Chiles Lithiumplan: Mehr Mitsprache, weniger Wasser

Chiles Lithiumplan: Mehr Mitsprache, weniger Wasser
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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 15 min

– In Zusammenarbeit mit Sociedad Química y Minera (SQM) –

Kaum ein Rohstoff steht so sinnbildlich für die Widersprüche der Energiewende wie Lithium. Es ist ein Schlüsselmetall für Batterien in Elektroautos, Smartphones und Stromspeichern – und gilt zugleich als Symbol für Ausbeutung und Ungleichheit. Immer wieder ist in Medien, wie Taz, ORF oder der Welt, vom „grünen Kolonialismus“ die Rede, wenn westliche Länder saubere Mobilität fordern, während der Abbau der dafür notwendigen Rohstoffe Umwelt und Lebensgrundlagen im globalen Süden belastet. Kritiker verweisen auf fehlende Mitsprache, zerstörte Landschaften und Gemeinden, die kaum von den Gewinnen profitieren.

Auch Chile, weltweit zweitgrößter Lithiumproduzent, kennt diese Vorwürfe. Doch am Salar de Atacama – der größten Lithiumquelle des Landes – hat sich in den vergangenen Monaten ein anderer Weg abgezeichnet. Unter Leitung der staatlichen Entwicklungsagentur Corporación de Fomento de la Producción (CORFO) fand dort eine zehnmonatige Konsultation statt, in der 28 indigene Gemeinden und 23 Organisationen über die Zukunft der Lithiumförderung berieten. Das Ziel: ein gemeinsamer Rahmen für die neue Partnerschaft zwischen dem Staatsunternehmen Codelco und dem bisherigen Betreiber Sociedad Química y Minera (SQM), gültig bis 2060.

Das Ergebnis des Prozesses sind 13 gemeinsam definierte Prinzipien und zwölf zusätzliche Empfehlungen – ein Versuch, wirtschaftliche Interessen, ökologische Verantwortung und soziale Teilhabe miteinander zu verbinden. Im Zentrum unserer Betrachtung stehen drei der Prinzipien, die wir beispielhaft hervorheben möchten: der Einsatz neuer Technologien, ein nachhaltiger Umgang mit Wasser und ein Value-Sharing-Modell, das die indigenen Gemeinden stärker an den Einnahmen und Entscheidungen beteiligt.

Dieser Artikel beleuchtet zunächst die komplexen Abhängigkeiten zwischen Staat, Industrie und Bevölkerung im Salar de Atacama – und zeigt dann, wie aus einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Umwelt und Kultur ein Kompromiss mit potenziell globaler Bedeutung wurde.

Interessen und Verantwortung

Der Salar de Atacama liegt im Herzen der chilenischen Atacama-Wüste – eine der trockensten Regionen der Welt und zugleich eine der rohstoffreichsten. Unter seiner erhobenen Salzkruste lagern gigantische Vorkommen lithiumhaltiger Sole. Für die internationale Industrie ist das Gebiet ein strategischer Schatz, denn Lithium ist zu einem unverzichtbaren Rohstoff für Batterien in Elektroautos, Smartphones und Energiespeichern geworden. Für die Indigenen vor Ort, die Lickanantay, ist der Salar dagegen ein lebendiges Territorium – spirituell, kulturell und ökologisch eng mit ihrer Identität verbunden.

In dieser Spannung zwischen globaler Nachfrage und lokaler Verwurzelung bewegt sich Chiles neue Lithiumstrategie. Im Zentrum steht CORFO, eine staatliche Entwicklungsagentur, die als Eigentümerin der Lithiumkonzessionen im Salar de Atacama fungiert. CORFO vergibt nicht nur die Förderrechte, sondern kontrolliert auch, dass deren Nutzung den sozialen und ökologischen Verpflichtungen des Landes entspricht. Sie steht damit an einer Schnittstelle, die in vielen Ländern fehlt: zwischen staatlicher Aufsicht, industrieller Produktion und dem Anspruch, die Bevölkerung aktiv einzubinden.

