkennen, vorherzusagen, wie sich die Lebensdauer entwickelt, und Empfehlungen auszusprechen, was zu tun ist“, erklärt der CTO von Circunomics.

Um diese Modelle zu verifizieren, betreibt Circunomics seit 2025 ein eigenes Labor in Roßdorf. Dort können Zellen unter realitätsnahen Bedingungen getestet werden – von minus 20 bis plus 60 Grad Celsius, mit Ladezyklen von bis zu 300 Ampere und über Zeiträume von wenigen Tagen bis hin zu zwei Jahren. „Bisher haben wir die Zellen von einem externen Dienstleister analysieren lassen. Diese Aufgaben nehmen wir jetzt selbst in die Hand, erhöhen damit unsere Effizienz, sind schneller mit dem Abgleich von Daten und können unsere Simulationen und Hochrechnungen für eine Verwendung im Second-Life noch genauer anbieten“, so Born.

Der Anspruch sei, die digitale Modellwelt immer wieder mit echten Messdaten abzugleichen: „Batteriemodelle zu entwickeln im Sinne der Zustandsbestimmung ist das eine, aber sie zu verifizieren, ist das andere. Dafür haben wir unser Labor eröffnet, um Tag und Nacht zu verstehen, wie Batterien altern.“

Digitale Plattform für Second-Life, Recycling und Handel

Das Labor liefert die Basis für den zweiten Pfeiler des Unternehmens: eine digitale Plattform, auf der gebrauchte Batterien, Module oder Zellen als „circular twins“ registriert, klassifiziert und gehandelt werden. Das Geschäftsmodell ist dabei strikt auf B2B ausgelegt. Born grenzt klar ab: „Wir wollen nicht den Wilden Westen. Deshalb ist unser Marktplatz rein Business-to-Business, auf Einladung, mit Compliance-Prüfung jedes Teilnehmers.“ Jeder neue Teilnehmer muss unter anderem seine Unternehmensdaten und Handelsregisterauszüge vorlegen, bevor er Zugang erhält.

Die Plattform kennt verschiedene Rollen – Verkäufer von End-of-Life-Batterien, Käufer für stationäre Speicherlösungen, Recycler oder Zwischenhändler. Je nach Klassifizierung entstehen „Reuse Listings“ für Second-Life-Anwendungen, „Recycling Listings“ für Batterien am Lebensende oder „Black-Mass-Listings“, die geschreddertes Material abbilden. „Wir nennen es einen One-Stop-Shop für die unterschiedlichen Lebensphasen der Lithium-Ionen-Batterie“, so der Circunomics Co-Founder.

Das Potenzial dahinter ist groß, denn Batterien sind längst mehr als nur ein Kostenfaktor. Lange war Recycling im After-Sales-Bereich der Automobilhersteller (OEM) angesiedelt, doch mit der Elektromobilität erkennen diese zunehmend die wirtschaftlichen Chancen. „Der OEM ist verpflichtet, Batterien zurückzunehmen, Recyclingraten zu erfüllen und gleichzeitig wirtschaftliche Vorteile zu nutzen“, erläutert Born gegenüber Elektroauto-News.

Marktverschiebungen und die Rolle von Second-Chance-Batterien

Doch die Realität zeigt Verzögerungen. Circunomics war mit der Annahme gestartet, dass sich Elektromobilität schneller durchsetzt. Heute geht Born im Schnitt von zehn bis zwölf Jahren Nutzung aus, bevor eine Batterie ins Second-Life oder Recycling gelangt. „Wir sind gestartet mit anderen Annahmen. Heute sehen wir, dass wir zwei bis drei Jahre hinter den Erwartungen liegen“. Beschleunigtes Laden und unterschiedliche Zellchemien führen zudem zu einer breiten Streuung der Lebensdauer – von sieben bis acht Jahren bis hin zu mehr als 15 Jahren.

