Kaum ein Thema ist für die Zukunft der Elektromobilität so entscheidend wie der Zugang zu kritischen Rohstoffen. Lithium, Nickel, Kobalt und Mangan bilden das Rückgrat der Batterieproduktion – und damit der europäischen Autoindustrie im Wandel. Doch die weltweite Nachfrage steigt rasant, während geopolitische Spannungen zunehmen. China dominiert große Teile der Lieferkette, die USA investieren gezielt in strategische Partnerschaften und Förderprogramme. Und Europa? Hat zwar ambitionierte Ziele formuliert, aber vielerorts fehlt es an Umsetzungskraft.
Julia Poliscanova gehört zu den profiliertesten Stimmen in der europäischen Debatte über nachhaltige Lieferketten und industrielle Souveränität. Seit 2015 arbeitet sie bei der Umweltorganisation Transport & Environment (T&E), wo sie mittlerweile als Senior Director die Bereiche Fahrzeuge, Elektrifizierung und Batterie-Lieferketten verantwortet. Mit ihrer Arbeit prägte sie unter anderem das europäische Batterierecht und das Gesetz zu kritischen Rohstoffen mit. Zudem vertrat sie T&E im Board der Global Battery Alliance und berät die Internationale Energieagentur zu strategischen Rohstofffragen.
Im Gespräch mit Sebastian Henßler, Herausgeber von Elektroauto-News, spricht Poliscanova offen über die strategischen Versäumnisse Europas, über falsche Narrative rund um Elektromobilität und darüber, wie kleinere E-Autos, mehr Recycling und gezielte Industriepolitik den Kontinent unabhängiger machen könnten. Ein Interview über politische Lücken, wirtschaftliche Chancen – und darüber, warum man nicht nur Absichtserklärungen unterschreiben, sondern endlich handeln muss.
T&E-Expertin Julia Poliscanova über Europas Rohstoffdilemma: „Wir brauchen mehr als Ziele – wir brauchen Umsetzung“
Sebastian Henßler, Elektroauto-News: Frau Poliscanova, wie schätzen Sie die aktuelle Position der EU im globalen Wettbewerb um kritische Rohstoffe ein – insbesondere mit Blick auf die Versorgungssicherheit?
Julia Poliscanova: Die Europäische Union befindet sich derzeit in einer klaren Nachzüglerrolle. Während China schon vor Jahrzehnten begonnen hat, gezielt in strategisch wichtige Rohstoffe zu investieren und über Jahre hinweg komplexe, weit verzweigte Lieferketten aufzubauen, fehlt es Europa noch immer an einer kohärenten und entschlossenen Herangehensweise. China dominiert heute nicht nur den Abbau, sondern vor allem die Verarbeitung und Veredelung zentraler Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder seltene Erden – und das mit einem technologischen Vorsprung, der sich über Jahre verfestigt hat.
Doch nicht nur China ist Europa inzwischen voraus: Auch die USA, die erst vergleichsweise spät in das Rennen eingestiegen sind, haben dank entschlossener industriepolitischer Maßnahmen rasch aufgeholt. Programme wie der Inflation Reduction Act setzen gezielt Anreize, um Lieferketten zu diversifizieren und nationale Abhängigkeiten zu reduzieren. In vielen Bereichen – insbesondere bei Investitionen in die Verarbeitung und strategische Partnerschaften – sind die USA der EU inzwischen einen Schritt voraus.
Und Europa? Die Union hat zwar in den vergangenen Jahren wichtige Weichen gestellt – etwa mit dem Critical Raw Materials Act oder durch eine Reihe von Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern –, doch in der Praxis kommt vieles nicht vom Papier in die Realität. Es fehlt an strategischer Tiefe, an Geschwindigkeit und an einer industriepolitischen Vision, die über bloße Zielvorgaben hinausgeht. Die Folge: Während andere Akteure aktiv Wertschöpfung sichern, ringt Europa noch mit Prozessen und Abstimmungen. In einem globalen Wettbewerb, der sich rasant beschleunigt, ist das ein struktureller Nachteil.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden, die Europa zurückwerfen?
