In der Autozulieferindustrie herrscht derzeit große Besorgnis. Von den insgesamt etwa 780.000 Beschäftigten in der Automobilindustrie arbeiten aktuell rund 270.000 bei zuliefernden Unternehmen. Noch vor vier bis fünf Jahren seien es rund 40.000 Beschäftigte mehr gewesen, wie Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands Hannover, laut Branchenmagazin Automobilwoche erklärt. Er prognostiziert einen weiteren Rückgang und schätzt, dass bis zum Jahr 2030 die Zahl der Beschäftigten bei Zulieferern in Deutschland auf rund 200.000 sinken wird.
Die Umstellung auf Elektromobilität, die fortschreitende Digitalisierung und die anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit haben weitreichende Auswirkungen, die nicht nur die Autohersteller betreffen, sondern auch die Zulieferindustrie. Die Produktion von Elektroautos erfordert nämlich weniger Arbeitskräfte als von herkömmlichen Verbrennern, was zu einem Überangebot an Arbeitskräften führen könnte.
Auch andere Unternehmen in der Branche werden voraussichtlich ähnliche Anpassungen vornehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die finanziellen Belastungen sind beträchtlich und beeinträchtigen die Gewinnmargen, sodass einige Zulieferunternehmen in die Verlustzone geraten. Doch jene, die nicht entschlossen in zukunftsweisende Technologien investieren, laufen große Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Drastische Kostensenkungsmaßnahmen sind daher als Antwort auf diese Herausforderung zu verstehen.
Experten wie Schwope und Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, sehen dies als mögliche Vorboten für einen breiteren Stellenabbau in der gesamten Autoindustrie. Bratzel hatte bereits vor fünf Jahren prognostiziert, dass die Einführung der Elektromobilität einige Arbeitsplätze kosten wird. Er schätzt, dass etwa ein Fünftel der rund 800.000 Arbeitsplätze bei Autobauern und Zulieferern in Deutschland überflüssig werden könnten – bis zu 160.000 Jobs.
Erste Schritte in diese Richtung seien bereits erkennbar, da einige Unternehme mit dem Abbau von Stellen begonnen haben. Fachleute sind sich einig, dass dies erst der Anfang einer tiefgreifenden Veränderung ist. Schwope prognostiziert im Bericht der Automobilwoche, dass die kommenden Jahre für Zulieferer schwieriger sein werden als für Autohersteller, insbesondere da sich der Trend zum Insourcing bei den Herstellern beschleunige. Obwohl in Bereichen wie der Batterieentwicklung oder -fertigung neue Stellen entstehen, würden diese nicht ausreichen, um den Verlust anderer Stellen zu kompensieren.
“Unternehmen wollen Beschäftigung hierzulande halten”
Verfolgt man die Nachrichten der letzten Wochen, so merkt man, dass sich die schlechten Nachrichten aus der Automobilzulieferindustrie häufen. Continental kündigte weltweit die Streichung von 7150 Stellen in der Automotive-Sparte an. Der ZF-Gesamtbetriebsrat warnt vor dem Verlust von 12.000 Stellen in Deutschland bis 2030 und auch bei Bosch sollen Tausende Stellen wegfallen, vor allem in Deutschland. Beim Zulieferer Mahle stehen die großen Entscheidungen zu einem möglichen Jobabbau noch aus, wie es heißt. Und erst vor wenigen Tagen meldete das Handelsblatt, dass der französische Autozulieferer Forvia in den kommenden fünf Jahren bis zu 10.000 Arbeitsplätze in Europa streichen möchte. Insgesamt seien im Rahmen des Sparprogramms „EU-Forward“ 13 Prozent der Stellen betroffen, habe der Mutterkonzern des deutschen Zulieferers Hella mitgeteilt.
