Test des Volvo EX90 – Souveränität in ihrer ruhigsten Form

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Elektroauto-News

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 9 min

Im Raum Heidelberg zeigte sich der Volvo EX90 Fully Electric Twin Motor Performance Ultra als ein Elektroauto, das weniger auf schnelle Effekte als auf Stabilität, Sicherheit und Komfort ausgelegt ist. In Stadtverkehr, Landstraßen- und Autobahnetappen wurde deutlich, dass Volvo hier kein neues Kapitel sportlicher Dynamik aufschlägt, sondern das Konzept des großen Reisewagens in die elektrische Zukunft überträgt.

Der Testwagen in der höchsten Ausstattungslinie Ultra und mit nahezu allen verfügbaren Optionen erreichte einen stolzen Preis von 117.620 Euro. Damit positioniert sich der EX90 klar im Premiumsegment, konkurriert mit Fahrzeugen wie dem BMW iX, Audi Q8 e-tron oder Mercedes EQS SUV und markiert zugleich den Übergang in eine neue Markenphase bei Volvo.

Volvo EX90: Schlichtes Design mit ruhiger, technischer Präsenz

Das Design orientiert sich stark am bekannten XC90, fällt aber glatter, technischer und reduzierter aus. Die Front ist geschlossen, der Luftwiderstandsbeiwert mit 0,29 bemerkenswert niedrig für ein Auto dieser Größe. Mit 5,04 Metern Länge, 2,15 Metern Breite und fast 1,8 Metern Höhe nimmt der EX90 im Straßenbild viel Raum ein, ohne aggressiv zu wirken. Die klaren Linien, der Verzicht auf überflüssige Zierelemente und die durchgehenden Leuchtbänder am Heck unterstreichen die nüchterne Designsprache. Die 22-Zoll-Leichtmetallräder im Aero-Design und die Lackierung in Denim Blue Metallic passen zur sachlichen Erscheinung. Es ist ein Auto, das keine Aufmerksamkeit erzwingt, aber unübersehbar bleibt.

Im Innenraum zeigt sich Volvo von seiner typischen, zurückhaltenden Seite. Helle Materialien, klare Flächen und eine weitgehend aufgeräumte Architektur prägen das Bild. Statt klassischem Leder verwendet Volvo das synthetische Material Nordico, das aus recycelten Kunststoffen besteht. Die Verarbeitung wirkt solide.

Das Bedienkonzept folgt dem Trend zur digitalen Reduktion: Fast alle Funktionen laufen über den zentralen Touchscreen, der auf Android Automotive OS basiert und eng mit Google-Diensten verknüpft ist. Das System arbeitet zuverlässig, allerdings erfordert die ausschließliche Steuerung über den Bildschirm Eingewöhnung. Einstellungen für Klima, Sitzheizung oder Rekuperation liegen in Untermenüs, was während der Fahrt ablenken kann. Ferner zeigt sich die Verkehrszeichenerkennung als verbesserungswürdig. Tempo 100 in der 30 km/h-Zone sind dann eben doch nicht angebracht.

Im direkten Alltag zeigen sich einige weitere Schwächen. Die Software startet gelegentlich mit Verzögerung, und manche Bluetooth-Verbindungen benötigen mehrere Versuche. Die Integration von Apple CarPlay ist eingeschränkt, Sprachsteuerung über Google Assistant funktioniert dafür zuverlässig. Das Infotainment wirkt funktional, aber nicht besonders intuitiv. Gerade Fahrer:innen, die bisher klassische Schalter bevorzugten, werden die physischen Bedienelemente vermissen.

Das Bowers & Wilkins-Soundsystem mit 25 Lautsprechern und Headrest-Speakern in den Kopfstützen sorgt für einen sehr klaren Klang, bleibt jedoch eher ein Detail für Musikinteressierte als ein entscheidendes Merkmal im Alltag. Die Geräuschdämmung des gesamten Fahrzeugs fällt auf: Selbst bei Autobahngeschwindigkeit bleibt der Innenraum weitgehend frei von Wind- oder Abrollgeräuschen. Akustikverglasung und Dämmmaterialien erfüllen ihren Zweck, das Fahrgefühl bleibt ruhig und unaufgeregt.

