Der Wettlauf um Lithium ist in vollem Gange. Während China seine Position entlang der Batterie-Wertschöpfungskette über Jahrzehnte systematisch ausgebaut hat und die USA mit massiven Industrieprogrammen nachziehen, wirkt Europas Rohstoffpolitik oft wie aus der Zeit gefallen: ambitioniert im Anspruch, aber schwach in der Umsetzung.
Julia Poliscanova, Senior Director für Fahrzeuge und Batterie-Lieferketten bei Transport & Environment (T&E), zählt zu den profiliertesten Stimmen, wenn es um nachhaltige Industriepolitik und kritische Rohstoffe geht. Im Gespräch mit Elektroauto-News spart sie nicht mit Kritik und benennt konkrete Handlungsfelder. Besonders deutlich wird sie mit Blick auf Chile: Das rohstoffreiche Land sei bereit für echte Partnerschaften – doch Europa liefere oft nur leere Versprechen, während China längst konkrete Anteile an Minen sichere.
Der Zugang zu Lithium entscheidet mit darüber, ob Europa im Rennen um die Elektromobilität eine führende Rolle einnehmen kann oder Zuschauer bleibt. Die Nachfrage nach dem Schlüsselrohstoff für E-Auto-Batterien wächst weltweit. China hat sich frühzeitig Marktanteile gesichert, die USA ziehen mit staatlicher Förderung nach. Und Europa? Setzt auf Strategiepläne, bleibt aber in der Umsetzung oft zurück.
„Europa ist nicht zu spät gestartet, aber es war zu langsam. Und ist heute weder strategisch noch schnell genug“, so Poliscanova. Sie war maßgeblich an der Ausgestaltung des EU-Batteriegesetzes beteiligt, sitzt im Advisory Board der Internationalen Energieagentur (IEA) und kritisiert die europäische Rohstoffpolitik offen: „Wir haben Ziele, aber keine funktionierende Industriepolitik. Es fehlt an gezielten Förderprogrammen und an einem echten Business Case.“
Chile als strategischer Partner – aber Europa agiert zu passiv
Ein Land steht dabei exemplarisch für Europas strukturelle Schwächen: Chile. Das südamerikanische Land verfügt über einen der größten bekannten Lithiumvorräte der Welt, darunter bedeutende unerschlossene Reserven in Salaren wie dem Salar de Maricunga. Für Poliscanova ist klar: „Chile ist eine große Chance für Europa – aber wir nutzen sie nicht.“
Woran es fehlt? An Verbindlichkeit. „Ich war 2023 in Chile. Die EU-Kommission hatte kurz zuvor ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet – aber danach kam nichts. Kein Projekt, keine Nachverfolgung“, berichtet sie. Und weiter: „Die chilenische Regierung sagte mir ganz offen: Europa redet. China handelt.“ Während Brüssel Erklärungen unterzeichne, kaufe China zur gleichen Zeit Anteile an Minen im Land.
Dabei habe Chile ein klares Interesse an Partnerschaften auf Augenhöhe. „Sie wollen ihre Batterie-Wertschöpfungskette ausbauen, nicht nur Rohstoffe liefern. Dafür brauchen sie technologische Expertise, Investitionen, geologische Unterstützung“, so Poliscanova. Gerade in der Erschließung neuer Lagerstätten könne Europa punkten, etwa mit geologischen Kartierungen oder industrieller Prozesskompetenz. „Wir könnten Programme wie Global Gateway genau dafür nutzen. Aber bislang tun wir es nicht.“
„Wir müssen aufhören, generische MoUs zu unterzeichnen“
Die Kritik geht tiefer: „Europa fehlt eine strategische Länderanalyse. Wir unterzeichnen Absichtserklärungen, ohne konkret zu wissen, was der Partner braucht – und was wir bieten können.“ Dabei sei Chile prädestiniert für eine engere Kooperation. Nicht nur wegen der Rohstoffvorkommen, sondern auch wegen vergleichsweise stabiler Institutionen und hoher ESG-Standards. „Wir könnten mit Unternehmen wie BASF oder Umicore gemeinsam vor Ort investieren, auch in die lokale Verarbeitung. Aber dafür braucht es politischen Rückhalt und Kapital.“
Poliscanova schlägt vor, dass Europa, wie die USA, direkte Beteiligungen an strategischen Projekten übernimmt. „Wer Anteile hält, kann mitbestimmen. Über Umweltstandards, Wasserverbrauch, Rückgewinnungsraten. Und wir sichern uns Offtake-Optionen, also langfristige Lieferverträge.“ Möglich sei dies über einen EU-Rohstofffonds im Rahmen des Critical Raw Materials Act oder über nationale Akteure wie die KfW.
Das zentrale Problem: Europa setzt auf lange Verfahren, China auf Geschwindigkeit. „In der gleichen Woche, in der die EU ein strategisches Abkommen mit einem afrikanischen Land unterzeichnete, kaufte China dort eine Mine“, berichtet Poliscanova. Für Länder wie Chile sei das entscheidend. „Sie wollen keine leeren Versprechen, sondern echte Partner. Europa muss liefern – und zwar schnell.“
Und sie warnt: „Chile wird nicht warten. Wer jetzt nicht handelt, wird dort mittelfristig keinen Platz mehr haben, weder politisch noch wirtschaftlich.“ Für Poliscanova ist die Sache klar: „Wir müssen endlich von der Strategie in die Umsetzung kommen. Europa hat das Know-how, die Mittel und die Partner – aber es fehlt an Tempo, Klarheit und Mut.“