All diese Maßnahmen betreffen hauptsächlich die Bereiche Verbrenner-Antriebe, automatisiertes Fahren und Steuergeräte. Für Manuel Kallweit, Chefvolkswirt beim Verband der Automobilindustrie VDA, waren diese Ankündigungen vorhersehbar. Auch CAM-Direktor Bratzel verweist auf frühere Studien, die bereits vor Jahren einen Arbeitsplatzabbau von bis zu 20 Prozent prognostiziert haben – eine Zahl, die nach wie vor relevant sei. Zwischen 2019 und 2023 sei die Beschäftigung in der gesamten deutschen Automobilindustrie um sechs Prozent gesunken, wobei der Rückgang bei den Zulieferern etwas stärker ausfiel.
Besonders deutlich sei der Rückgang jedoch in der Autoproduktion gewesen, wo die Zahl der produzierten Pkw von 4,7 Millionen im Jahr 2019 auf 4,1 Millionen im Jahr 2023 gesunken sei, was einem Rückgang von rund 12 Prozent entspreche. Somit ist er der Meinung: “Ich hätte mir die Ankündigungen zu Stellenstreichungen in diesem Umbruch sogar noch ein bisschen deutlicher vorgestellt. Das zeigt: Die Unternehmen wollen Beschäftigung hierzulande halten“, wird Kallweit laut Automobilwoche zitiert.
Kallweit unterstreicht auch, dass die geplanten Stellenstreichungen bei den Zulieferern sozialverträglich gestaltet werden müssen. Den betroffenen Mitarbeitern sollen alternative Positionen innerhalb der Unternehmen angeboten werden, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Des Weiteren betont er, dass viele der betroffenen Mitarbeiter in angrenzenden Industrien Beschäftigung finden können. Dies liege zum Teil daran, dass weiterhin ein Fachkräftemangel herrscht, der sich in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht verringern werde, heißt es.
Darüber hinaus hebt er hervor, dass statistisch gesehen Mitarbeiter, die von Automobilzulieferern zu Batterie- oder Halbleiterherstellern wechseln, der Elektroindustrie zugeordnet werden. Obwohl sie nicht mehr automatisch zu den klassischen Autozulieferern gezählt werden, stellen sie dennoch weiterhin Komponenten für Fahrzeuge her. Diese Dynamik verdeutliche, dass der Übergang zu neuen Technologien auch eine Verschiebung der Arbeitskräfteprofile mit sich bringe, während gleichzeitig das Kerngeschäft in der Automobilindustrie weiterhin bedient werde.
2024: “Ganz schwieriges Jahr” für die Autoindustrie
Bratzel beschreibt im Interview mit der Wochenzeitung “VDI Nachrichten” 2024 als “ganz schwieriges Jahr” für die Automobilindustrie, insbesondere aufgrund des Wegfalls von Förderungen für Elektromobilität und der strengen CO2-Grenzwerte, die bis 2025 erreicht werden müssen. Die Konkurrenz durch Unternehmen wie Tesla und chinesische Hersteller verschärfe die Lage zusätzlich. Die Autohersteller haben seiner Meinung nach teilweise versucht, die kostenintensive Elektromobilitäts-Transformation durch eine stärkere interne Wertschöpfung zu kompensieren, aber auch diese Strategie stoße an ihre Grenzen, was zu Personalabbau führe. Neben der schwächelnden Konjunktur stellt Bratzel auch die Aussichten für europäische und deutsche Autobauer im globalen Vergleich als nicht besonders positiv dar.
Insbesondere in Deutschland sei die Lage herausfordernd, da die Neuzulassungen und Produktionszahlen im Vergleich zur Zeit vor der Covid-19-Pandemie gering seien. Dies werfe ein Schlaglicht auf die Standortbedingungen in Deutschland, die dazu führen, dass viele Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern. Bratzel betont, dass hohe Lohn- und Energiekosten sowie eine überbordende Bürokratie in Deutschland dazu führen, dass Zulieferer und Hersteller vermehrt in Osteuropa investieren. Diese Entwicklung sei besorgniserregend, da die getätigten Investitionen langfristige Auswirkungen hätten und es dringend erforderlich sei, dem entgegenzuwirken.