Die Herausforderungen sind vielfältig, doch zwei strukturelle Defizite stechen besonders hervor: der Mangel an einer konsistenten Industriepolitik und das Fehlen gezielter finanzieller Unterstützung entlang der Lieferkette.
Zwar existieren auf europäischer Ebene ambitionierte Zielvorgaben – etwa das Bestreben, bis 2030 vierzig Prozent der Raffinierung kritischer Rohstoffe wie Lithium, Nickel oder Kobalt innerhalb der EU zu verankern. Doch diesen Zielen fehlen bislang die notwendigen industriepolitischen Instrumente, um daraus auch tragfähige Geschäftsmodelle für europäische Unternehmen zu entwickeln. Anders gesagt: Es gibt keinen ausreichenden wirtschaftlichen Anreiz, diese Wertschöpfung tatsächlich vor Ort aufzubauen. Lokale Präferenzsysteme – also politische Mechanismen, die die Verwendung europäischer Rohstoffe in Produkten fördern – fehlen ebenso wie Maßnahmen, die Importe etwa durch Zölle regulieren und so faire Wettbewerbsbedingungen schaffen könnten.
Ein ebenso gravierender Engpass zeigt sich bei der Finanzierung. Zwar fließen EU-Gelder in Forschung und Entwicklung, doch an der entscheidenden Schwelle vom Labor in die industrielle Skalierung bleibt Europa zurückhaltend. Es fehlt an passgenauen Förderinstrumenten, die insbesondere den Hochlauf industrieller Produktion absichern. Die USA gehen hier mit gutem Beispiel voran: Der Inflation Reduction Act setzt direkt bei der Produktion an – mit Prämien, die an tatsächlich gefertigte Mengen geknüpft sind. Das senkt Risiken, schafft Planungssicherheit und motiviert Investoren. Europa hingegen verharrt zu oft in der Konzeptphase, während andere längst produzieren.
Wo sehen Sie realistische Chancen, doch noch aufzuholen?
Trotz aller Rückstände gibt es in Europa nach wie vor substanzielle Potenziale – insbesondere in drei Bereichen entlang der Batterie-Wertschöpfungskette.
Erstens: beim Lithium selbst. Im Gegensatz zu anderen kritischen Rohstoffen ist Lithium weltweit nicht knapp – und auch Europa verfügt über relevante Vorkommen, etwa in Deutschland und Frankreich. Besonders interessant ist dabei, dass hier neue, umweltfreundlichere Fördermethoden entwickelt werden, etwa die sogenannte „Direct Lithium Extraction“ (DLE). Dieses Verfahren ermöglicht eine ressourcenschonende Gewinnung aus geothermischen Solen und könnte Europa nicht nur technologisch, sondern auch ökologisch zum Vorreiter machen. Sollte es gelingen, die geplanten Projekte zügig umzusetzen, könnte die EU bis 2030 weitgehend autark in der Produktion von Lithium-Chemikalien werden – und so einen zentralen Engpass bei der Batteriefertigung schließen.
Zweitens: Recycling. Europa ist bereits heute ein bedeutender Markt für Elektroautos – und verfügt damit über eine stetig wachsende Menge an Altbatterien. Diese „urbanen Minen“ sind eine strategische Ressource: Die Rückgewinnung von Lithium, Nickel, Kobalt und anderen Materialien aus gebrauchten Batterien ist technisch ausgereift und industriell ähnlich anspruchsvoll wie die klassische Raffination. Wer es schafft, diesen Bereich konsequent auszubauen, kann nicht nur Rohstoffe sichern, sondern auch industrielle Kompetenz aufbauen. Voraussetzung dafür sind allerdings passende regulatorische und finanzielle Rahmenbedingungen.