Die Sitze sind wie bei Volvo üblich ergonomisch gestaltet, in allen relevanten Richtungen elektrisch verstellbar und bieten neben Heizung und Belüftung auch eine Massagefunktion. Auf längeren Strecken zeigt sich der EX90 als ausgesprochen komfortabel. Die vordere Sitzposition vermittelt Überblick und Kontrolle, die zweite Reihe bietet großzügige Beinfreiheit. Die dritte Sitzreihe ist – wie bei den meisten Siebensitzern dieser Größe – vor allem für Kinder oder kurze Strecken geeignet. Der Kofferraum fasst 324 Liter bei voller Bestuhlung, 669 Liter bei umgeklappter dritter Reihe. Hinzu kommt ein Frunk mit 53 Litern, der für Ladekabel und kleinere Gegenstände ausreichend ist.

Kraftvoll, aber bewusst ohne sportliche Attitüde

Mit einem Leergewicht von 2787 Kilogramm und einem zulässigen Gesamtgewicht von 3390 Kilogramm gehört der EX90 zu den schwersten E-Autos seiner Klasse. Das macht sich beim Fahren bemerkbar. Trotz der hohen Systemleistung von 380 kW (180 kW vorne, 200 kW hinten) und einem kombinierten Drehmoment von 910 Nm wirkt das Ansprechverhalten nie explosiv. Beschleunigung und Leistungsentfaltung verlaufen gleichmäßig, kontrolliert und berechenbar.

Der Sprint von 0 auf 100 km/h in 4,9 Sekunden ist zweifellos beeindruckend, fühlt sich aber weniger emotional an als bei vergleichbaren Fahrzeugen. Das liegt nicht an einem Mangel an Leistung, sondern an der Art, wie Volvo sie dosiert. Selbst im Performance-Modus bleibt der Antrieb ausgeglichen, der Fokus liegt auf Stabilität statt auf Spontanität.

Auf der Landstraße zeigt sich die Abstimmung der Luftfederung ausgewogen. Unebenheiten filtert das Fahrwerk zuverlässig heraus, gleichzeitig hält es die Karosserie auch in schnell gefahrenen Kurven ruhig. Die Lenkung arbeitet leichtgängig, ohne künstlich zu wirken, und bietet ausreichend Rückmeldung. Man spürt das Gewicht des Autos, besonders bei schnellen Richtungswechseln, doch das Fahrverhalten bleibt neutral. Die Balance zwischen Komfort und Kontrolle ist gelungen, wenn auch klar auf die Komfortseite verschoben.

In der Stadt verlangt der EX90 wegen seiner Breite viel Aufmerksamkeit. Parkhäuser und enge Straßen in der Heidelberger Altstadt werden zur Herausforderung, auch wenn die 360-Grad-Kamera und der Einparkassistent präzise unterstützen. Die Auflösung aber könnte durchaus schärfer sein. Das One-Pedal-Drive funktioniert gut abgestimmt und erlaubt flüssiges Fahren im Stop-and-Go-Verkehr, ohne dass das Rekuperationsverhalten unangenehm wirkt. Das Bremspedal bleibt dennoch wichtig, da die starke Masse spürbar nachschiebt, wenn man abrupt vom Strompedal geht.

Effizienz bleibt solide, aber nicht überragend

Auf der Autobahn liegt der EX90 ausgesprochen stabil. Der Wagen vermittelt das Gefühl von Sicherheit, auch bei Seitenwind oder Spurrillen. Die elektronische Begrenzung bei 180 km/h ist typisch für Volvo und im Alltag für die meisten Fahrer ohnehin irrelevant. Auf der Strecke zwischen Heidelberg und Frankfurt zeigte sich der EX90 als leiser, gelassener Reisebegleiter – allerdings mit Verbrauchswerten, die an der Realität der Physik nicht vorbeikommen.

Im Test ergab sich für die fast drei Tonnen schwere Sänfte ein Durchschnittsverbrauch von rund 24,5 kWh/100 km bei gemischter Fahrweise. Auf der Autobahn stieg er auf bis zu 26 kWh, auf Landstraßen sank er auf etwa 20 kWh. Damit lassen sich reale Reichweiten zwischen 400 und 450 Kilometern erzielen – abhängig von Temperatur, Beladung und Fahrstil. Das liegt im Rahmen der Erwartungen, wenngleich die offizielle WLTP-Reichweite von 599 Kilometern deutlich optimistischer ausfällt.

