Ein starkes Schlussquartal krönte ein außerordentlich erfolgreiches Jahr 2022 für die globalen Top-Autokonzerne: Der Umsatz der 16 größten Autohersteller der Welt stieg im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent auf 1,87 Billionen Euro, der operative Gewinn kletterte um 16 Prozent auf knapp 157 Milliarden Euro. Beide Werte markierten ein neues Rekordniveau, so die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) in einer aktuellen Mitteilung.
Im vierten Quartal lief es sogar noch besser: Der Umsatz legte im Zeitraum Oktober bis Dezember um 24 Prozent zu, der Gewinn stieg um 19 Prozent. Im Vergleich zum Krisenjahr 2020 hat sich der Umsatz der Autokonzerne damit um knapp ein Drittel erhöht, der Gewinn hat sich sogar verdreifacht.
Die starke Umsatz- und Gewinnentwicklung gelang trotz eines rückläufigen Pkw-Absatzes: So ging die Zahl der verkauften Neuwagen im vergangenen Jahr um knapp drei Prozent zurück. Im vierten Quartal gab es immerhin ein Mini-Plus von 1,1 Prozent.
VW vor Toyota und Stellantis
Beim Umsatz führte im vergangenen Jahr Volkswagen das Branchenranking mit 279 Milliarden Euro an – vor Toyota mit 258 Milliarden Euro und Stellantis mit 180 Milliarden Euro. Beim Gewinn lag ebenfalls Volkswagen mit 22,1 Milliarden Euro vorn – vor Stellantis (21 Milliarden Euro) und Mercedes-Benz (20,5 Milliarden Euro). Das sind Ergebnisse einer Analyse der Finanzkennzahlen der 16 größten Autokonzerne der Welt, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY quartalsweise erstellt.
„Die Autoindustrie fährt zurzeit von Rekord zu Rekord“, stellt Constantin M. Gall fest, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West. „Das vergangene Jahr stand ganz im Zeichen erheblicher Lieferschwierigkeiten und einer gleichzeitig hohen Nachfrage vor allem nach Premium-Fahrzeugen. Die Hersteller konnten hohe Preise durchsetzen, was ihnen Rekordumsätze und -gewinne bescherte.“
Im laufenden Jahr werde sich die Versorgung mit Halbleitern und anderen Vorprodukten weiter verbessern, erwartet Gall, so dass die Pkw-Produktion weiter an Fahrt gewinnen werde: „Die Liefersituation verbessert sich. Daher könnte der weltweite Absatz in diesem Jahr um bis zu zehn Prozent steigen. Die Herausforderung für die Autokonzerne wird darin bestehen, trotzdem die Preise hoch zu halten und keine Abstriche bei der Marge zuzulassen.“
Das werde vermutlich im Premiumsegment leichter fallen als im Volumen-Segment, erwartet Gall: „Angesichts der schwachen Konjunktur wird sich die Nachfrage voraussichtlich abschwächen – die Versuchung wird groß sein, darauf mit Preisnachlässen zu reagieren.“ Aber die Lehre aus der Pandemie sei klar, so Gall: „Marge geht vor Volumen. Und Rabatte sind Gift für die Marge und kratzen am Image.“
Eine zusätzliche Herausforderung sei das Hochfahren der Elektromobilität, betont Peter Fuß, Partner bei EY: „Die Branche hat sich ambitionierte Elektro-Ziele gesetzt. Wirklich Geld verdienen derzeit aber nur die wenigsten Unternehmen mit Elektroautos. Aktuell sind es noch vor allem Verbrenner-SUV, die Milliarden in die Kassen der Konzerne spülen und so die Transformation in Richtung Elektromobilität finanzieren. Jetzt muss es gelingen, die Produktion, das Produktportfolio und die Preisgestaltung so anzupassen, dass auch mit Elektroautos hohe Gewinne erzielt werden können – das wird nicht jeder schaffen.“
Margenranking: Tesla vor Mercedes und BMW
Mindestens einem Unternehmen gelingt das aber bereits: Im vergangenen Jahr erzielte der Elektroautohersteller Tesla die höchste Gewinnmarge unter den 16 untersuchten Unternehmen. Tesla kam auf eine Marge von 16,8 Prozent und lag damit vor Mercedes-Benz (13,6 Prozent) und Stellantis (11,7 Prozent).