Das zweite Element des Geflechts bildet das Staatsunternehmen Codelco, bisher vor allem als weltgrößter Kupferproduzent bekannt. Im Zuge der „Estrategia Nacional del Litio“ überträgt ihm die Regierung die zentrale Aufgabe, den staatlichen Anteil an der Lithiumförderung in strategisch relevanten Salars in Chile auszubauen und langfristig zu sichern. Während CORFO also die rechtliche Eigentümerin der Konzessionen bleibt und die Rahmenbedingungen festlegt, wird Codelco künftig operativer Partner im Produktionsgeschäft. Beide Institutionen agieren komplementär: CORFO als Regulatorin und Eigentümerin der Ressourcen, Codelco als staatlicher Industrieträger, der die Umsetzung verantwortet.

Codelco tritt dabei in Form eines Joint Ventures (50/50 Beteiligung +/- ein „golden share“) mit SQM in den Lithiumbetrieb im Salar de Atacama ein. Während SQM bis Ende 2030 weiterhin das operative Management verantwortet, wird Codelco ab 2031 diesen durch den „golden share“ als Hauptbetreiber bis 2060 führen. Ziel ist, die Lithiumproduktion durch neue Technologien und Effizienzsteigerungen zu erhöhen, bei gleichzeitiger Einhaltung höchster Nachhaltigkeitsstandards sowie reduziertem Ressourceneinsatz und Wasserverbrauch. Erst vor kurzem wurde für die Umsetzung der Partnerschaft die Billigung der chilenischen Kontrollbehörde („Contraloría“) erteilt.

SQM, seit den 1990er-Jahren im Salar aktiv, verfügt über die technologische Basis und die industrielle Infrastruktur, die Chile und SQM zu einem der weltweit führenden Lithiumproduzenten gemacht haben. In den vergangenen Jahren stand das Unternehmen jedoch zunehmend im Fokus öffentlicher Diskussionen – insbesondere im Hinblick auf den Wasserhaushalt im Salar und die sozialen Auswirkungen des Bergbaus auf die Gemeinden der Region.

Viele dieser Themen sind komplexer, als sie in der öffentlichen Debatte oft dargestellt werden. In unserer Serie „Stories from the Salar de Atacama“ sind wir dieser Komplexität bereits nachgegangen: etwa der Frage, wie sich Wasserverbrauch, Verdunstung und natürliche Zuflüsse tatsächlich zueinander verhalten – und weshalb einfache Vergleiche zwischen Sole- und Süßwasser irreführend sein können. Auch die vermeintlich klaren Widersprüche zwischen industrieller Nutzung und Ökosystemschutz erweisen sich vor Ort als dynamisches Geflecht aus kulturellen, wissenschaftlichen und klimatischen Faktoren.

Mit der neuen Partnerschaft zwischen Codelco und SQM sollen Transparenz, Umweltmanagement und Mitbestimmung dauerhaft verankert werden: als Grundlage für eine Lithiumproduktion, die den sozialen und ökologischen Realitäten des Salars gerecht wird.

Für die indigenen Gemeinden der Lickanantay, die seit Generationen rund um den Salar leben, bedeutet das mehr als nur Mitsprache. Sie betrachten die Wüstenlandschaft nicht als Ressource, sondern als zusammenhängendes Ökosystem aus Wasser, Land und Kultur. Ihre Sorge: dass der Abbau die empfindlichen Gleichgewichte zwischen Grundwasser, Flora und Fauna zerstört. Zugleich wissen viele, dass Lithium Arbeitsplätze schafft und Einkommen generiert – eine ambivalente Realität, die Teil ihres Alltags geworden ist.

CORFO, Codelco, SQM und die indigenen Gemeinden stehen damit in enger Beziehung. Mehrere Gemeinden profitieren bereits von den Unterstützungs- und Sozialprogrammen der Industrie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und Infrastruktur. Zum Teil gehen sie auch Beschäftigungen nach, die direkt oder indirekt an den Bergbau geknüpft sind. Die Zustimmung der Gemeinden ist für den langfristigen Betrieb politisch und gesellschaftlich sehr wichtig. Ohne industrielle Partner fehlen Investitionen und technologische Kapazitäten. Und ohne staatliche Steuerung droht der Verlust von Kontrolle über einen der wichtigsten Rohstoffe des Landes.