Beim Laden zeigte sich der EX90 praxistauglich. An Schnellladesäulen mit 300 kW Ladeleistung erreichte er kurzzeitig über 200 kW. Der Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent dauerte rund 23 Minuten gem. Volvo, was angesichts der großen 107-kWh-Batterie ein ordentlicher Wert ist. Die Ladekurve bleibt stabil, das thermische Management arbeitet unauffällig. Im Alltag dürfte das Fahrzeug jedoch häufiger an 11-kW-Wallboxen geladen werden, was gut elf Stunden für eine Vollladung erfordert. Hier wäre ein optionales Upgrade auf 22 kW durchaus gern gesehen von jenen, die sich nicht nur aufs entspannte Vollladen über Nacht verlassen wollen.

Sicherheit als fester Bestandteil der Identität

Einen klaren Schwerpunkt legt Volvo auf das Thema Sicherheit. Der EX90 ist das erste Serienfahrzeug der Marke mit Lidar-System. Auf dem Dach montiert, erkennt der Sensor Objekte in bis zu 250 Metern Entfernung. Ergänzt wird er durch fünf Radarsensoren, 16 Ultraschallsensoren und acht Kameras. Diese Datenbasis bildet die Grundlage für künftige Fahrassistenzfunktionen bis hin zu teilautonomen Szenarien.

Schon jetzt arbeitet der Pilot Assist sehr zuverlässig: Er hält Spur und Abstand sauber, reagiert ruhig auf wechselnde Verkehrsbedingungen und vermeidet hektische Eingriffe. Auch das Fahrer-Monitoring-System funktioniert unaufdringlich. Wer längere Zeit nicht auf die Straße blickt, wird optisch und akustisch gewarnt.

Das Sicherheitskonzept wird ergänzt durch Sensoren im Innenraum, die Bewegungen erkennen. Sie sollen verhindern, dass Kinder oder Tiere versehentlich im Auto zurückgelassen werden. Alle Sitzreihen verfügen über Kopf-, Schulter- und Seitenairbags. Insgesamt vermittelt der EX90 das Gefühl, dass Sicherheit nicht als Zusatz, sondern als Grundstruktur verstanden wird.

Volvo EX90: Ein E-SUV, das seine Ruhe bewahrt

Im Vergleich zu Wettbewerbern wie dem BMW iX oder Mercedes EQS SUV wirkt der EX90 zurückhaltender, fast konservativ. Seine Technik ist modern, aber nicht experimentell. Die Reichweite ist solide, das Sicherheitskonzept vorbildlich, die Verarbeitung hochwertig. Doch Emotion, Verspieltheit oder Überraschungsmomente fehlen bewusst. Der Volvo bleibt rational.

 

Bleibt der Preis. Über 117.000 Euro für den getesteten Ultra erscheinen hoch, auch wenn die Serienausstattung umfangreich ist. Optional bleiben lediglich Kleinigkeiten wie getönte Scheiben, Anhängerkupplung oder Kindersitz. Angesichts der Größe, Verarbeitung und Sicherheitsausstattung lässt sich der Preis argumentieren. Dennoch gilt: Der EX90, dessen Basisversion rund 84.500 Euro kostet, ist kein Auto für die Masse, sondern für eine klar umrissene Käuferschicht, die bereit ist, diese Summe für Ruhe, Sicherheit und Berechenbarkeit zu zahlen.

Der Volvo EX90 zeigt, dass Elektromobilität nicht zwangsläufig laut, verspielt oder futuristisch sein muss. Er ist kein Technologieträger, der mit neuen Konzepten experimentiert, sondern ein elektrisches Reiseauto, das vertraute Werte in die Zukunft überträgt. Wer dies möchte, findet im EX90 einen sehr stimmigen Begleiter. Wer mehr Spontaneität und Leichtigkeit sucht, schaut sich besser anderweitig um.


Disclaimer: Der Volvo EX90 wurde uns für diesen Testbericht kostenfrei für den Zeitraum von zwei Wochen von Volvo zur Verfügung gestellt. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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