Drittens: die Kathodenproduktion. Diese zentrale Batteriezelle-Komponente enthält die teuersten und entscheidendsten Materialien – verarbeitetes Lithium, Nickel, Kobalt und Mangan. Wer hier Wertschöpfung generiert, sichert nicht nur Versorgung, sondern auch technologische Souveränität. Projekte von Unternehmen wie BASF oder Umicore zeigen, dass Know-how und Ambitionen in Europa vorhanden sind. Doch der Ausbau verläuft bislang schleppend. Gerade in diesem Bereich wäre mehr politischer Druck und eine aktive Industriepolitik nötig, um Tempo aufzunehmen und mit den USA und Asien gleichzuziehen.
Warum kommt der nötige Rückenwind nicht von der Industrie, etwa von deutschen Herstellern?
Ein zentrales Problem liegt in der kurzfristigen Logik industrieller Entscheidungen. Für viele Automobilhersteller – insbesondere aus Deutschland – ist es derzeit schlichtweg bequemer und wirtschaftlich attraktiver, ihre Materialien direkt aus China zu beziehen. Die dortigen Lieferketten sind eingespielt, die Qualität hoch und die Preise durch Skaleneffekte unschlagbar. Warum also investieren, wenn der globale Markt vermeintlich alles bietet?
Die Ursache liegt nicht allein in der Haltung der Unternehmen, sondern auch in den politischen Rahmenbedingungen. Europa bietet bislang kaum systemische Anreize, um Investitionen in eigene Lieferketten lohnend zu machen. Es fehlen lokale Vorgaben oder Anreize – sogenannte „local content“-Regeln –, die Unternehmen verpflichten oder motivieren würden, bestimmte Wertschöpfungsschritte innerhalb der EU zu erbringen. In den USA ist das anders: Wer dort E-Autos verkaufen will, muss bestimmte Produktionsanteile vor Ort leisten. Diese politische Klarheit wirkt – und zwingt Hersteller wie Zulieferer zu lokaler Investition.
In Europa hingegen herrscht ein Vakuum. Unternehmen, auch aus Asien oder Nordamerika, hätten durchaus Interesse, Produktionskapazitäten in der EU aufzubauen – doch sie brauchen Verlässlichkeit, Planungssicherheit und vor allem wirtschaftliche Anreize. Es geht nicht darum, europäische Firmen zu bevorzugen oder sich abzuschotten. Im Gegenteil: Offenheit gegenüber internationalen Partnern ist essenziell. Aber die Produktion – und damit Wertschöpfung, Know-how und Arbeitsplätze – muss vor Ort stattfinden. Denn nur so kann Europa mittelfristig unabhängiger und wettbewerbsfähiger werden.
Wer müsste also investieren – Staat, Industrie oder beides?
Eine erfolgreiche Rohstoffstrategie für Europa kann nur gelingen, wenn öffentliche und private Investitionen Hand in Hand gehen. Der Staat – sei es auf nationaler Ebene oder über EU-Instrumente – sollte die Rolle des Anschiebers übernehmen. Es geht darum, das Anfangsrisiko zu tragen, Planungssicherheit zu schaffen und damit den Weg für privates Kapital zu ebnen. Denn gerade in den frühen Phasen neuer Verarbeitungs- oder Recyclingprojekte ist die Unsicherheit groß – politisch, wirtschaftlich und technologisch. Öffentliche Mittel können hier als Risikopuffer wirken, zum Beispiel in Form von zinsgünstigen Krediten, Garantien oder direkten Förderungen für Produktionsanläufe.
Doch diese Anschubfinanzierung allein reicht nicht aus. Die Automobilindustrie als größter Abnehmer von Batterien und Rohstoffen steht in der Pflicht, Verantwortung für ihre Lieferketten zu übernehmen – auch finanziell. Das bedeutet: Beteiligungen, gezielte Investitionen in Recyclingunternehmen, Materialhersteller oder Veredler, aber vor allem langfristige Abnahmeverträge. Ohne sogenannte „offtake agreements“, also feste Zusagen über die Abnahme von Materialien, fehlt es vielen europäischen Unternehmen an der wirtschaftlichen Grundlage, um überhaupt investieren zu können – selbst dann, wenn sie technologisch führend und ökologisch vorbildlich produzieren.
