Für die erste Ausfahrt des neuen Kia EV4 hat der südkoreanische Automobilhersteller nach Marbella in Spanien eingeladen. Gut-Wetter-Garantie Mitte September ist hier noch gegeben. Ebenso eine abwechslungsreiche Route. Diese führte über mehr als 100 Kilometer von Marbella bis nach Cártama und zurück. Die Strecke bot Stadtverkehr, Landstraßen und einen kurzen Autobahnabschnitt. Gute Bedingungen, um das neue Kompakt-E-Auto im Alltag zu prüfen.
Schon in der Vergangenheit hatte Alexandre Papapetropoulos, Director Product and Pricing bei Kia Europe, betont, dass der EV4 auf verschiedenen Straßen ein ausgewogenes Verhältnis aus Fahrleistung, Komfort und Effizienz biete. Genau das spiegelte auch die gewählte Route an der Costa del Sol wider: kurvige Passagen für das Handling, schnelle Abschnitte für Stabilität und Gefälle, um die Rekuperation zu erproben.
Unterwegs im Kia EV4 Schrägheck in der GT-line
Der Testwagen war die Schrägheck-Variante für Europa in der Ausstattung GT-line und Lackierung Wolf Gray. Sie wird in Žilina (Slowakei) gebaut und markiert den Start der Elektroauto-Produktion von Kia in Europa. „Die lokale Produktion des EV4 in Europa stärkt unsere Position in einem der wettbewerbsintensivsten Märkte für Elektroautos weltweit und stellt zugleich sicher, dass fortschrittliche, erschwingliche Elektromobilität breit zugänglich wird“, erklärte Marc Hedrich, Präsident und CEO von Kia Europe, bereits im Vorfeld der Testfahrt in der Mitteilung zum Produktionsstart des Stromers.
Kia sieht das C-Segment als den Wachstumsmarkt der kommenden Jahre. Laut den in Marbella gezeigten Unterlagen soll der Anteil elektrischer C-Kompaktwagen in Europa von heute gut 11 Prozent auf rund 65 Prozent bis 2032 steigen. Der EV4 ist dabei das Modell, mit dem Kia dieses Volumen erschließen will. Francesco Conti, Produkt Manager Kia EV4 machte deutlich, dass der Hatchback bewusst für Europa entwickelt wurde – als „Designed and Made in Europe for Europe“. Damit wird klar: Der EV4 ist nicht nur ein weiteres Modell, sondern das zentrale Volumenfahrzeug in Kias Elektro-Roadmap.
Das passt zur Positionierung: Der EV4 zielt wie bereits erwähnt auf das europäische C-Segment, das traditionell das volumenstärkste Segment in vielen Märkten ist. In Deutschland entfallen laut KBA fast 20 Prozent aller Neuzulassungen auf diese Klasse. Kia will mit dem EV4 bewusst dort ansetzen, wo Kunden bislang eher zu Verbrennern oder Hybriden griffen.
Fahrgefühl: „sitting in the car, not on the car“
Conti betonte vor Ort: Rund 75 Prozent der C-Segment-Käufer wechseln nicht von einem SUV, sondern von klassischen Kompaktwagen. Genau diese Zielgruppe soll der EV4 abholen – mit niedriger Sitzposition, großzügigem Innenraum und einem dynamischen Fahrgefühl, das näher an klassischen Hatchbacks als an Crossover-SUVs liegt. Auffällig ist dabei die klare Abgrenzung zu SUV-Modellen: Die Sitzposition liegt rund 40 Millimeter tiefer als im EV3, der Schwerpunkt um 20 Millimeter niedriger. Kia setzt bewusst auf „sitting in the car, not on the car“.
Im Wettbewerbsumfeld trifft der EV4 direkt auf Modelle wie VW ID.3, Cupra Born, Opel Astra Electric oder Peugeot e-308. Kia selbst ordnet die Konkurrenten genau so ein – als Kernvergleichsgruppe für den europäischen Markt. Renault Scenic E-Tech und Škoda Elroq sieht man dagegen eher als Randwettbewerber, da sie stärker in Richtung Van oder SUV tendieren. Ziel ist es, Marktanteile im „Sweet Spot“ des Marktes zu gewinnen: effiziente, fahraktive Pkw mit großem Volumenpotenzial.
Strategisch will Kia mit dem EV4 auch die Lücke im eigenen Portfolio schließen. Nach EV6, EV9 und EV3 komplettiert der Kompakt-Stromer die Breite der Modellpalette und adressiert erstmals ein Segment, das für das Volumen entscheidend ist. „Der EV4 wird eine Schlüsselrolle bei der Demokratisierung der Elektromobilität spielen“, hieß es dazu seitens Kia bereits bei der Modellvorstellung.
Europäische Wurzeln beim Fahren direkt spürbar
Auf der Straße wirkt die europäische Abstimmung sofort. Das Lenkgefühl ist präzise, das Auto bleibt auf welligen Abschnitten ruhig. MacPherson-Vorderachse und Mehrlenker hinten werden durch selektive Frequenzdämpfer und Hydro-Buchsen ergänzt; die Entwickler zielen damit auf weniger Geräusche und Vibrationen ohne Einbußen bei der Agilität.
In engen Kurven rund um Ojén lässt sich der EV4 sauber anbremsen und hält die Spur verlässlich. Das Fahrwerk zeigte sich insgesamt eher weich abgestimmt, was für Komfort sorgt, aber sportlich orientierte Fahrer könnten sich ein strafferes Setup und eine schärfere Lenkreaktion wünschen. Die Federung und Dämpfung wirkten sehr angenehm, allerdings waren die Abrollgeräusche der 19-Zoll-Bereifung recht hoch – zumindest auf den eher nicht ganz so gepflegten Straßen Spaniens.
