Vermutlich stellen sich Fans der E-Mobilität exakt so das Paradies vor: Moderne 800-Volt-Technologie, windschlüpfige Karosserie – und eine Tour durch tempolimitierte Länder. Konkret geht es mit dem frisch gelifteten Hyundai Ioniq 6 durch Polen, Tschechien, Slowakei, Österreich, Ungarn, Slowenien und Kroatien. Alles an einem Tag und damit ein ordentlicher Ritt. Okay, weniger Nebel wäre schön gewesen, weniger Schnee selbstverständlich auch. Andererseits klettern die Temperaturen kaum über Null – und sind damit weit weg vom Verdacht wohliger Batterie-Wärme. Von einem Heimspiel für den Ioniq 6 kann also keine Rede sein.
Zeigen soll der Trip die Langstreckentauglichkeit des neuen Modells. Auch bei widrigen Bedingungen. Und ganz nebenbei räumen die Koreaner mit dem Irrglauben auf, E-Autos müssten vorrangig Wuchtbrummer sein, denen man die Federbeine langgezogen hat. Und so wartet mit dem neuen Ioniq 6 eben gerade kein soundsovieltes SUV, sondern eine derart frisch-freche Karosse, dass einem die Augen fast übergehen. Bogig geduckt und messerscharf gezeichnet, ein extravaganter Mix aus Limousine und Coupé: So eine Nummer trauen sie sich ansonsten nur bei Mercedes. Was viel über das Selbstbewusstsein bei Hyundai sagt.
Gerechtfertigt ist es allemal. Denn während die E-Autos dieser Welt in aller Regel noch mit 400-Volt-Architektur unterwegs sind, haben sie das in Seoul längst verdoppelt. Das ist im Markt der Masse schon eine Ansage.

Selbstverständlich ist die Technik aufwendig und natürlich hätte es billigere Alternativen gegeben. Aber das wäre halt gekleckert gewesen. Der Grund fürs Klotzen ist ein simpler: Längst wollen sie bei Hyundai mit ihren Autos ins Herz treffen. Und das schlägt bei E-Autos nun mal für große Reichweiten und noch schneller für kurze Ladezeiten. Wenn man in fünf Minuten Strom für mehr als 100 Kilometer in die Zellen pressen kann, schwindet die Bedeutung anderer Faktoren. Zugegeben: Nötig dafür ist eine ordentliche Schnellladesäule – aber dennoch gehen da selbst notorischen Nörglern langsam die Argumente aus.
Design und Aerodynamik greifen exakt ineinander
Mindestens ebenso wie die Technik aber zieht das Design. Und so duckt sich der Ioniq 6 auch in der Neuauflage tief, zieht sich am Heck nun sieben Zentimeter länger auf 4,93 Meter. Der Effekt: Die vorbeiwirbelnde Luft hat am Spoilerheck mehr Zeit, sich zu beruhigen. Zusammen mit neuer Haifisch-Front, schmalem Pixel-Licht, verkleidetem Unterboden und variablen Lüftungsklappen bringt es der Ioniq 6 auf einen cw-Wert von 0,21 und landet damit nur knapp hinter dem Aerodynamik-Primus Mercedes EQS (0,20).

Kollateralnutzen für Konservative: Statt Heckklappe wie beim kantigen Ioniq 5 gibt es hier echte Limousinen-Tradition – feste Scheibe samt klassischem Deckel über dem gut 400 Liter fassenden Kofferraum. Platz für das Ladekabel bietet ein Frunk unter der Fronthaube.
Ein kleines Opfer indes fordert der gestalterische Mut. Bei 2,95 Metern Radstand sitzt man zwar trotz des kühnen Abschwungs auch in zweiter Reihe noch sehr ordentlich, ein bisschen Demut vor dem Design erfordert der Einstieg indes schon. Allerdings haben die Entwickler trotz des blechernen Bogens den Sinn fürs Praktische bewahrt. So folgt die Form der Funktion und mündet in eine akzeptabel tiefe Ladekante.
Mehr Akku, mehr Leistung, mehr Auswahlmöglichkeiten
Zum Schwung im Dach gehört selbstverständlich auch der unter der Haube. Zur Wahl stehen nunmehr Akkus von 63 und 88 kWh (vorher 53 und 77,4), Heck- und Allradantrieb – sowie ein Spektrum zwischen 125 kW (170 PS) und 239 kW (325 PS). Tempo 100 liegt bei großem Akku und Kraft an beiden Achsen nach 5,1 Sekunden an, mit Heckantrieb und kleiner Batterie vergehen aber auch bloß 8,8. Rauf geht’s hier wie dort bis Tempo 185. Die maximale WLTP-Reichweite wächst von 614 auf 680 Kilometer.
So oder so jedoch geht dem Akku irgendwann der Saft aus. An einer DC-Säule lädt der Ioniq 6 nun mit bis zu 260 kW und kommt von zehn auf 80 Prozent in gerade mal 18 Minuten. Hübsches Detail: Mit bis zu 3,6 kW lädt der Ioniq 6 elektrische Geräte – ideal für die Stromversorgung unterwegs aus dem Auto heraus oder bei einem Blackout.