Genau hier kommt die Politik ins Spiel. Sie muss Rahmenbedingungen schaffen, die solche Partnerschaften erleichtern oder gar notwendig machen. Denn so lange es für die Hersteller einfacher und günstiger ist, hochwertige Rohstoffe aus China zu beziehen, werden Investitionen in europäische Lieferketten ein Randphänomen bleiben. Eine kohärente Industriepolitik muss also nicht nur fördern, sondern auch fordern – von Staat und Industrie gleichermaßen.
Welche Rolle können rohstoffreiche Länder wie Chile spielen?
Eine zentrale – insbesondere wenn es um Lithium geht. Denn in einer zukunftsgerichteten Rohstoffpolitik darf es nicht allein um reine Beschaffung gehen, sondern um echte, langfristige Partnerschaften auf Augenhöhe. Chile ist hierfür ein Paradebeispiel: Das Land verfügt nicht nur über einige der weltweit größten Lithiumvorkommen, sondern auch über den politischen Willen, die eigene Rolle in der globalen Batterie-Wertschöpfungskette auszubauen. Was Chile sich von Europa wünscht, ist klar: Know-how, Investitionen und technologische Unterstützung – etwa beim Aufbau lokaler Verarbeitungsstrukturen oder bei geologischen Studien zur besseren Erschließung von Lagerstätten.
Europa hätte durchaus die Mittel, um solche Partnerschaften zu ermöglichen – etwa über Programme wie „Global Gateway“, die genau dafür geschaffen wurden. In der Realität bleibt es aber häufig bei Ankündigungen. Es werden Memoranden unterzeichnet, gemeinsame Absichtserklärungen verkündet – und dann hört man oft nichts mehr. So gab es etwa in Chile nach der Unterzeichnung eines MoUs durch die EU-Kommission keinerlei Folgekommunikation. Zur gleichen Zeit sicherte sich China konkrete Beteiligungen an einem lokalen Minenprojekt. Ein ähnliches Muster zeigte sich auch in Afrika: Während die EU dort ein strategisches Abkommen unterzeichnete, erwarb China in derselben Woche einen direkten Anteil an einem Rohstoffvorhaben im Land.
Diese Gegenüberstellung bringt das Problem auf den Punkt: Europa verspricht, China liefert. Wer wirklich als strategischer Partner wahrgenommen werden will, muss mehr tun als wohlklingende Dokumente unterzeichnen. Es braucht greifbare Projekte, unternehmerische Präsenz und das klare Signal: Wir sind gekommen, um zu bleiben – zum beiderseitigen Nutzen.
Wäre es nicht auch im Interesse der EU, etwa in Minen zu investieren, um Einfluss zu gewinnen?
Absolut – und zwar nicht nur zur Absicherung der eigenen Versorgung, sondern auch, um ökologische und soziale Standards aktiv mitgestalten zu können. Denn wer Anteile an einem Rohstoffprojekt hält, sitzt mit am Tisch, wenn es um Umweltauflagen, Wasserverbrauch oder Arbeitsbedingungen geht. Beteiligungen schaffen nicht nur Einfluss, sondern auch Verantwortung – und genau das wäre eine glaubwürdige europäische Antwort auf die Herausforderungen der globalen Rohstoffpolitik.
Andere Länder sind hier längst weiter. Die USA etwa beteiligen sich gezielt an strategischen Minenprojekten, sowohl im eigenen Land als auch international. Sie investieren in reale Produktionsstätten – nicht nur in Studien oder Beratung. Europa dagegen tut sich schwer, solche direkten Schritte zu gehen. Es fehlt an passenden Instrumenten auf europäischer Ebene, etwa an einem Rohstofffonds, der der EU-Kommission ermöglichen würde, strategische Beteiligungen im Rahmen des Critical Raw Materials Act gezielt einzugehen.
