Schummeln E-Auto-Hersteller bei der Reichweite?

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Michael Neißendorfer
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Die italienische Wettbewerbsbehörde Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (AGCM) hat laut einer aktuellen Mitteilung Ermittlungen gegen Volkswagen, BYD, Stellantis und Tesla wegen des Verdachts der Verbrauchertäuschung eingeleitet. Im Zentrum der Untersuchungen stehen überhöhte Angaben zur Reichweite und Akkukapazität von Elektroautos.

Bereits im vergangenen Jahr hatte das Magazin WirtschaftsWoche über Hinweise berichtet, dass die Autoindustrie systematisch übertriebene Leistungsangaben macht und Batteriekapazitäten verschleiert. Auch Porsche gerät in den Fokus, da sich beim Elektro-Modell Taycan massive Reichweitenabweichungen häufen. Die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer sieht laut aktueller Mitteilung gar ein Elektrogate heranziehen, das mit dem Diesel-Abgasskandal vergleichbar sein soll.

Die italienische Behörde AGCM prüft potenziell unlautere Geschäftspraktiken in Bezug auf die beworbene Reichweite, Akkukapazität und die Einschränkungen der Standardgarantie für Batterien. Im Rahmen der Ermittlungen wurden am 20. Februar 2025 nach Medienberichten mit Unterstützung der Finanzpolizei Guardia di Finanza die italienischen Zentralen der vier betroffenen Autohersteller VW, Stellantis, BYD und Tesla durchsucht.

Im Zentrum der Ermittlungen: Elektroautos der genannten Hersteller sollen die angegebene Reichweite nicht erreichen, was möglicherweise mit einer geringeren nutzbaren Batteriekapazität zusammenhänge, als von den Herstellern beworben. Reserven innerhalb der Batterie würden absichtlich versteckt, sodass Kunden nicht den vollen Speicher nutzen können, obwohl sie für die gesamte Kapazität bezahlt haben, lautet der Vorwurf.

Bisher haben sich die betroffenen Hersteller nicht umfassend zu den Vorwürfen geäußert. BYD, der größte chinesische Elektroautohersteller, lehnte eine Stellungnahme ab. Volkswagen und Stellantis haben sich bislang nicht geäußert. Tesla, das in den USA bereits mit Sammelklagen wegen falscher Reichweitenangaben konfrontiert ist, war für eine Anfrage nicht erreichbar. Porsche sieht sich in Deutschland mit einer Klage konfrontiert, äußerte sich aber noch nicht zu den teils sehr deutlichen Reichweitenabweichungen.

Klagen zur Abweichung der Reichweite gegen VW-Tochter Porsche

Neben den laufenden Ermittlungen gegen andere Hersteller sorge Porsche mit seinem Elektro-Modell Taycan für erhebliche Verbraucherbeschwerden, so die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer in einer aktuellen Mitteilung. Die Kanzlei habe aufgrund dieser massiven Abweichungen mehrere Klagen gegen Porsche eingereicht. Ziel der Klagen sei die Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen Sachmängeln – darunter die unzureichende Reichweite als zentrales Problem.

Die Kanzlei hat demnach mehrere Probleme beim Taycan identifiziert:

  • 17 Rückrufe seit Markteinführung – zuletzt wegen sicherheitsrelevanter Bremsprobleme
  • Reichweitenabweichungen von bis zu 35 Prozent: Kunden berichten der Kanzlei zufolge, dass die reale Reichweite des Taycan GTS trotz energiesparender Fahrweise deutlich unter den Prospektangaben liegen soll
  • Unklare Batteriekapazität: Herstellerangaben und tatsächliche Nutzbarkeit sollen stark voneinander abweichen
  • Stromverbrauch höher als beworben: Statt 23,3-20,3 kWh/100 km (WLTP) liege der reale Verbrauch laut Tests bei 42,8 kWh/100 km

Laut Bundesgerichtshof (BGH) liegt ein erheblicher Sachmangel vor, wenn die tatsächliche Reichweite eines Neufahrzeugs um mehr als 10 Prozent von den Herstellerangaben abweicht. Beim Porsche Taycan betrage die Abweichung jedoch nach Angaben von Verbrauchern bis zu 35 Prozent, sodass hier Schadensersatz oder eine Rückabwicklung des Kaufvertrags in Frage kommen könnten.

Laut Berichten des Magazins WirtschaftsWoche vom vergangenen Jahr sind die aktuellen Ermittlungen nicht verwunderlich. Auch die Berichte des Wirtschaftsmagazins hatten Ungereimtheiten in Bezug auf Reichweite und Batterieleistung aufgedeckt:

  • Versteckte Batteriereserven: Tests hätten gezeigt, dass viele Elektroautos über eine nicht nutzbare „Notreserve“ verfügen sollen, die den Fahrern verschwiegen werde. Dies könne bis zu 60 Kilometer Reichweite ausmachen.
  • Manipulation durch Software-Updates: Hersteller sollen teilweise die nutzbare Akkukapazität gezielt per Software-Update verringern, um die Batterielebensdauer künstlich zu verlängern – ohne Wissen der Kunden.
  • Geheime Kapazitätsdrosselung: Analyseunternehmen wie Aviloo hätten aufgedeckt, dass einige Hersteller Batterien mit geringerer Kapazität einbauen sollen, als sie offiziell angeben.

Diese WiWo-Erkenntnisse werfen nicht nur Fragen zur Transparenz der Automobilindustrie, sondern auch zur rechtlichen Zulässigkeit dieser Praktiken auf. Laut Berechnungen der WirtschaftsWoche hat die fehlende Transparenz allein in Deutschland einen finanziellen Schaden von über 350 Millionen Euro für E-Auto-Kunden verursacht. Weltweit könnten sich die Verluste auf mehrere Milliarden Euro belaufen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnten betroffene Verbraucher Schadenersatzansprüche geltend machen, so Dr. Stoll & Sauer.

Quelle: AGCM – Pressemitteilung vom 21.02.2025 / Dr. Stoll & Sauer – Pressemitteilung vom 21.02.2025

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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