In dieser Zwischenphase dominieren „Second-Chance-Batterien“ das Geschäft – Akkus, die nie verbaut wurden, aber durch Überproduktion oder Qualitätsmanagement aus dem Prozess fallen. „Echte Second-Life-Batterien sind noch überschaubar, deshalb ist das Thema Second-Chance momentan das relevanteste“, sagt Born. Hinzu kommen Produktionsausschüsse, die für Autos nicht geeignet sind, in stationären Anwendungen aber genutzt werden können.

Einen entscheidenden Unterschied macht das Batteriedesign. „Es gibt Automobilhersteller, die haben Batterien verklebt oder verschweißt. Da konntest du das ganze Auto in den Schredder werfen“, erinnert sich Born. Doch die Entwicklung gehe klar in Richtung modularer, austauschbarer Systeme bis hin zu Cell-to-Pack-Lösungen.

Zirkulär wird Cell-to-Pack dabei erst, wenn Inverkehrbringer „virtuelle Module“ einbeziehen, lösbare Fügetechniken einsetzen und Datenzugang schaffen. Debonding-fähige Klebstoffe, servicefreundliche Kühl-/Busbar-Schnittstellen und die Datentransparenz (z. B. für den Digital Product Passport) sind Mindestvoraussetzungen. So lassen sich Bricks gezielt tauschen, Refurb/Reman wirtschaftlich darstellen und die Black-Mass-Qualität beim Recycling deutlich erhöhen, statt das gesamte Pack zu schreddern, wie Born im Gespräch erklärte.

Mit der Expansion nach Detroit, einer Series-A-Finanzierung von über acht Millionen Euro und Investoren wie Schaeffler oder Orlen VC hat Circunomics seine internationale Reichweite deutlich ausgebaut. Hinzu kommen Partnerschaften wie mit Encore | DB, die Batterien über die Plattform beziehen. Trotz des Wachstums bleibt Born vorsichtig: „Wir waren ein Start-up, das überhaupt so einen Markt kreiert hat, weil es ihn vorher nicht gab. Jetzt müssen wir ihn etablieren und skalieren.“

Mehr als Handel: Digitalisierung und Regulierung im Blick

Dabei geht der Blick weit über den Handel hinaus. Circunomics arbeitet daran, die gesamte Prozesskette zu digitalisieren – von der Rücknahme über Vertragsgestaltung bis hin zu Zahlungsabwicklungen. Perspektivisch könnten auch Finanzdienstleistungen und Subscription-Modelle eine Rolle spielen. Born verweist zudem auf die politische Dimension: „Die EU hat mit der Batteriedirektive einen guten Rahmen geschaffen. Aber gerade der Bereich Second-Life liegt noch im Graubereich. Kreislaufwirtschaft heißt für uns nicht nur: Leben und Recycling. Die Batterie bietet mehr Potenzial, das auch regulatorisch berücksichtigt werden sollte.“

Am Ende bleibt für Born die Schaffung von Transparenz der entscheidende Beitrag. „Unsere KI-unterstützte Software ist einzigartig. Sie gibt einen detaillierten Überblick über den Gesundheitszustand der Batterie nach ihrem First Life und ermöglicht eine realistische Simulation der Nutzung im Second-Life. Damit gewährleisten wir Transparenz und tragen dazu bei, einen fairen Marktpreis zu ermitteln.“

Für Circunomics ist dieser Ansatz daher mehr als ein technisches Detail. Er bildet den Kern einer Strategie, die ökonomische und ökologische Interessen miteinander verbindet. Indem das Start-up Daten sammelt, auswertet und für alle relevanten Marktteilnehmer nutzbar macht, entsteht ein Fundament, auf dem Second-Life, Recycling und neue Geschäftsmodelle aufbauen können. Born sieht darin den Schlüssel, um die Kreislaufwirtschaft von Batterien langfristig zu etablieren – und Circunomics als Partner in der Mitte dieser Entwicklung zu positionieren.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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