Diese Konstellation war Ausgangspunkt für einen bisher einzigartigen Prozess: ein Konsultationsverfahren, das alle Beteiligten an einen Tisch bringt. Zehn Monate lang diskutierten Vertreter:innen aus 28 indigenen Gemeinden und 23 lokalen Organisationen mit CORFO über Grundsätze, Risiken und Chancen. Überwacht vom „Instituto Nacional de Derechos Humanos“ und offen dokumentiert, sollte dieses Verfahren aufzeigen, dass nachhaltige Rohstoffförderung und lokale Teilhabe kein Widerspruch sein müssen.

Der Konsultationsprozess – Dialog mit Tiefenstruktur

Als CORFO im November 2024 zur ersten Sitzung der „Consulta Indígena Contratos Salar de Atacama“ einlud, war schnell klar, dass dieser Prozess mehr werden würde als eine Pflichtübung. Zehn Monate lang, von November 2024 bis September 2025, trafen sich Vertreter:innen aus Gemeinden und Organisationen der lokalen Gemeinden mit Regierungsvertretern, Fachleuten und Beobachtern, um über nichts Geringeres als die Zukunft des Lithiumabbaus im Salar zu sprechen und zu verhandeln.

Die Konsultation war Teil der nationalen Lithiumstrategie und Voraussetzung für den neuen Vertrag zwischen Codelco und SQM. Sie sollte sicherstellen, dass die Gemeinden nicht nur informiert, sondern aktiv an Entscheidungen beteiligt werden, die ihre Lebenswelt unmittelbar betreffen. Der Prozess folgte dabei den Prinzipien des ILO-Übereinkommens 169, das Chile verpflichtet, indigene Völker bei Maßnahmen zu konsultieren, die sie direkt beeinflussen könnten.

CORFO organisierte die Konsultation in fünf Phasen – von der Planung über Informations- und Dialogrunden bis zur abschließenden Systematisierung. Unterstützt wurde CORFO dabei von SQM, das in seiner Rolle als aktueller Betreiber des Salar technische Informationen, hydrologische Daten und Prozesswissen einbrachte. Diese begleitende Funktion war entscheidend, um komplexe Fragen zur Förderung, Wasserbilanz und Technologieentwicklung sachlich zu klären – ohne die Entscheidungsführerschaft der CORFO zu beeinträchtigen. Insgesamt fanden 38 Sitzungen statt, verteilt auf die Dörfer rund um San Pedro de Atacama, Peine, Toconao und Talabre. An diesen nahmen 3350 Menschen teil, mehr als die Hälfte davon Frauen.

Nach intensiven Diskussionen einigten sich die Beteiligten auf 13 zentrale Prinzipien und zwölf zusätzliche Empfehlungen, die künftig den Rahmen für die Lithiumförderung im Salar bilden. Im Zentrum stehen Themen wie Umweltverantwortung, Transparenz, neue Technologien und die Beteiligung der Gemeinden an Entscheidungsprozessen und wirtschaftlichen Erträgen.

SQM

Die Vereinbarung geht dabei weit über eine symbolische Geste hinaus. Sie schafft verbindliche Strukturen, in denen die Gemeinden an Steuerungs- und Kontrollmechanismen beteiligt sind. Künftig sollen Vertreter der indigenen Gemeinden in Gremien sitzen, die über Umweltfragen, Wasserhaushalt und Fördervolumina mitentscheiden. Gleichzeitig sichern jährliche Beiträge den Gemeinden finanzielle Mittel, um eigene Entwicklungsprojekte umzusetzen – von Bildungsinitiativen über Tourismusprojekte bis hin zu ökologischen Schutzmaßnahmen.

CORFO legte Wert auf Transparenz: Alle Sitzungen wurden protokolliert, Material öffentlich zugänglich gemacht, unabhängige Gutachten erstellt. Die umfassenden Konsultationen hatten über 200 Beteiligten allein in den abschließenden Plenarsitzungen. Der 259-Seiten lange Abschlussbericht ist auf Spanisch einsehbar.

