Diess: Europa kann Führung bei bidirektionalem Laden sichern

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Laura Horst
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Für Herbert Diess ist die Mobilität der Zukunft ganz klar elektrisch. Dabei sieht er in Elektroautos weitaus mehr Potenzial als ihre lokale Emissionsfreiheit. Nutzt man die Batterie als Stromspeicher und setzt zudem auf bidirektionales Laden, profitieren nicht nur die Elektroautobesitzer, sondern alle Beteiligten, wie der ehemalige Volkswagen-Chef im Interview mit dem Spiegel erklärt. Elektroautos können so zu einem stabileren Stromnetz und günstigeren Preisen beitragen.

Diess, der von 2018 bis 2022 Volkswagen-Chef war, sitzt heute im Aufsichtsrat des Chipkonzerns Infineon und führt zudem den Verwaltungsrat des Technologieunternehmens The Mobility House, das laut Diess „als Ladedienstleister extrem stark“ wächst. Gemeinsam mit einem chinesischen Partner entwickelt das Unternehmen derzeit eine spezielle Wallbox für bidirektionales Laden, bei dem zum einen Energie in das Elektroauto eingespeist und umgekehrt überschüssige Energie zurück ins Stromnetz eingespeist werden kann.

Günstiger Strom treibt Mobilitätswende voran

In China spiele bidirektionales Laden momentan keine Rolle, da den gesamten Tag über feste Strompreise gelten und keine Strombörse existiert. Der ehemalige VW-Chef sieht daher eine große Chance für Europa, zum Vorreiter zu werden. „Deswegen ist das ein Thema, bei dem Europa die Führung übernehmen und zeigen kann, dass es einige Dinge besser kann als China“, erklärt er.

Umgekehrt könne sich Europa ein Beispiel an China nehmen. „Die konventionelle Autoindustrie leidet dort genauso wie in Deutschland, aber China ist damit durch. Nicht, weil sie die Welt retten wollen, sondern weil der Strom so günstig ist“, merkt Diess an. Die Kombination aus Solarstrom, Batteriespeicher und Elektroauto sei als System viel effizienter.

Elektroautofahrer profitieren vom Stromhandel

„Mit den zwei Millionen E-Autos auf deutschen Straßen hätten wir heute genug Strom, um den überschüssigen Sonnenstrom aufzunehmen und nachts wieder abzugeben, statt die Anlagen tagsüber abzuregeln“, erklärt Diess. Durch die flexible Nutzung der Akkus komme man einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien auch ohne einen teuren Netzausbau näher.

Auf individueller Ebene können Autofahrer laut dem Verwaltungsratsvorsitzenden von The Mobility House von den Gewinnen im Stromhandel profitieren. Viele Elektroautos sind bereits fürs bidirektionale Laden ausgerüstet, während es bei neuen Modellen zunehmend Standard wird. Die Elektroautofahrer müssten ihr Auto lediglich an eine geeignete Wallbox anschließen. „Dabei können sie einstellen, welchen Akkustand sie zu einer bestimmten Uhrzeit benötigen, um den Rest kümmern sich Anbieter wie wir“, so Diess.

Die Befürchtung, das häufige Be- und Entladen verkürze die Lebensdauer der Batterie drastisch, entkräftet er. Über einen Zeitraum von zehn Jahren liege die zusätzliche Degradation unter fünf Prozent. „In der Regel überdauern die Batterien sogar die Autos, in denen sie verbaut sind“, ergänzt der Ex-VW-Chef.

Deutschland braucht eine Reform des Netzbetriebs

Anhand des französischen Markts, wo The Mobility House seit dem vergangenen Jahr vertreten ist, erklärt Diess, dass die Kunden etwa 11.000 Kilometer im Jahr umsonst fahren. „Die Stromrechnung fürs Auto fällt praktisch weg. Und wir machen trotzdem noch ein Geschäft damit“, merkt er an. Profitabel werde es für das Unternehmen, das in Frankreich mit Renault und der Firma Mobilize zusammenarbeitet, sobald es auf ein paar Tausend Autoakkus zugreifen kann.

Im nächsten Jahr will der Ladedienstleister auch in Deutschland starten. Aktuell lohne sich ein Markteintritt aufgrund der doppelten Entgelte beim Laden und Entladen nicht. Diese fallen aufgrund einer Gesetzesänderung ab 2026 weg, was Diess als „echten Durchbruch“ bezeichnet. Zudem sieht er dringenden Handlungsbedarf in Hinblick auf die Organisation des Stromnetzes in Deutschland mit zahlreichen Betreibern.

„Natürlich brauchen wir eine Reform des Netzbetriebs. Da ist Deutschland grottenschlecht aufgestellt: privatwirtschaftlich, kleinteilig, überbürokratisch. Das ist Steinzeit. Es ist offensichtlich, dass es so nicht geht. Da müsste das Energieministerium ran, das kostet kein Steuergeld, nur Mühe und Aufwand“, sagt Diess.

Quelle: Der Spiegel – Ex-VW-Chef Herbert Diess: Die Stromrechnung fürs Auto fällt praktisch weg

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