Das Fahrwerk ist bestens austariert, ohne gleich den Komfort zu schmälern, die Lenkung indes könnte ein wenig mehr Rückmeldung vertragen. Wer’s kommod schätzt, der kleinen Hatz zwischendurch aber nicht abgeneigt ist, dem sei Heckantrieb samt großem Akku empfohlen. Dem fehlt zwar der harte Punch des Allradlers, allerdings kontert er im Geschlängel mit geringerem Gewicht und agilerem Handling. Wer allerdings allzu flott in enge Ecken strebt, muss trotz modernster Technik erfahren, dass Masse nun mal den Weg Richtung Tangente nimmt. Immerhin sind zwei Tonnen und mehr von den bis zu 20 Zoll großen Rädern in der Bahn zu halten.
Platz finden die Insassen vorne reichlich. Man thront auf gut konturierten Sitzen und kann sich auf Wunsch – etwa bei der Ladepause – samt ausklappbarer Beinauflage gepflegt flachlegen. Apropos Sitze: Wen selbst bei ökologisch behandeltem Leder das Gewissen plagt – zur Wahl stehen auch Stoffe aus PET-Flaschen und für den Boden Recycling-Garne aus alten Fischernetzen. Pigmente für die Farbgebung stammen aus Altreifen und Bambuskohle.

Obendrein hat Hyundai den Ioniq 6 ordentlich gedämmt gegen all den Lärm von draußen. Gegen den von innen muss man gezielt vorgehen. Die geballte Assistenz würde sonst für ordentlich Bohei sorgen. Aus allen Richtungen piepst, bimmelt und warnt es. Und das schon, wenn man nur kurz gähnt oder irgendeiner Linie einen winzigen Hauch zu nahekommt. Fünf Sterne beim NCAP-Test können manchmal auch ein Fluch sein. Zum Glück lässt sich nahezu alles einigermaßen schnell abstellen.
Assistenzsysteme greifen tief in die Fahrt ein. Wenn man möchte
Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil Hyundais Jüngster auf Wunsch rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, das richtige Tempo hält, gebührend Abstand wahrt, vor Sekundenschlaf warnt und – wenn sonst nichts mehr hilft – hart abbremst. Jedenfalls so lange, wie die notwendigen Sensoren die vereiste Front noch durchdringen können. Nach hinten blickend wird’s ein wenig eng. Die extrem geneigte Heckscheibe verengt die Welt zum Schlitz. Da weiß man auch, warum die rückwärtige Kamera Serie ist. Optional gibt’s Linsenblick auch für die Außenspiegel. Allerdings passen die in ihrer auffallend kantigen Form deutlich besser zum Ioniq 5 – und der ungewohnte Blick auf Bildschirme am Fensterdreieck ist auch nicht jedermanns Sache.

Das Cockpit bilden zwei 12-Zoll-Displays im Breitwand-Format. Links die Instrumente, rechts das Infotainment. Ausladender war das in dieser Klasse selten. Neu gestaltet hat Hyundai das Lenkrad-Design und die Mittelkonsole. Die beherbergt leider auch die Bedienung der Fensterheber, sodass sich der intuitive Schwenk Richtung Türverkleidung jedes Mal als Fehlgriff erweist, da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Pfiffig: Wer zwischen den Fahrmodi Eco, Normal und Sport wechselt, kann jeweils den Korridor zwischen minimaler und maximaler Restreichweite ablesen.
Das alles gibt’s natürlich nicht als Schnäppchen – auch wenn die neuen Preisschilder noch nicht gedruckt sind. Das Basis-Modell mit kleiner Batterie und 125 kW starkem Heckantrieb wird knapp über 45.000 Euro starten. Für großen Stromspeicher und mehr Leistung dürfte Hyundai wohl Mitte 50 aufrufen, mit Allradantrieb samt 325 PS deutlich jenseits der 60. Das ist dann zwar jede Menge Auto – aber eben auch verdammt viel Geld.

Womöglich lohnt ein klein wenig Geduld. Ein Shooting Brake ähnlich dem Konzernbruder Kia ProCeed ist zwar weiter nur ein Gerücht – ab Frühjahr indes kommt der Ioniq 6 auch als Ballermann-Modell N mit 650 PS, breiterer Spur und jeder Menge Rennsport-Technik. Quasi die Verschmelzung von Kraft und Form. Und mit um die 77.000 Euro noch mal einen guten Batzen teurer. Allerdings: Wer technisch gleichauf mit Porsche liegen will, darf nun mal keine Krämerseele sein.
Warum selbst ein Mammuttrip problemlos möglich bleibt
Nicht heraus ist, ob bis dahin das Laden einfacher geworden ist. In Deutschland wie in Europa. Schließlich finden sich bei der Säulen-Verteilung gerade im Osten des Kontinents weiße Flecken zuhauf. Da will die Route deutlich exakter geplant sein. Auch sonst auf der Sechs-Länder-Tour finden sich Skeptiker gelegentlich bestätigt. Nicht jede im Navi offerierte Säule ist bei Ankunft auch tatsächlich frei, wo 300 kW draufsteht, sind manchmal nur 60 kW drin – und ja, ein kleines Dächlein über dem Lader wäre nicht die schlechteste aller Ideen.

Am Ende Kleinigkeiten, zugegeben. Entscheidender ist da schon, den Akku ausreichend lange vor dem Stopp in Wohlfühl-Temperatur zu versetzen, um von Beginn an den vollen Ladestrom zu nutzen. Weshalb es klüger sein kann, etwas früher einzustöpseln als auf den letzten Drücker, wenn die verbliebene Power für diese Vorkonditionierung schon nicht mehr reicht.
So bleibt am Ende eines langen Tages die Erkenntnis, dass selbst ein Mammuttrip auf Strom bei halbwegs ordentlicher Planung technisch keinerlei Herausforderung bedeutet. Angesichts frostiger Bedingungen und jeder Menge Autobahnkilometer sind 21,6 kWh Durchschnittsverbrauch völlig in Ordnung. Was bei knapp 850 Kilometern Strecke eine Drei-Stopp-Strategie erlaubt, die jeweils die Länge eines mehr oder weniger gepflegten Käffchens nur unwesentlich übersteigen. Sehr viel mehr Strecke schafft man an einem Tag auch mit einem Verbrenner nicht.






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