Trotz einzelner Einwände von Gemeinden und Organisationen und hiermit verbundener rechtlicher Berufungen, blieb der Grundtenor positiv. Beteiligte sehen in dem Verfahren ein mögliches Vorbild dafür, wie die Nutzung strategischer Rohstoffe künftig in Chile – und vielleicht auch anderswo – organisiert werden könnte: als kontrollierte, transparente Partnerschaft statt als Quelle dauerhafter Konflikte.

Innovation, Wasser, Teilhabe als Fundamente des gemeinsamen Vertrags

Von den 13 vereinbarten Prinzipien der Konsultation stechen drei besonders hervor: technologische Innovation, verantwortungsvolles Wassermanagement und ein neues Modell wirtschaftlicher Teilhabe. Zusammen tragen sie zum Kern dessen bei, was Chile als „nachhaltige Lithiumförderung“ versteht – und zugleich die Grundlage für die künftige Partnerschaft von Codelco und SQM bildet.

Entwicklung neuer Technologien

Mit dem Prinzip „Entwicklung neuer Technologien“ verpflichten sich CORFO, Codelco und SQM, den Abbau im Salar de Atacama neu zu gestalten. Ziel ist nicht Expansion, sondern Effizienz – also mehr Lithium zu gewinnen bei gleichzeitig weniger Eingriffen in das fragile Ökosystem des Salar de Atacama. Das Prinzip wurde in der Konsultation zu einem der meistdiskutierten Themen, weil es direkt über die Zukunft des Salar entscheidet: Ob die industrielle Nutzung mit dem Schutz des Ökosystems vereinbar ist, hängt davon ab, wie stark technologische Innovation und Nachhaltigkeit künftig ineinandergreifen.

Dabei ist die technologische Erneuerung kein völlig neuer Gedanke. SQM arbeitet bereits seit Jahren an Verfahren, die den Wasser- und Flächenverbrauch deutlich reduzieren sollen – ein Weg, der lange vor der Konsultation begann. In unseren „Stories from the Salar de Atacama“ haben wir gezeigt, dass das Unternehmen unter dem Projekttitel „Salar Futuro“ schon früh eine eigene Innovationsstrategie entwickelte. Sie zielt darauf ab, den Übergang von großflächigen Verdunstungsbecken hin zu geschlossenen Kreislaufsystemen zu schaffen, die Sole effizienter verarbeiten und gleichzeitig weniger Süßwasser benötigen.

SQM hat bisher über 140 Studien und mehr als 12 Pilotversuche durchgeführt, um neue Technologien (z. B. mechanische Verdunstung) und Methoden zur direkten Lithiumextraktion unter realen Bedingungen zu testen. Dabei wurden und werden unterschiedliche Ansätze geprüft – von Ionenaustausch- und Membranverfahren bis hin zu Adsorptionssystemen, die Lithium gezielt aus der Sole filtern und den Rest der Flüssigkeit wieder in das Salzfeld zurückleiten. Der Fokus liegt auf Lösungen, die sich an die besonderen Gegebenheiten des Salar anpassen: hohe Salzkonzentrationen, extreme Temperaturen und eine sensible Hydrologie.

shutterstock / 2694837695 | Salar de Atacama, Chile: Hochauflösende Luftaufnahme von Salt Flat, Lithium-Pools und abstrakter Wüstenlandschaft

Mit der neuen Partnerschaft zwischen Codelco und SQM sollen diese Erkenntnisse nun aus der Erprobung in die industrielle Anwendung überführt werden. Die im Konsultationsprozess verankerte Verpflichtung, technologische Innovationen schrittweise einzuführen, schafft dafür einen verbindlichen Rahmen. Gleichzeitig sollen Umweltverträglichkeitsprüfungen und ein begleitender Dialog mit den Gemeinden sicherstellen, dass der Wandel nachvollziehbar bleibt.

