Auch im Silicon Valley läuft nicht immer alles wie geschmiert. Diese Weisheit kennt jeder Microsoft- oder Apple-Kunde, bei dessen Computer ein Software-Update mehr Probleme verursachte, als es löste. Und Software ist auch das Stichwort. Waymo gehört, wie Google, zu Alphabet und will mit autonomen Taxis eine Zeitenwende einläuten. Entscheidendes Element bei einem selbsttätig agierenden Fahrzeug ist die Software. Die Algorithmen werten die Signale der Sensoren aus und setzen diese in Fahrbefehle um.
Dass dies nicht immer fehlerfrei geschieht, dürfte klar sein. In Austin, Texas, sind Waymo-Taxis einfach weitergefahren, als Schulbusse mit aktivierter Warnblinkanlage und ausgefahrenen seitlichen Halteschildern angehalten haben und die Schulkinder bereits über die Straße gelaufen sind. Angeblich ereigneten sich in der Stadt bereits mehrere solcher Vorfälle. Ein texanischer Polizist macht aus seiner Meinung keinen Hehl: „Solange diese Probleme nicht gelöst sind, sollten diese Autos nicht auf unseren Straßen unterwegs sein.“
Vishay Nihalani lässt sich durch diese Ereignisse nicht aus der Ruhe bringen. „Die Menschen sollten keine Perfektion erwarten. Wichtig ist, dass wir aus all diesen verschiedenen Vorfällen lernen“, sagt der Leiter des Waymo-Produktmanagements gegenüber dem Nachrichtensender ABC News. Angeblich soll ein Waymo-Taxi in San Francisco auch eine Katze überfahren haben. Wir wollen uns in so ein Gefährt wagen, um die Frage zu beantworten, wie gut die selbstfahrenden Fahrzeuge schon sind – hoffentlich, ohne die Tierpopulation der nordkalifornischen Metropole zu dezimieren.
Ohne App geht gar nichts. Schon gar nicht in San Francisco. Der Anmeldeprozess ist einfach und ähnelt dem anderer Fahrdienstleister. Man gibt das Ziel ein und bucht ein Fahrzeug. Der Preis für die Fahrt ist dynamisch und richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Immerhin war unsere erste Fahrt über 17 Kilometer mit rund 39 US-Dollar etwas billiger als von der App angegeben und immer noch nur halb so teuer wie ein Uber-Taxi. Unsere Fahrt führt uns quer durch die Stadt. Wir wollen wissen, wie sich das Waymo-Vehikel im hektischen Berufsverkehr schlägt. Für eine Autobahnfahrt muss man sich noch anmelden. Waymo agiert hier nach dem Prinzip: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, da das Gelände hügelig ist, der Verkehr auf den Freeways schnell unterwegs ist und die Einfädelspuren kurz sind.
Wer einen Tür-zu-Tür-Service erwartet, wird bei Waymo enttäuscht. Man muss sich schon ein Stück bewegen, da sich das System einen sicheren Ort zum Anhalten sucht. Die Straße ist belebt, also sollte man sich mit dem Einsteigen beeilen, da der Wagen nur zwei Minuten wartet. Immerhin zeigt ein Kompass die Richtung an, in die man gehen muss, um zum Auto zu gelangen. Unser Fahrzeug, ein Jaguar I-Pace, kommt pünktlich an. Mit den Sensoren und Lidar-Systemen sieht der Stromer aus wie ein UFO aus einem Science-Fiction-Film der 50er-Jahre. Per Smartphone entriegeln wir die Türen und steigen ein. Innen empfängt uns das typische SUV-Interieur und beruhigende Lounge-Musik – aber eben kein Fahrer.