Der Antrieb ist in beiden Batterievarianten identisch: vorn sitzt ein 150-kW-Motor (204 PS), die Beschleunigung liegt je nach Akku bei 7,4 bis 7,8 Sekunden auf 100 km/h – im Fall des getesteten GT-line mit großem Akku waren es 7,8 Sekunden. Die Spitze liegt bei 170 km/h. Im Test zeigte der Bordcomputer je nach Abschnitt zwischen 14,4 und 15,7 kWh pro 100 Kilometer; das passt zu den WLTP-Angaben. Die offizielle Reichweite des Testwagens liegt bei 584 Kilometern kombiniert und 752 Kilometern im Stadtzyklus. Das 10-bis-80-Prozent-Laden dauert 31 Minuten – solide, wenn auch nicht mehr Klassenbestwert. In den Bergabpassagen der Sierra de las Nieves ließ sich dank i-Pedal 3.0 viel Energie zurückholen; die Rekuperation ist fein dosierbar und fördert ruhiges Fahren.
Im Innenraum kombiniert der EV4 ein aufgeräumtes Layout mit guter Ergonomie. Das Panoramadisplay aus 12,3-Zoll-Kombi, 5,3-Zoll-Klimatouch und 12,3-Zoll-Zentralbildschirm ist schnell erfasst; wichtige Funktionen bleiben über Tasten erreichbar. Auffällig: Hinter dem Lenkrad werden für die Navigation nur Pfeile angezeigt, keine Karte. Wer eine bessere Orientierung wünscht, muss auf den mittleren Bildschirm schauen.
Das Head-up-Display projizierte die nächste Richtungsweisung einen Schritt voraus – hilfreich, wenn man es weiß, aber anfangs gewöhnungsbedürftig. Die Kopfstützen erwiesen sich als bequem, die Armauflage in der Mittelkonsole dagegen als nicht verstellbar. Ambientelicht mit Sequenzen setzt Akzente, Materialien wirken solide und hochwertig, auch wenn nicht alles den Premium-Anspruch erfüllt.
Platzwunder? Nein. Aber ausreichend Platz ist dennoch vorhanden
Vorn wie hinten gibt es viel Platz, unterstützt vom Radstand von 2820 mm; der Kofferraum fasst 435 Liter. Mit 4450 mm Länge, 1860 mm Breite und 1485 mm Höhe liegt der EV4 genau im Kernmaß der Kompaktklasse. Trotz der kompakten Außenlänge wiegt die GT-line-Version 1910 kg, was auf die große Batterie und umfangreiche Ausstattung zurückzuführen ist. Die getestete Version war zudem mit Premium Relaxation Seats, Harman/Kardon-Soundsystem, Head-up-Display, Smart Power Tailgate und Remote Smart Parking Assist ausgerüstet – Extras, die den Alltagskomfort klar erhöhen.
Beim Thema Assistenz ist der Umfang hoch. Serienmäßig sind u. a. Frontkollisionswarner, Spurhalte- und Spurfolgeassistent, Navigations-Tempomat mit Stop-and-Go und Autobahnassistent. Je nach Ausstattung kommen Querverkehrwarner hinten, Totwinkel-Monitoranzeige, Rundumsichtkamera und ein fernbedienbarer Parkassistent hinzu. „Unser Ziel war es, das alltägliche Fahren so einfach wie möglich zu machen“, erklärte ein Kia-Mitarbeiter vor Ort. Die navigationsbasierte Regelung passt die Geschwindigkeit vor Kurven früh an, was auf der Strecke spürbar für Fluss sorgt.
Kia EV4: Kurzfazit nach erster Ausfahrt
Am Ende zeigt der EV4 ein klares Profil. Er ist komfortorientiert abgestimmt, was sich in der weichen Federung, den bequemen Sitzen und der insgesamt entspannten Fahrweise widerspiegelt. Sportlich Ambitionierte werden sich ein strafferes Setup wünschen, doch für den Alltag dürfte genau diese Auslegung viele Kunden überzeugen. Schwächen offenbarte der EV4 in Details wie der Geräuschdämmung bei höherem Tempo oder der nicht ganz intuitiven Bedienlogik von Navi und Head-up-Display.
Dem gegenüber stehen Stärken, die im C-Segment kaufentscheidend sind: ein ausreichendes Platzangebot im Innenraum, ein praxisgerechter Kofferraum, Reichweiten von mehr als 580 Kilometern im WLTP-Zyklus und eine Ladezeit von gut 30 Minuten. Hinzu kommt ein breites Technikpaket – von den Assistenzsystemen über digitale Schlüssel und OTA-Updates bis hin zu Komfortfunktionen wie Relax-Sitzen und Entertainment-Modi während der Ladepausen. Das alles zu Preisen ab 37.590 Euro für die Basisversion, die von uns getestete GT-Line mit großem Akku kostet rund 12.000 Euro mehr.
Strategisch ist der EV4 für Kia mehr als nur ein weiteres Modell. Als erstes in Europa produziertes Elektroauto der Marke verkörpert er den Schritt in den Massenmarkt und markiert den Einstieg in das volumenstärkste Segment Europas. Damit wird er zum Schlüsselmodell, um die Marke breiter zu positionieren. Ob das gelingt, wird der Markt entscheiden.
Disclaimer: Kia hat zum Kennenlernen des EV4 nach Marbella eingeladen. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.