Doch auch auf nationaler Ebene gibt es Optionen: Exportkreditagenturen wie die KfW spielen bereits heute eine wichtige Rolle bei der Finanzierung internationaler Projekte. Bislang unterstützen sie jedoch vor allem Infrastrukturvorhaben – beispielsweise Wasserkraftwerke oder Kläranlagen. Eine zukunftsgerichtete Rohstoffstrategie müsste diesen Hebel neu ausrichten: Warum nicht direkt in Minen investieren, anstatt nur deren Umfeld zu fördern? Wenn die öffentliche Hand zum Mitbesitzer wird, gewinnt Europa nicht nur Kontrolle über kritische Rohstoffe – sondern auch die Möglichkeit, seine Werte und Standards konkret umzusetzen.
Welche Länder wären aus Ihrer Sicht besonders geeignete strategische Partner – auch im Hinblick auf ESG-Kriterien?
Es gibt eine Reihe rohstoffreicher Länder, mit denen Europa bereits im Austausch steht – doch ihr Potenzial ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Kanada, Australien, Chile und Argentinien gelten zu Recht als verlässliche Partner mit hohen Standards im Umwelt- und Sozialbereich. Sie verfügen nicht nur über umfangreiche Vorkommen an Lithium, Nickel und Seltenen Erden, sondern auch über politische Stabilität und transparente Bergbauregulierung.
Doch daneben gibt es weitere Länder, die in der europäischen Rohstoffstrategie bislang zu wenig Beachtung finden. Ein Beispiel ist Sambia. Das Land ist reich an Mineralien, politisch vergleichsweise stabil und – was besonders relevant ist – bislang nicht vollständig in chinesische Lieferketten eingebunden. Hier böte sich eine echte Chance, frühzeitig eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu etablieren, bevor andere Akteure das Feld dominieren.
Auch die Philippinen verdienen stärkere Aufmerksamkeit. Das Land verfügt über bedeutende Nickelreserven – ein Rohstoff, der für moderne Batterietechnologien unerlässlich ist. Zugleich mangelt es dort oft noch an robusten Regulierungen im Bergbau. Europa könnte hier nicht nur als Abnehmer auftreten, sondern als Partner, der beim Aufbau nachhaltiger und fairer Förderstrukturen unterstützt. Ein Gewinn für beide Seiten – ökonomisch wie ökologisch.
Ein weiteres Beispiel ist Südafrika. Neben historischen Wirtschaftsbeziehungen – etwa durch deutsche Hersteller, die dort seit Jahrzehnten aktiv sind – bietet das Land Zugang zu Mangan, einem Rohstoff, der in Zukunft eine zentrale Rolle in Batteriezellen spielen dürfte. Sowohl in Nickel-reichen als auch in Eisen-basierten Batterietypen (wie LFP) zeichnet sich ein zunehmender Einsatz von Mangan ab. Wer frühzeitig in diesen Markt einsteigt, sichert sich strategische Vorteile. Doch auch hier gilt: Absichtserklärungen allein reichen nicht. Es braucht konkrete Projekte, Unternehmenskooperationen und eine klare europäische Präsenz vor Ort.
Und wie steht es um die Rolle Chinas? Sollte Europa den Zugang blockieren oder mit chinesischen Unternehmen kooperieren?
Ein pauschales Abschotten wäre der falsche Weg. Vielmehr sollte Europa chinesische Investitionen gezielt zulassen – aber unter klar definierten Bedingungen. Denn die technologische und operative Kompetenz chinesischer Unternehmen, etwa im Bereich Batteriefertigung oder Rohstoffverarbeitung, ist unbestritten. Dieses Know-how kann Europa helfen, den eigenen Rückstand schneller aufzuholen – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen.