Immerhin heißt einen eine einschmeichelnde weibliche Stimme willkommen. Die Kommunikationszentrale ist ein Touchscreen zwischen den Fondsitzen, über den man bei Bedarf die Hotline anrufen kann, falls es ein Problem oder eine Frage gibt. Jetzt blinkt die Aufforderung, sich anzuschnallen. Das nervöse Gebimmel zur Anschnallaufforderung verstummt erst, als der Gurt einrastet. Dann setzt sich das Fahrzeug geschmeidig und ohne zu ruckeln in Bewegung und fädelt ganz entspannt in den dichten Feierabendverkehr von San Francisco ein. Dieser Stadt der steilen Hügel und engen Straßen, in der die Straßenbahnen quietschend um die Ecken biegen. Es gibt einfachere Szenarien, auch in den USA.
Das Fahrzeug agiert defensiv, aber nicht zögerlich
Was schnell auffällt: Das Fahrzeug agiert defensiv, aber nicht zögerlich. Es ist kein Spurwedler, wie es manch gestresster Pendler praktiziert. Auch wenn die andere Spur schneller fließt, bleibt es stoisch auf seiner Route. Es biegt vorsichtiger ab als andere Autofahrer, bremst vor Schwellen ab und nimmt diese sehr sanft. Das goutieren wir. An Zebrastreifen bleibt es stehen, selbst wenn weit und breit kein Fußgänger zu sehen ist – zumal die Sicht durch parkende Autos eingeschränkt ist. Ein anderes Mal erkennt das Robotaxi im Dunkeln frühzeitig einen Passanten, der die Straße überqueren will. „Waiting for the intersection to clear“, meldet das Display, als sich Fahrzeuge vor uns kreuzen. Also bleibt der Software-Chauffeur stehen und wartet, bis der Weg frei ist, obwohl er Vorfahrt hätte.
Der Jaguar ist ein echter Gentleman-Driver. Er lässt Autos aus Querstraßen einscheren, deren Nase schon in die Spur hineinragt. Auch Linksabbiegern lässt er gerne mal den Vortritt. Aber alles geschmeidig, ohne dass es zum Kopfnicken kommt, weil hart gebremst wurde. Als sich ein anderes Auto mit Gewalt in unsere Spur drängen will, verzögert der Waymo-Pilot nur ganz kurz und geht wieder aufs Gas, als der Störenfried das Feld räumt. Besser könnte ein menschlicher Fahrer auch nicht agieren. Ein Auto steht quer in unserer Spur. Die Algorithmen reagieren blitzschnell und besonnen. Auch parkenden Bussen nähert sich das Robotaxi vorsichtig und mit Abstand. Das ist die Strategie: oft kurz stehenbleiben, die Lage prüfen, weiterfahren. Das bedeutet: Der Kalifornier hat seine Lektion aus Texas offenbar gelernt. Wir haben bei unserer rund zweistündigen Testfahrt, die auch bei Dunkelheit stattfand, einen guten Eindruck gewonnen.

Auch heikle Situationen bewältigt der Software-Chauffeur. Etwa Stoppschilder an Kreuzungen: Hier gilt in den USA das Prinzip, dass die Reihenfolge des Ankommens auch die des Einfahrens in die Kreuzung definiert. Oder rote Ampeln: Hier ist das Rechtsabbiegen erlaubt, es sei denn, ein Verkehrszeichen schiebt dem Manöver einen Riegel vor. Auch dies erkennt der Waymo-Fahrer und reagiert dementsprechend. Das stärkt das Vertrauen in den Robo-Piloten.
Schon nach zehn Minuten fühlt es sich ganz normal an: Man bearbeitet nebenbei E-Mails und schaut aus dem Fenster, wie die Stadt vorbeizieht. Auf dem Touchscreen in der Mittelkonsole kann man den „Rider Support“ kontaktieren, der angeblich immer empfangsbereit ist. Tatsächlich meldet sich nach weniger als 30 Sekunden eine menschliche Stimme. Nein, die Fahrt werde nicht überwacht, erklärt der Support freundlich. Aber Kameras im Innenraum registrieren sicherheitsgefährdendes Verhalten. Wer sich nicht anschnallt oder – Gott bewahre – ins Lenkrad greift, bei dem bricht das System die Fahrt ab. Das bedeutet: rechts ranfahren und warten, bis das Problem gelöst ist. Notfalls wird das Auto abgeschleppt und die Fahrgäste können ihre Reise in einem anderen Fahrzeug fortsetzen. Wir würden jederzeit wieder in das Robotaxi steigen.






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