Schummeln E-Auto-Hersteller bei der Reichweite?

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 4 min

Die italienische Wettbewerbsbehörde Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (AGCM) hat laut einer aktuellen Mitteilung Ermittlungen gegen Volkswagen, BYD, Stellantis und Tesla wegen des Verdachts der Verbrauchertäuschung eingeleitet. Im Zentrum der Untersuchungen stehen überhöhte Angaben zur Reichweite und Akkukapazität von Elektroautos.

Bereits im vergangenen Jahr hatte das Magazin WirtschaftsWoche über Hinweise berichtet, dass die Autoindustrie systematisch übertriebene Leistungsangaben macht und Batteriekapazitäten verschleiert. Auch Porsche gerät in den Fokus, da sich beim Elektro-Modell Taycan massive Reichweitenabweichungen häufen. Die Verbraucherkanzlei Dr. Stoll & Sauer sieht laut aktueller Mitteilung gar ein Elektrogate heranziehen, das mit dem Diesel-Abgasskandal vergleichbar sein soll.

Die italienische Behörde AGCM prüft potenziell unlautere Geschäftspraktiken in Bezug auf die beworbene Reichweite, Akkukapazität und die Einschränkungen der Standardgarantie für Batterien. Im Rahmen der Ermittlungen wurden am 20. Februar 2025 nach Medienberichten mit Unterstützung der Finanzpolizei Guardia di Finanza die italienischen Zentralen der vier betroffenen Autohersteller VW, Stellantis, BYD und Tesla durchsucht.

Im Zentrum der Ermittlungen: Elektroautos der genannten Hersteller sollen die angegebene Reichweite nicht erreichen, was möglicherweise mit einer geringeren nutzbaren Batteriekapazität zusammenhänge, als von den Herstellern beworben. Reserven innerhalb der Batterie würden absichtlich versteckt, sodass Kunden nicht den vollen Speicher nutzen können, obwohl sie für die gesamte Kapazität bezahlt haben, lautet der Vorwurf.

Bisher haben sich die betroffenen Hersteller nicht umfassend zu den Vorwürfen geäußert. BYD, der größte chinesische Elektroautohersteller, lehnte eine Stellungnahme ab. Volkswagen und Stellantis haben sich bislang nicht geäußert. Tesla, das in den USA bereits mit Sammelklagen wegen falscher Reichweitenangaben konfrontiert ist, war für eine Anfrage nicht erreichbar. Porsche sieht sich in Deutschland mit einer Klage konfrontiert, äußerte sich aber noch nicht zu den teils sehr deutlichen Reichweitenabweichungen.

Klagen zur Abweichung der Reichweite gegen VW-Tochter Porsche

Neben den laufenden Ermittlungen gegen andere Hersteller sorge Porsche mit seinem Elektro-Modell Taycan für erhebliche Verbraucherbeschwerden, so die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer in einer aktuellen Mitteilung. Die Kanzlei habe aufgrund dieser massiven Abweichungen mehrere Klagen gegen Porsche eingereicht. Ziel der Klagen sei die Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen Sachmängeln – darunter die unzureichende Reichweite als zentrales Problem.

Die Kanzlei hat demnach mehrere Probleme beim Taycan identifiziert:

  • 17 Rückrufe seit Markteinführung – zuletzt wegen sicherheitsrelevanter Bremsprobleme
  • Reichweitenabweichungen von bis zu 35 Prozent: Kunden berichten der Kanzlei zufolge, dass die reale Reichweite des Taycan GTS trotz energiesparender Fahrweise deutlich unter den Prospektangaben liegen soll
  • Unklare Batteriekapazität: Herstellerangaben und tatsächliche Nutzbarkeit sollen stark voneinander abweichen
  • Stromverbrauch höher als beworben: Statt 23,3-20,3 kWh/100 km (WLTP) liege der reale Verbrauch laut Tests bei 42,8 kWh/100 km

Laut Bundesgerichtshof (BGH) liegt ein erheblicher Sachmangel vor, wenn die tatsächliche Reichweite eines Neufahrzeugs um mehr als 10 Prozent von den Herstellerangaben abweicht. Beim Porsche Taycan betrage die Abweichung jedoch nach Angaben von Verbrauchern bis zu 35 Prozent, sodass hier Schadensersatz oder eine Rückabwicklung des Kaufvertrags in Frage kommen könnten.

Laut Berichten des Magazins WirtschaftsWoche vom vergangenen Jahr sind die aktuellen Ermittlungen nicht verwunderlich. Auch die Berichte des Wirtschaftsmagazins hatten Ungereimtheiten in Bezug auf Reichweite und Batterieleistung aufgedeckt:

  • Versteckte Batteriereserven: Tests hätten gezeigt, dass viele Elektroautos über eine nicht nutzbare „Notreserve“ verfügen sollen, die den Fahrern verschwiegen werde. Dies könne bis zu 60 Kilometer Reichweite ausmachen.
  • Manipulation durch Software-Updates: Hersteller sollen teilweise die nutzbare Akkukapazität gezielt per Software-Update verringern, um die Batterielebensdauer künstlich zu verlängern – ohne Wissen der Kunden.
  • Geheime Kapazitätsdrosselung: Analyseunternehmen wie Aviloo hätten aufgedeckt, dass einige Hersteller Batterien mit geringerer Kapazität einbauen sollen, als sie offiziell angeben.

