Deutsches Stromnetz: Woran es hapert

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Michael Neißendorfer
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Wenn das Stromnetz an seine Kapazitätsgrenzen stößt, sind gezielte Eingriffe in den Kraftwerksbetrieb nötig, um es zu stabilisieren. Das Netzengpassmanagement sorgt dabei für wichtige Entlastungen im Netz, jedoch auch für zunehmende Kosten und CO2-Emissionen. Abhilfe bringt dabei vor allem eins: das Stromnetz schnellstmöglich auszubauen. Um eine kontinuierliche Stromversorgung in ganz Deutschland zu gewährleisten, ist eine enge Absprache aller Stromnetzbetreiber notwendig. Denn der erzeugte Strom kann nur dann zum Verbrauchsort gelangen, wenn die Stromtrassen die dafür erforderliche Leitungskapazität bereitstellen können.

Das Monitoring des Netzes ist dabei Aufgabe der deutschen Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber. Diese prognostizieren das Auftreten von Netzengpässen mithilfe von Last- und Wetterprognosen sowie der für den Folgetag geplanten Stromerzeugung des Kraftwerkparks: Ist ein Engpass absehbar, wird im Netzgebiet mit hoher Stromeinspeisung eine Abregelung und im Netzgebiet mit hoher Nachfrage eine Erhöhung der Stromerzeugung angewiesen.

Solche Netzengpassmaßnahmen werden auch als „Redispatch“ bezeichnet. Dabei nutzt man neben erneuerbaren Energieträgern sowohl Kraftwerke an der Strombörse („Marktkraftwerke“) als auch Kraftwerke, die als Reserve außerhalb des Strommarkts gehalten werden („Netzreserve“). Die zunehmenden Herausforderungen im Stromnetz durch den Ausbau der erneuerbaren Energien zeigen sich dabei auch darin, dass in den vergangenen Jahren immer mehr engpassbedingte Eingriffe in den Kraftwerksbetrieb notwendig wurden: Das Redispatchvolumen lag im Jahr 2018 bei 21,2 Terawattstunden und ist bis 2023 auf insgesamt 34,3 Terawattstunden stark angewachsen. Die Kosten erreichten mit 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2022 ihren Höhepunkt.

Strommarkt-Redispatch-Kosten
Volumen und Kosten des Netzengpassmanagements in Deutschland / Quelle: IWD

Das wirkt sich auch auf die Emissionen aus. Im Jahr 2023 wurden mit 9,5 Megatonnen (Mt) CO2 rund 1,5 Mt mehr Kohlenstoffdioxid ausgestoßen als im Vorjahr. Gleichzeitig sind mit 4,8 Mt rund 1,5 Mt weniger CO2 durch das Abregeln vermieden worden als im Vorjahr. Der Saldo für 2023 gleicht mit 4,7 Mt in etwa dem jährlichen Kohlenstoffdioxidausstoß einer Stadt mit rund 455.000 Einwohnern. Das liegt auch daran, dass gegenüber 2022 mehr Windkraft (auf Land und auf See) abgeregelt wurde und im Gegenzug vor allem Steinkohle- und Erdgaskraftwerke im Einsatz geblieben sind.

Die Kosten für den Redispatch haben sich dabei innerhalb von fünf Jahren auf rund 3,1 Milliarden Euro verdoppelt – zulasten der Verbraucher, an die diese Kosten über die Netzentgelte weitergeleitet werden.
Der Netzausbau ist der stärkste Hebel, um die Netzengpassmaßnahmen auf ein Minimum zu begrenzen. Aus Sicht des Klimaschutzes ist beim Redispatch besonders bedenklich, dass ein Großteil des abgeregelten Stroms aus erneuerbaren Energien stammt.

Ein Blick auf die Redispatchmaßnahmen nach Bundesland verdeutlicht dabei eine der Herausforderungen Deutschlands im Bezug zur eigenen Stromversorgung. Denn auch wenn im Norden Deutschlands große Mengen an Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen, können diese bislang nicht immer in den Süden weitergeleitet werden – stattdessen muss der dort installierte fossile Kraftwerkspark zusätzlichen Strom liefern. In Niedersachsen etwa standen im Jahr 2023 einer abgeregelten Stromerzeugung von 4,4 Terawattstunden, vor allem aus Windkraft, rund 0,9 Terawattstunden zusätzlich produzierter Strom gegenüber.

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So viele Gigawattstunden Strom mussten die Bundesländer per saldo im Jahr 2023 zusätzlich produzieren oder abregeln / Quelle: IWD

In Nordrhein-Westfalen zeigt sich ein umgekehrtes Bild. Unterm Strich lag der Redispatchbedarf 2023 um 3,4 Terawattstunden über der produzierten Strommenge. Dabei wurden in NRW ebenso wie in Baden-Württemberg und Bayern hauptsächlich Kohle- und Erdgaskraftwerke eingesetzt, um potenzielle Netzengpässe zu verhindern. Während Niedersachsen sauberen Windstrom abregeln muss.

Derzeit verstärkt der schleppende Netzausbau den Bedarf nach Redispatchmaßnahmen, da er hinter der Geschwindigkeit neu installierter Kraftwerksleistung und der regionalen Entwicklung der Stromnachfrage zurückbleibt. Dabei hat der Netzausbau den stärksten Hebel, um die Netzengpassmaßnahmen auf ein Minimum zu begrenzen. Der Bau oberirdischer Freileitungen gegenüber Erdkabeln könnte hier auch kurzfristig die Netzausbaugeschwindigkeit erhöhen. Doch selbst der extensivste Netzausbau in Deutschland wird nicht ausreichen, auch der Netzbetrieb muss weiter optimiert werden – etwa durch gesteuertes Laden von Elektroautos und deren Einbindung ins Stromnetz über Vehicle-to-Grid (V2G).

Perspektivisch ist dabei auch die Nutzung von Batteriespeichern zur Stärkung des Netzes („Grid Booster“) sinnvoll. Doch es gibt noch eine Reihe weiterer Maßnahmen, um die Zahl der Netzeingriffe zu reduzieren. So sollten neue Erzeugungskapazitäten und Speicher dort installiert werden, wo die Stromnachfrage am höchsten ist – und die Politik sollte bestehende Investitionshemmnisse abbauen.

Quelle: IWD – Pressemitteilung vom 05.07.2024

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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