Konkret verpflichtet sich SQM, gemeinsam mit Codelco und unter Aufsicht von CORFO, bis spätestens 2026 umfassende Umwelt- und Technologiepläne einzureichen. Diese sollen den Übergang von herkömmlichen Verdunstungsverfahren zu neuen, effizienteren Extraktionstechnologien detailliert beschreiben und messbare Ziele für Ressourceneinsparung und Kreislaufsysteme enthalten. Erst nach Prüfung und Genehmigung dieser Pläne dürfen weitere Ausbauschritte erfolgen.

Für die Innovations-Roadmap „Salar Futuro“ ist zudem für das Jahr 2026 eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung (Evaluación de Impacto Ambiental, EIA) vorgesehen. Gemäß Artikel 86 der SEIA-Verordnung wird dieser Prozess eine eigene, gesonderte Konsultation der indigenen Gemeinden einschließen, um sicherzustellen, dass die ökologischen und sozialen Auswirkungen der neuen Technologien transparent bewertet und gemeinsam diskutiert werden. Hierzu dann mehr in einem gesonderten Beitrag, der zeitnah erscheint.

Doch Innovation allein genügt nicht, wenn die zentrale Ressource des Salar – das Wasser – nicht geschützt wird.

Wasser als gemeinsames Gut

Kaum ein Thema prägt die Debatte im Salar de Atacama so stark wie das Wasser. Für die indigenen Gemeinden ist es Lebensgrundlage, kulturelles Symbol und Teil eines jahrhundertealten Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur. Für die Industrie ist Wasser zugleich Produktionsfaktor und limitierende Ressource. Und für die Umwelt bildet es ein sensibles System aus Oberflächenwasser, Grundwasser und Sole. Ein System, das durch Klima, Geologie und Nutzung ständig in Bewegung ist.

Das zweite Prinzip der Konsultation, das wir betrachten, widmet sich daher dem Ziel eines „nachhaltigen und langfristig ausbalancierten Wasserhaushalts“. Dahinter steht die Einsicht, dass der Umgang mit Wasser im Salar nicht nur eine technische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe ist. Die Vereinbarung verpflichtet Codelco, SQM und CORFO, alle relevanten hydrologischen Daten regelmäßig offenzulegen, sie durch von Indigenen beauftragten Auditoren prüfen zu lassen und in öffentlichen Berichten zugänglich zu machen. So entsteht ein System, das wissenschaftliche Beobachtung, staatliche Kontrolle und lokale Erfahrung zusammenführt.

Darüber hinaus soll eine gemeinsame Datenplattform geschaffen werden, auf die sowohl Behörden, Forschungseinrichtungen als auch die indigenen Gemeinden Zugriff haben. Sie soll Informationen über Wasserentnahmen, Pegelstände und Verdunstungsraten bündeln und ein gemeinsames Verständnis des Wasserhaushalts fördern. Für die Region ist das ein Paradigmenwechsel: weg von getrennten Informationssystemen hin zu geteiltem Wissen als Grundlage gemeinsamer Verantwortung.

Unsere eigenen Recherchen vor Ort im Rahmen der „Stories from the Salar de Atacama“ haben bereits gezeigt, wie vielschichtig dieser Zusammenhang ist. Der Unterschied zwischen Sole und Süßwasser ist in der Praxis deutlich signifikanter, als er in der öffentlichen Debatte oft dargestellt wird. Sole ist kein nutzbares Trinkwasser, sondern eine dichte, mineralreiche Flüssigkeit, die sich in tieferen Schichten unter dem Salar bewegt. Ihre Dynamik wird von geologischen Barrieren, Dichteunterschieden und natürlichen Verdunstungsprozessen beeinflusst. Dadurch sind Vergleiche, die Wasserverbrauch im Salar mit landwirtschaftlicher Nutzung oder Trinkwasserversorgung gleichsetzen, methodisch problematisch.

Auch aktuelle Studien zeigen, wie komplex die hydrogeologischen Strukturen vor Ort sind und analysieren, wo Frischwasser und wo Sole durch SQM und Albemarle abgepumpt werden. | https://doi.org/10.3390/w17223311

Genau hier setzt das neue Prinzip an: Es verlangt transparente, interdisziplinäre Forschung und erkennt an, dass Wasser im Salar nicht isoliert betrachtet werden kann. Der Dialog zwischen Wissenschaft, Unternehmen und Gemeinden soll dazu beitragen, Missverständnisse abzubauen und Entscheidungen auf Basis verlässlicher Daten zu treffen.