Diese WiWo-Erkenntnisse werfen nicht nur Fragen zur Transparenz der Automobilindustrie, sondern auch zur rechtlichen Zulässigkeit dieser Praktiken auf. Laut Berechnungen der WirtschaftsWoche hat die fehlende Transparenz allein in Deutschland einen finanziellen Schaden von über 350 Millionen Euro für E-Auto-Kunden verursacht. Weltweit könnten sich die Verluste auf mehrere Milliarden Euro belaufen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnten betroffene Verbraucher Schadenersatzansprüche geltend machen, so Dr. Stoll & Sauer.

Quelle: AGCM – Pressemitteilung vom 21.02.2025 / Dr. Stoll & Sauer – Pressemitteilung vom 21.02.2025

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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adson:

Seit 2020 fahre ich einen eGolf und bin sehr zufrieden damit. Die 300km Reichweite schaffe ich im Sommer auch auf Überlandfahrten auf Landstraßen. Der günstigste Wert lag bei 321km, allerdings auch bei sehr günstigen Voraussetzungen – und dabei meine ich nicht mit 35km/h dahin schleichen. Ein wesentliches Element ist dabei Segeln anstatt zu rekuperieren. D.h. z.B. rechtzeitig vom Strompedal vor dem Ortsschild anstatt am Ortsschild bremsen. Selbst die mickrige Ladeleistung kann ich auf den wenigen Autobahn-Fahrten im Jahr über 250km hinnehmen (700km und 300km). Und die Wärmepumpe zeigt bei mir sehr wohl Wirkung! Da ich die Betriebsdaten über die OBDII-Schnittstelle auslesen kann, habe ich hier einen sehr guten Einblick in Lade-/Entladestrom, Batterietemperatur Ladestand in %, ge- bzw. entladene kWh und eine Vielzahl weiterer Parameter.
Aus meiner Sicht hat der eGolf zwei grundlegende negative Eigenschaften:
1. die fehlende AZV (gibt es nur für Fahrradträger),
2. die geringe Schnellladeleistung (42kW)

Pedro G.:

Es gibt ja eine europäische Zulassung für jedes Modell ⁉️
Die EU-Behörde macht mit einem Auto einen REALEN TEST und diese Werte sind gesetzt in der Zulassung ⁉️

Klaus:

Stellantis wurde genannt, dazu gehört auch Renault…..nur zur Info!!!

[Anm. d. Red.: Renault gehört nicht zu Stellantis.]

Robert:

nun dann muss halt auch der WLTP eben mehr dem Realitätsverbrauch angepasst werden und zur Akkukapazität hatte ja der bekannte E-Auto Youtuber Michael schmitt vor Jahren schon mal eine Pedition eingereicht (war leider erfolglos) dass im Fahrzeugschein die Netto & Bruttokapazität der Batterie zwingend angegeben werden muss. Damit liessen sich die Probleme aus der Welt schaffen. Und schummeln beim Verbrauch ist ja beim Verbrenner nicht anders laut ADAC gibt beim Verbrauch differenzen bis 41,5% gegenüber der realität kann ich auch bestätigen von meinem früheren Nissan Quashai laut Hersteller 4,4L durchschnitt mein Durchschnitt 5,1 Liter trotz sparsamster Fahrweise Landstraße max. 90 km/h Stadt 50 Km/h und sanftes Beschleunigen und abbremsen

Gastschreiber:

Ok, wenn man das als Argument nimmt um sich nicht ernsthaft mit einer Technologie und deren Vorteilen, ja auch Einschränkungen auseinanderzusetzen, dann kann ich nur sagen, arme Zukunft.

egon_meier:

Es gibt ganz klare Regeln, wie Verbrauch/Ladegeschwindigkeit/Reichweite zu ermitteln sind. Das gilt für Verbrenner wie BEV.
Wenn ändern – dann bitte für alle.

Und dann klagen wir über Regelungswut und Bürokratie.

Das ist wie mit dem tränenreichen Klagen über Schilderwald .. aber vor der eigenen Haustür bitte noch Ampel+Tempobegrenzung+irgendwas extra.

egon_meier:

@gregor

wobei dieser Tatbestand nicht Inhalt der Untersuchungen ist.
Tesla ist nie das Problem /ironie

Marcel Gleißner:

Richtig

Marcel Gleißner:

Vollkommen Richtig !!!
Keiner hat aus dem Dieselskandal / Dieselbetrügereien etwas gelernt. Die Kunden werden weiter munter verarscht. Die E- Hersteller tricksen wo es geht. Die WLTP Reichweiten sind eh nur Theoretisch, haben mit der Realität nichts zu tun. Bei E-Autos wird man vielleicht sogar noch mehr verarscht als bei Verbrenner. Da bleibe ich lieber beim Benziner, mit meinem 2014 Skoda Fabia(60ps) konnte ich vor 10 Jahre locker 800-1000km fahren, heute 2025 auch noch und in 10 Jahren ebenfalls.

Stefan:

Aber sicher….das Schummeln hört ja beim Wechsel von Verbrenner zum BEV nicht auf. 30% abziehen, dann passt es grob. Mit dem Schnellladen ist es ähnlich. Das Schummeln ist aktuell durch die vielen „Alternativen“ in den Gesellschaften leider normal geworden. Das macht es anstrengend, alternative Fakten von echten zu trennen.

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