Europa steht bei der Elektromobilität vor einer Zäsur. Während in China die Zahl der E-Autos 2024 erneut stark zulegte, stagnierte der europäische Markt, hauptsächlich wegen stark rückläufigen Zulassungszahlen in Deutschland, Europas mit Abstand größtem Automarkt. Global wuchs der Absatz batterieelektrischer Autos nach Daten der Internationalen Energieagentur um 14 Prozent. Allein China trug mit mehr als einer Million zusätzlicher Stromer den größten Teil dazu bei. In Europa sanken die Verkäufe dagegen leicht. Besonders Deutschland verzeichnete nach dem abrupten Ende der Kaufprämien einen Rückgang von mehr als einem Viertel. Im Vereinigten Königreich legten die Zulassungen hingegen deutlich zu, gestützt durch steuerliche Vorteile für Flottenkunden.
Das Chemnitz Automotive Institute (CATI) hat in Zusammenarbeit mit Automotive Thüringen und dem Automobilzulieferer-Netzwerk Sachsen nun eine neue Untersuchung vorgelegt. Sie schließt an eine frühere Studie aus dem Jahr 2020 an und analysiert die Strategien von 23 Marken, die zusammen 85 Prozent der in Europa verkauften E-Autos stellen. Die Ergebnisse zeigen eine Branche im Übergang: Hersteller passen Ziele an, verschieben Projekte und halten mehrere Antriebspfade offen.
Die EU hat inzwischen ihre CO₂-Regeln leicht entschärft. Statt strikter Jahresziele gilt nun ein Dreijahresdurchschnitt für 2025 bis 2027. Eine Neubewertung folgt 2026. Dann steht auch die Zukunft von Plug-in-Hybriden, Range-Extendern und alternativen Kraftstoffen auf der Agenda. Parallel experimentieren einzelne Länder mit steuerlichen Anreizen oder Sozialleasing, um Nachfrage zu stützen.
E-Automarkt scheint sich 2025 zu erholen
Die ersten Monate 2025 deuten auf eine Erholung hin. Laut Branchenverband ACEA wuchsen die Zulassungen von E-Autos in Europa um knapp 28 Prozent, im Vorjahres-Bremser Deutschland sogar um mehr als 40 Prozent. Prognosen gehen für das Gesamtjahr von Marktanteilen um 20 Prozent in Europa und 22 Prozent in Deutschland aus. Ab 2027 könnte die Verfügbarkeit günstigerer Modelle und sinkender Batteriekosten den Durchbruch weiter beschleunigen.
Bei den Herstellern zeigt sich ein gemischtes Bild. BMW hat mit seiner flexiblen Plattformstrategie den höchsten E-Anteil unter den deutschen Marken und sieht keinen Anlass für einen Kurswechsel. Die E-Autos der Neuen Klasse starten 2025 mit einer reinen Elektroplattform. Volkswagen hingegen ringt mit schwacher Nachfrage und Überkapazitäten, vor allem in Deutschland. Der Konzern reagiert mit Werksschließungen, einer City-E-Familie ab 2026 und einer Kooperation mit XPeng für den chinesischen Markt. Audi startet verspätet mit der PPE-Plattform, während Porsche seinen Fahrplan streckt und Macan, Cayenne und 718 länger parallel mit Verbrennern anbietet. Mercedes rückt von „electric only“ ab und setzt wieder stärker auf einen gemischten Antriebsmix.
Stellantis, Mutterkonzern von Opel, Peugeot, Citroën und Fiat, korrigiert seine ambitionierten Pläne ebenfalls. Ursprünglich sollte Europa bis 2030 ausschließlich E-Autos erhalten, doch Verzögerungen bei neuen Plattformen führen zu einem stärkeren Fokus auf Hybride. Renault setzt mit seiner Tochter Ampere auf kurze Entwicklungszyklen und ein kompaktes Produktionscluster in Nordfrankreich. Der neue Renault 5 und der Scenic Electric markieren den Anfang.
Bei den ausländischen Wettbewerbern wird China immer stärker. Hersteller wie BYD, SAIC oder Geely expandieren nach Europa und kombinieren staatliche Unterstützung mit aggressiven Preisen. 2024 kamen fast die Hälfte aller aus China exportierten E-Autos nach Europa. Neue Werke in Ungarn, Spanien oder der Türkei sollen Handelsbarrieren abfedern. BYD startet in den kommenden Monaten in der Türkei und in Ungarn mit der Produktion, weitere Standorte sind geplant.
Neben E-Autos rücken Plug-in-Hybride und andere Antriebe in Fokus
Die Studie macht deutlich, dass kein Hersteller mehr allein auf reine E-Autos setzt. Plug-in-Hybride und andere Übergangslösungen gewinnen an Bedeutung, besonders dort, wo Märkte noch nicht bereit sind. Toyota, lange mit Hybriden erfolgreich, bleibt diesem Weg treu. Nissan plant mit Renault eine Reihe neuer Modelle auf gemeinsamen Plattformen. Hyundai und Kia setzen auf breite Technologieoffenheit und entwickeln neue Architekturen, die flexibel für verschiedene Antriebe nutzbar sind.
Klar ist: Die Transformation dauert länger, als viele Akteure noch 2020 annahmen. Damals lautete der Titel der Vorgängerstudie „Europa löst die Handbremse“. Fünf Jahre später zeigt sich, dass die Elektromobilität selbst Teil der Krise geworden ist. Der Wandel findet statt, doch er verläuft ungleichmäßig und regional sehr unterschiedlich. Für Zulieferer bedeutet dies eine längere Übergangsphase, die Planungssicherheit und belastbare Rahmenbedingungen erfordert.
Die Studie des CATI in Zusammenarbeit mit Automotive Thüringen und dem AMZ Sachsen will den Mitgliedsfirmen dieser Netzwerke eine aktuelle Grundlage liefern, um sich auf den Zeitraum bis 2030 einzustellen. Sie dokumentiert, wie Hersteller Strategien verschieben, wie Märkte reagieren und wie die politische Rahmensetzung nachjustiert wird.
Quelle: Chemnitz Automotive Institute (CATI) – Per Mail