Prof. Dr. Achim Kampker, Mitgründer des Elektrotransporter-Herstellers Streetscooter und Lehrstuhlinhaber für Production Engineering of E-Mobility Components an der RWTH Aachen, sprach in einem Interview mit dem ADAC über Elektroauto-Start-ups und ihre größten Herausforderungen, was die deutsche Automobilindustrie verschlafen hat und warum er Negativ-Argumente gegen die Elektromobilität nicht mehr gelten lässt.
„Ein Start-up wie Tesla, das lange kein Geld verdient, wäre bei uns nicht möglich“, sagt Kampker. In Deutschland seien die Hürden „sehr hoch“, vor allem da Investoren „in wenigen Jahren Profitabilität“ erwarten. Den „Erfolg von Streetscooter“, so der Mitgründer des Elektro-Transporter-Start-ups, könne man „differenziert bewerten“. Die Produktion des eigentlich recht gelungenen und erfolgreichen Fahrzeugs will der Eigner, die Deutsche Post, einstellen. „Auf jeden Fall“ habe es Streetscooter aber immerhin geschafft, „diesen Trend zu setzen“: Heute sei es „unter Experten unumstritten, dass die letzte Meile der urbanen Logistik elektrisch sein sollte.“
„Entäuscht, dass viel zu lange gewartet wurde“
Von den etablierten Herstellern ist Kampker in Sachen E-Mobilität „entäuscht, dass viel zu lange gewartet wurde.“ Zwar habe sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass an Elektroautos „kein Weg vorbei“ führe. Allerdings vermisst der E-Mobility-Experte noch eine „echte Begeisterung“. Die deutsche Autoindustrie hadere mit dem Wandel, „weil sie im Bisherigen so erfolgreich war“, wie er meint: Der Produktion von qualitativ hochwertigen Verbrennern. „So wie Ingenieure früher Benzin in den Adern hatten, brauchen sie dort jetzt Strom“, resümiert Kampker.
Insgesamt reiche es aber nicht, einfach nur „Verbrenner durch Elektromotoren zu ersetzen. Wir brauchen neben der Verkehrs- und Energiewende eine städtische Wende“, fordert Kampker. Es sei an der Zeit, die Gesamtsysteme zu betrachten und „unsere Art zu leben und uns fortzubewegen grundsätzlich“ zu überdenken. Ein wichtiges Thema hierbei sei, „die vielfältigen Vorzüge der E-Mobilität in Verbindung mit der Digitalisierung und der Automatisierung“ zu erkennen und nutzbar zu machen, etwa was den Städtebau oder die Innenstadtlogistik betrifft. Der Anspruch an neue Mobilität dürfe sich nicht darauf beschränken, „CO2 einzusparen – sie muss auch dazu führen, dass Logistik doppelt so effizient wird oder andere Zusatzvorteile entstehen.“
Nachteile von Elektroautos „inzwischen überholt“
Die von E-Mobility-Kritikern gerne ins Feld geführten Nachteile elektrischer Mobilität wie etwa die schlechte CO2-Bilanz in der Batterieherstellung oder die eingeschränkte Reichweite von E-Autos will Kampker nicht mehr gelten lassen. Vieles davon sei „inzwischen überholt“. Die CO2-Bilanz der Batterieherstellung sei deutlich besser als noch vor ein paar Jahren und „die Bilanz über den Lebenszyklus gegenüber dem Verbrenner auf jeden Fall positiv.“ Und auch die Reichweitenangst hält der Experte für einen vorgeschobenen Grund, sich aus der E-Mobility rauszureden: Die Reichweite moderner Elektroautos liegt schon „bei mehreren Hundert Kilometern und damit nahe an Verbrennern.“ Gleichzeitig legen „mehrere Millionen Fahrzeuge in Deutschland ohnehin nie mehr als 100 Kilometer am Tag zurück“. Reichweitenangst ist mit aktuellen E-Autos somit nicht mehr angebracht, außer vielleicht noch auf Langstrecken. Wobei es auch hier stetige Fortschritte beim Ausbau einer flotten und flächendeckenden Ladeinfrastruktur zu verzeichnen gibt.
Quelle: ADAC – „Die Auto-Ingenieure brauchen Strom in den Adern“