Der Experte kritisiert im Interview die Politik dafür, dass sie durch widersprüchliche Signale zur Elektromobilität und langsamen Bürokratieabbau die Lage in der deutschen Automobilindustrie verschärft habe. Dennoch sehe er die etablierten europäischen Autobauer im Premiumsegment wie Mercedes oder BMW besser positioniert als die chinesischen Konkurrenten, insbesondere im Volumensegment.
Das Hauptproblem liege darin, dass deutsche Elektroautos im Durchschnitt etwa 52.000 Euro kosten, was einen großen Preisunterschied zu Verbrennern darstellt, so Bratzel weiter. Viele Hersteller seien gezwungen, massive Rabatte zu geben, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Chinesische Hersteller wie BYD, SAIC und Tesla haben deutlich bessere Kostenstrukturen entlang der elektromobilen Wertschöpfungskette. Bratzel betont die Notwendigkeit für kostengünstigere Elektromodelle im Kompakt- und Kleinwagenbereich in Europa, an denen die Hersteller weiterhin profitieren könnten. Dies sei aber eine große Herausforderung und keine kurzfristige Lösung.
VDI Nachrichten spricht von einer Schieflage zwischen Umsatzplus der Autohersteller (23 Prozent) und der Zulieferer (6 Prozent) im Jahr 2022. Diese erkläre sich laut Bratzel hauptsächlich durch die Fokussierung der Hersteller auf hochpreisige Fahrzeuge, während niedrige Stückzahlen sich negativ auf die Zulieferer auswirkten, die ihre Preise nicht entsprechend erhöhen konnten.
Batterien eröffnen neue Geschäftsmöglichkeiten
Mit dem Rückgang der Nachfrage nach Teilen für Verbrennerfahrzeuge werden einige Zulieferer mit Umsatzverlusten konfrontiert sein. Gleichzeitig eröffnet die Batteriezelle als Schlüsselkomponente für Elektrofahrzeuge neue Geschäftsmöglichkeiten für andere Akteure, wobei der Markt aktuell noch von chinesischen, koreanischen und japanischen Unternehmen dominiert wird.
Traditionelle Unternehmen wie ZF, die sich bisher auf die Herstellung von Getrieben für Verbrenner konzentriert haben, stehen vor neuen Herausforderungen. “Hinzu kommt bei vielen Zulieferern wie ZF oder Conti eine hohe Verschuldung und die hohen Zinsen drücken zusätzlich. Langfristig mache ich mir bei beiden keine Sorgen, aber es kommt eben zum Stellenabbau. Das ist ein Transformationsprozess, der lange vorhersehbar war und der jetzt – wenn auch schmerzhaft – abgelesen werden kann in Beschäftigungsrückgängen”, erklärt Bratzel im Interview.
“Es gibt viele Felder, in denen die deutschen Unternehmen gut sind, und es sind nicht nur die klassischen Felder des Fahrzeugbaus”, meint Bratzel. Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer hätten aber einen Nachholbedarf im Bereich der Vernetzung und der Entwicklung von softwaredefinierten Fahrzeugen, insbesondere im Hinblick auf künstliche Intelligenz und vernetzte Dienstleistungen, um den Kunden Mehrwerte zu bieten. Deutsche Unternehmen seien führend bei Fahrerassistenzsystemen und dem autonomen Fahren auf Autobahnen (Level 3). Es sei jedoch wichtig, diese Kompetenzen breiter einzusetzen und zu skalieren.
Quellen: Automobilwoche – Bis 2030 entfällt in Deutschland jede vierte Stelle / VDI Nachrichten – Entlassungen in Automobilindustrie: „2024 wird ein ganz schwieriges Jahr“