Im Durchschnitt lag die Marge der untersuchten Unternehmen mit 8,4 Prozent nur minimal unter dem Vorjahresniveau (8,5 Prozent). Zum Vergleich: Im Jahr 2019, also vor dem Ausbruch der Pandemie, erwirtschafteten die Unternehmen eine Marge von nur 4,7 Prozent.
Für das laufende Jahr haben sich viele Konzerne hohe Profitabilitätsziele gesetzt –die aber laut Fuß nicht von allen erreicht werden: „Die Schere wird auseinandergehen, die Zeit der Traummargen wird für einige Unternehmen schon bald vorbei sein. Denn der Gegenwind wird stärker: Die Konjunktur schwächelt, die die Liefersituation normalisiert sich und die Auftragspolster aus der Pandemie sind irgendwann abgearbeitet.“
Deutsche Konzerne: China-Anteil schrumpft im zweiten Jahr
In China sank der Neuwagenabsatz der analysierten Unternehmen im vergangenen Jahr um zwölf Prozent, die deutschen Hersteller verzeichneten einen Rückgang um drei Prozent. Damit schrumpfte der Anteil Chinas am Gesamtabsatz der drei deutschen Konzerne zum zweiten Mal in Folge und lag nunmehr bei 36,6 Prozent – nach 37,4 Prozent im Jahr 2021.
„Die Situation in China war in den vergangenen Jahren stark geprägt durch die Pandemie, ein schwächeres Wirtschaftswachstum und das Auftauchen neuer Wettbewerber. Der Markt ist sehr wettbewerbsintensiv und anspruchsvoll geworden, der Preis spielt eine immer größere Rolle“, beobachtet Fuß. „Auch auf die deutschen Konzerne, für die China der größte Absatzmarkt weltweit ist, wartet hier viel Arbeit.“
Trotz erheblicher Produktionsengpässe bis hin zu vorübergehenden Werkschließungen wurde am Automobilstandort Deutschland im vergangenen Jahr mehr Umsatz erwirtschaftet als je zuvor: Die in Deutschland ansässigen Autohersteller und -zulieferer steigerten ihre Umsätze im Jahr 2022 insgesamt um rekordhohe 23 Prozent auf 506 Milliarden Euro. Dabei schnitten die Autohersteller mit einem Umsatzwachstum von 28 Prozent deutlich besser ab als die Zulieferer, die nur ein Plus von sechs Prozent verzeichneten.
Trotz der sehr positiven Umsatzentwicklung sank die Zahl der Beschäftigten im vierten Jahr in Folge und ging um 1,5 Prozent auf gut 774.000 zurück. Zum Vergleich: Der bisherige Beschäftigungsrekord war im Jahr 2018 verzeichnet worden, als etwa 834.000 Menschen in Deutschland bei Autoherstellern oder -zulieferern angestellt waren.
Wichtige Wachstumsimpulse kamen zuletzt vom Export: Insgesamt legten die Ausfuhren von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen aus Deutschland im vergangenen Jahr um 16 Prozent zu. Besonders stark entwickelte sich der wichtigste Exportmarkt der deutschen Autoindustrie, die Vereinigten Staaten: Die Ausfuhren in die USA legten um 37 Prozent zu. Der zweitwichtigste Exportmarkt war erneut China: Trotz erheblicher pandemiebedingter Einschränkungen stiegen die Exporte nach China um neun Prozent und erreichten damit einen neuen Höchststand.
„Der Automobilstandort Deutschland hat sich im vergangenen Jahr trotz äußerst schwieriger Rahmenbedingungen als extrem widerstandsfähig erwiesen“, sagt Constantin M. Gall. „Obwohl Lieferunterbrechungen, Werkschließungen und Sorgen vor einer Energiekrise für starken Gegenwind sorgten und die Pkw-Produktion im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 um ein Fünftel einbrach, schafften die Hersteller Umsatz- und Gewinnrekorde.“ Die Autokonzerne haben aus der Not eine Tugend gemacht und es geschafft, hohe Preise am Markt durchsetzen.