Ein zentrales Element ist die geplante Einbindung der Gemeinden in hydrologische Monitoringprogramme. Vertreter der lokalen Gemeinden sollen künftig an Messkampagnen teilnehmen, Schulungen erhalten und die Ergebnisse mit auswerten. Damit soll eine Form von partizipativer Wissenschaft entstehen, die über reine Konsultation hinausgeht – und Vertrauen schafft in einem Bereich, der bislang oft von Misstrauen geprägt war. SQM hat hier bereits Vorsprung geleistet: In den vergangenen Jahren wurde ein partizipatives Monitoring mit lokalen Gemeindemitgliedern eingeführt, bei welchem Messungen zum Grundwasserstand und hydrologischen Daten gemeinsam mit Expert:innen von SQM durchgeführt wurden. Solche Praktiken sollen nun vertieft und weiter formalisiert werden.

Neben Technologie und Ökologie spielt auch der gerechte Anteil am wirtschaftlichen Erfolg eine entscheidende Rolle.

Value-Sharing und Partizipation: Mehr als Kompensation

Ein drittes zentrales Thema der insgesamt 13 Prinzipien betrifft die wirtschaftliche Teilhabe der Gemeinden. Schon seit 2018 beteiligt SQM die indigenen Gemeinden am wirtschaftlichen Erfolg des Lithiumabbaus und unterstützt zusätzlich Projekte in Bildung, Kultur und Infrastruktur. Der aktuelle Pachtvertrag mündete in wichtigen Beitragszahlungen von insgesamt über sechs Milliarden Dollar, welche seit 2018 in die Staatskassen geflossen sind. Davon waren wiederum über 500 Millionen Dollar speziell für den Norden Chiles vorgesehen: indigene Gemeinden, regionale und lokale Verwaltungen sowie regionale F&E.

Mit den neuen Vereinbarungen wird dieses System strukturell erneuert und erweitert. Die Beiträge aus der Lithiumproduktion werden an Produktionsmengen und Marktpreise gekoppelt. Das bedeutet: Steigt der Lithiumpreis oder die geförderte Menge, profitieren auch die Gemeinden direkt – nicht über politische Umwege, sondern durch ein festgeschriebenes System.

Übrigens: Durch die Allianz zwischen Codelco und SQM erhöht sich der staatliche Anteil an den Einnahmen an der Lithiumproduktion deutlich: Ab 2031 könnte dieser Anteil bis zu 85 Prozent der operativen Marge erreichen, durch Zahlungen an CORFO, Steuern und die Gewinne von Codelco.

Wie in der Konsultation festgelegt, sollen die Mittel künftig in gemeinschaftlich gesteuerte Entwicklungsfonds fließen, die sich an den sogenannten „planes de vida“ orientieren und mittel- bis langfristige Entwicklungspläne der Gemeinden beschreiben. So entscheiden die Gemeinden selbst, ob sie in Bildung, Wasserinfrastruktur, Tourismus, Landwirtschaft oder Kulturprojekte investieren. Im Mittelpunkt stehen nachhaltige, gemeinschaftsgetriebene Investitionen.

Besonders hervorzuheben ist der geplante generationenübergreifende Fonds für ältere Mitglieder der Gemeinden. Er soll sicherstellen, dass auch jene profitieren, die die Transformation des Salar über Jahrzehnte begleitet haben, ohne selbst an den neuen Industrien teilzuhaben.

Über das Finanzielle hinaus ist Partizipation hier wörtlich zu verstehen. Die Vereinbarung schafft Mitbestimmungsrechte in Governance-Strukturen, in denen Vertreter:innen der Gemeinden künftig über Förderprojekte, Umweltdaten und Investitionen mitentscheiden. Die Gremien sollen paritätisch besetzt sein – mit Vertreter:innen von Staat, Industrie und Gemeinden –, Beschlüsse erfolgen im Konsensprinzip. So entsteht eine Form geteilter Verantwortung, die in der chilenischen Rohstoffpolitik neu ist, und aktuell auch in anderen Projekten Anwendung findet.