Das Ziel muss sein, dass chinesische Firmen nicht einfach nur in Europa montieren oder labeln, sondern echte Produktionsstätten aufbauen, in denen europäische Standards für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung gelten. Ebenso entscheidend ist, dass diese Kooperationen zu einem substanziellen Wissens- und Technologietransfer führen – und nicht zu einer einseitigen Abhängigkeit. Europa darf nicht zur verlängerten Werkbank werden, auf der nur noch zusammengesetzt wird, was anderswo entwickelt wurde.
Richtig gestaltet, können solche Partnerschaften eine Win-win-Situation sein: Europa profitiert vom Tempo und der Erfahrung chinesischer Akteure, während diese Zugang zu einem stabilen, regulierten Markt erhalten. Doch damit das gelingt, braucht es verbindliche Vorgaben. Etwa zu lokaler Wertschöpfung, zur Weitergabe von Produktions-Know-how oder zu Standards beim Energie- und Wasserverbrauch. Nur dann wird aus Kooperation echte strategische Souveränität – und nicht ein neuer Abhängigkeitszyklus.
Ein wichtiger Hebel ist auch die öffentliche Wahrnehmung. Welche Narrative müssten sich ändern, um Elektromobilität und Rohstoffpolitik stärker zusammenzudenken?
Es sind vor allem zwei Erzählungen, die derzeit einer konstruktiven Debatte im Weg stehen – und damit letztlich auch dem Fortschritt in der Elektromobilität.
Erstens: der weitverbreitete Mythos, wonach Elektromobilität gleichzusetzen sei mit Kinderarbeit in Kobaltminen. Natürlich gibt es gravierende Missstände in Teilen des Kleinbergbaus – das darf und soll nicht relativiert werden. Aber: Diese Probleme existieren nicht exklusiv in der Kobaltgewinnung, sondern betreffen auch viele andere Rohstoffe – darunter Gold, Eisenerz oder sogar Baumaterialien. Der Fokus allein auf E-Autos verzerrt die Realität. Was wir brauchen, ist eine systemische Verbesserung des Bergbaus weltweit – mit international verbindlichen Standards, unabhängiger Kontrolle und transparenten Lieferketten. Die Initiative for Responsible Mining Assurance (IRMA) bietet hier ein glaubwürdiges Rahmenwerk, das dringend breiter Anwendung finden sollte.
Zweitens: die häufig beschworene Rohstoffknappheit. In der öffentlichen Debatte wird oft suggeriert, dass der Hochlauf der Elektromobilität zwangsläufig zu globalen Engpässen führt. Was oft übersehen wird: Der Rohstoffbedarf ist kein fester Wert – er wird durch politische Entscheidungen, technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Präferenzen beeinflusst. Ein zentraler Hebel liegt im Fahrzeugdesign: Warum müssen Elektroautos immer größer, schwerer und leistungsstärker werden? Der Trend zu E-SUVs oder gar Pick-ups widerspricht dem Grundgedanken einer ressourcenschonenden Mobilitätswende.
Dabei gibt es längst belastbare Daten: Eine Studie von Transport & Environment zeigt, dass allein durch die Umstellung von großen auf kompakte Modelle – also vom Elektro-SUV zum elektrischen Kleinwagen – bis 2040 rund 25 Prozent weniger Lithium und Nickel gebraucht würden. Das ist keine Kleinigkeit, sondern ein strategischer Rohstoffvorteil. Wer also über Lieferketten spricht, sollte auch über die Fahrzeuggröße sprechen – und über politische Instrumente, die ressourcenschonendere Mobilität fördern können: etwa durch Bonus-Malus-Systeme, strengere CO₂-Flottengrenzwerte, Vorgaben zur Fahrzeugdimension oder städtische Beschränkungen für übergroße Fahrzeuge.
Kurz gesagt: Wir müssen weg vom Tunnelblick auf das „Ob“ der Elektromobilität – und hin zu einem „Wie“, das technologische Innovation, gesellschaftliche Verantwortung und politische Gestaltungsmacht zusammendenkt.
Frau Poliscanova, vielen Dank für das Gespräch.