Für eine Entwarnung sei es jedoch zu früh, ergänzt Peter Fuß: „Zwar werden wir im laufenden Jahr ein weiteres Hochfahren der Produktion sehen. Auch der Chipmangel spielt längst nicht mehr so eine große Rolle wie im Vorjahr. Aber: Die weltweite Konjunkturentwicklung ist schwach, geopolitische Risiken sind allgegenwärtig und derart hohe Neuwagenpreise werden sich auf Dauer nicht am Markt durchsetzen lassen – zumindest nicht in allen Segmenten und von allen Herstellern.“
Zulieferer verlieren den Anschluss
Während einige Hersteller Traummargen erwirtschafteten, konnten die Zulieferer kaum profitieren: Das Umsatzwachstum der Hersteller war 2022 mehr als viermal so stark wie das der Zulieferer, die Beschäftigung bei den Zulieferern war mit einem Minus von sechs Prozent erneut stark rückläufig, bei den Herstellern hingegen stabil. „Während die Automobilhersteller trotz Krise derzeit prächtig verdienen, stehen viele Zulieferer mit dem Rücken zur Wand“, konstatiert Gall. „Und die Schere zwischen Herstellern und Zulieferern geht immer weiter auseinander – auch weil die Autohersteller die Produktion von Batterien und Elektromotoren selbst in die Hand nehmen oder Partnerschaften mit Batterieunternehmen eingehen und weniger auf ihre altgedienten Lieferanten setzen. Obendrein wird erbittert um Konditionen, Liefermengen und Preisanpassungen gestritten.“
Es stehe zu befürchten, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren fortsetzen wird, so Gall: „Angesichts der Transformation in Richtung Elektromobilität ist zwischen Herstellern und Zulieferern ein Verteilungskampf entbrannt, bei dem die Zulieferer oft die schlechteren Karten haben.“
Gall meint, dass Hersteller und Zulieferer nur mit vereinten Kräften zukunftsfähig seien: „Ausgerechnet in dem Moment, in dem eigentlich alle Energie in eine gemeinsame Anstrengung zur Bewältigung der Mobilitätstransformation fließen sollte, verschleißen sich Hersteller und Zulieferer in einem Verteilungskampf untereinander. Damit schaden sie letztlich nicht nur sich selbst, sondern auch dem Automobilstandort Deutschland. Dabei hat die Branche, wenn auch nach längerem Zögern, gerade bei der Entwicklung von Elektroautos bewiesen, dass sie nicht nur zu einer Transformation fähig ist, sondern diese sogar mit anführen kann – und das profitabel.“
Weiterer Stellenabbau erwartet
Für das laufende Jahr erwartet Peter Fuß im besten Fall eine stabile Beschäftigungsentwicklung bei Herstellern und weitere Stellenstreichungen bei Zulieferern: „Trotz der zuletzt sehr erfreulichen Gewinnentwicklung wird in der deutschen Autoindustrie derzeit flächendeckend der Rotstift angesetzt. Denn der Investitionsbedarf ist gewaltig, und gleichzeitig setzen die Unternehmen alles daran, weiterhin so hohe Margen zu erwirtschaften wie im vergangenen Jahr. Denn nur ein profitables Geschäft schafft ausreichend finanziellen Spielraum, um in neue Technologien und Produkte investieren zu können. Letztlich geht es darum, auch im Zeitalter der E-Mobilität eine weltweit führende Rolle zu spielen. Dafür werden heute die Weichen gestellt.“
Es sei zudem allen klar, dass die Herstellung von Elektroautos weniger personalintensiv ist als die Herstellung von Pkw mit konventionellen oder Hybrid-Antrieben, betont Fuß: „Der Kuchen wird in den kommenden Jahren kleiner werden. Der Elektroantrieb wird sich durchsetzen und den Verbrennungsmotor verdrängen. Das wird unausweichlich zu einer niedrigeren Beschäftigung am Standort Deutschland führen.“
Die größten Produktionsstandorte in Deutschland sind derzeit Bayern und Baden-Württemberg, wo Mitte vergangenen Jahres knapp 248.000 bzw. fast 225.000 Menschen in der Autoindustrie beschäftigt waren. Die größte Rolle für den Arbeitsmarkt im jeweiligen Bundesland spielt die Autoindustrie aber im Saarland: Dort arbeiten sechs Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei einem Autohersteller oder -zulieferer. In Baden-Württemberg und Niedersachsen liegt der Anteil bei 4,6 bzw. 4,5 Prozent.
Quelle: Ernst & Young – Pressemitteilungen vom 31.03.2023 und 06.04.2023