Der Prozess wirkt wie der Wandel weg von punktueller Kompensation, hin zu kooperativer Entwicklung. Es schafft Verlässlichkeit – für die Gemeinden, weil ihre Interessen verbindlich berücksichtigt werden; für die Industrie, weil Dialog und Einbeziehung indigener Stakeholder zur Voraussetzung langfristiger Planung wird; und für den Staat, weil er gesellschaftliche Stabilität mit wirtschaftlicher Wertschöpfung verbindet. In diesem Sinne verspricht das Ergebnis der Konsultation eine Zukunftsvision, in der Lithium noch stärker als gemeinsamer Motor für lokale Entwicklung und gesellschaftlichen Fortschritt für Chile in den Vordergrund rückt.

Für Europa zählt die Praxis, nicht nur die Ankündigung. Expert:innen wie Julia Poliscanova, Transport & Environment, drängen auf konkrete Projekte mit Ländern wie Chile: verbindliche Abnahmeverträge, lokale Verarbeitungsschritte, überprüfbare Umwelt- und Sozialstandards. Nachhaltig gefördertes Lithium aus regulierten Partnerschaften wird damit zum Test für die europäische Batteriepolitik – und zum Baustein robuster Lieferketten jenseits einseitiger Abhängigkeiten.

Chiles neue Rolle in der globalen Energiewende

Chile verfügt über einige der reichsten Lithiumvorkommen der Welt und spielt damit eine Schlüsselrolle für den Ausbau der Elektromobilität. Doch der Wert dieses Rohstoffs bemisst sich heute nicht mehr allein nach Exportmengen oder Marktpreisen. Entscheidend ist, unter welchen Bedingungen er gewonnen wird – ökologisch, sozial und institutionell. Genau hier setzt die chilenische Lithiumstrategie an: mit dem Ziel, die Kontrolle über die Ressource zu behalten, technologische Kompetenz im Land aufzubauen und die Bevölkerung an der Wertschöpfung zu beteiligen.

Trotz der Komplexität und Hürden auf diesem Weg, macht der von CORFO geführte Konsultationsprozess im Salar de Atacama deutlich, wie dieser Anspruch praktisch umgesetzt werden kann. Er schafft klare Verantwortlichkeiten, verankert Beteiligung und etabliert Standards, die über den nationalen Rahmen hinausreichen. Damit wird Chile zu einem Labor für neue Formen staatlich regulierter Rohstoffpolitik – in einer Zeit, in der viele Länder ähnliche Fragen stellen: Wie lässt sich der Zugang zu strategischen Materialien sichern, ohne alte Ungleichgewichte zu reproduzieren?

Für die Industrie ist dieser Ansatz nicht ohne Risiko. Transparenz, Mitbestimmung und Umweltauflagen erhöhen die Komplexität der Produktion. Doch sie können zugleich langfristige Stabilität schaffen – eine Voraussetzung für verlässliche Lieferketten und Partnerschaften mit Märkten wie Europa, die zunehmend Wert auf nachweislich nachhaltige Herkunft legen.

Wenn die Vereinbarung zwischen CORFO, Codelco, SQM und den Gemeinden hält, was sie verspricht, könnte Chile zum Referenzfall werden: für eine Lithiumwirtschaft, die wirtschaftliches Wachstum, ökologische Verantwortung, gesellschaftliche Teilhabe und lokale Wertschöpfung miteinander verbindet.


Hinweis, ergänzende Quelle zur eingebundenen Karte: Link, A.; Marinova, S.; Roche, L.; Coroamă, V.; Hinkers, L.; Borchardt, D.; Finkbeiner, M. Toward a LocalizedWater Footprint of Lithium Brine Extraction: A Case Study from the Salar de Atacama. Water 2025, 17, 3311.

Disclaimer: Die „Stories from the Salar de Atacama“ sind mit Unterstützung von Sociedad Química y Minera (SQM) entstanden. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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