Auch unter Autoherstellern lebt es sich in einem beschaulichen Nischenplätzchen deutlich angenehmer als in der Masse. Deren Geschmack kann einem dann ziemlich egal sein, man darf sich Freiheiten bei Design und Technik gönnen – und mit Partnern wie Volvo und dem chinesischen Geely-Konzern an der Seite werden so schnell weder Halbleiter noch Geld knapp. So sind sie bei Polestar höchst zufrieden mit ihrer Rolle als gehobener Elektro-Anbieter. Gut 7000 Zulassungen 2022 hierzulande bedeuten eine Steigerung von 166 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit ist Polestar die am schnellsten wachsende Marke auf dem deutschen Markt. Auch das ist ein Vorteil eher kleiner Absatzzahlen.
Polestar: Wachstum in Deutschland
„Polestar gewinnt durch sein Geschäftsmodell des Direktvertriebs in Deutschland stark an Fahrt, und damit ist es nun einer der größten Märkte der Marke weltweit“, sagt Managing Director Willem Baudewijns. Nachteil der Premium-Strategie: Die Nordmänner müssen Marktanteile vorrangig denen abjagen, die im Wappen Stern, Ringe oder Weiß-Blau tragen. Damit das auch in Zukunft klappt, haben die Schweden den Polestar 2 nicht bloß aufgefrischt, sondern in Sachen Technik im Wortsinn umgekrempelt.
Heißt zuallererst: Bei den Einstiegsversionen mit Single-Motor wechselt der Antrieb von vorne nach hinten. Eine kluge Entscheidung, weil die von 170 auf 220 kW gewachsene Power so deutlich besser auf die Straße kommt. Dennoch gilt der Satz von Rallye-Ikone Walter Röhrl, wonach ein Auto mit zwei getriebenen Rädern eben bloß eine Notlösung sei. An der Spitze des Portfolios haben sie in Göteborg dieses Prinzip mit einer Allrad-Version selbstverständlich weiterhin beherzigt. Die hecklastige Auslegung der Kraftverteilung dürfte nicht bloß dem Großmeister der Quertreiber-Zunft gefallen – die auf 310 kW gesteigerte Leistung sowieso.
Wer es darauf anlegt, kommt in 4,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 (im Basismodell vergehen 1,7 Sekunden mehr). Noch drei Zehntel schneller schafft man die Nummer mit dem optionalen Performance-Paket, in dem sich vor allem 350 kW Leistung, Brembo-Zangen und ein Öhlins-Fahrwerk finden. Das reine Power-Plus kann man sich übrigens auch per Over-the-Air-Update unter die Haube holen. Und weil man selten mit der Stoppuhr hinterm Lenkrad sitzt, reicht die Erkenntnis: Es geht trotz gut zwei Tonnen richtig vorwärts. Großer Trost für Freunde der Effizienz: Im Normalbetrieb legt sich der Frontmotor zur Ruhe und erwacht erst bei Bedarf binnen eines Wimpernschlags.
Akku-Optimierungen beim Polestar 2 geglückt
Auch an den Akku-Packs haben die Ingenieure getüftelt. Die „Long Range“-Varianten verfügen jetzt über 82 kWh-Batterien von CATL, die am Schnelllader 205 kW Gleichstrom ziehen können. Die Stromspeicher von LG Chem für die „Standard Range“-Modelle verfügen weiterhin über eine Kapazität von 69 kWh und müssen sich mit 135 kW Durchfluss begnügen.
Den Rest ihres Hinguckers lassen die Schweden bis auf ein paar Retuschen an der Front zum Glück unangetastet. Und so ist man im Zeichen des Nordsterns weiterhin mit der Mischung aus nordischer Kühle, schnittigem Design und bewusstem Understatement unterwegs. Das beginnt bei der langen Motorhaube, geht über die klassisch-glatten Außenflächen und endet beim hartnäckig hochkant stehenden Touchscreen über dem beinahe schalterlosen Cockpit. Ein bisschen eigen sind sie bei Polestar halt auch.
Der Innenraum präsentiert sich hochwertig, geräumig und dank gut geformter Sitze auch zum Wohlfühlen. Einzig die Ausläufer der Mittelauflage bremsen den Ellbogen ambitionierter Gernlenker unsanft ein. Auch im Fond herrscht reichlich Platz für Kopf und Knie, wenngleich der Einstieg eine nicht nur symbolische Verbeugung vor der schick abfallenden Dachlinie erfordert.
Kleines Manko: Mit 405 Litern (bei umgeklappten Sitzen sind es 1095) verdient sich der aufgefrischte Polestar 2 nicht unbedingt das Prädikat Raum-Gleiter. Allerdings lässt die große Heckklappe auch das Einladen sperriger Güter zu – und im 35 Liter fassenden „Frunk“ über der Vorderachse findet deutlich mehr Platz als bloß das Ladekabel. Wer künstliches Leder nicht mag, findet womöglich Gefallen am 3D-Gewebe namens „Weave-Tech“, das entfernt an einen Neoprenanzug erinnert. Womöglich soll man in die Welt der E-Mobilität regelrecht eintauchen.
Fahrverhalten und Effizienz im neuen Modelljahr
Die Abstimmung des Polestar 2 ist angenehm straff, ohne auch nur einen Hauch unkomfortabel zu wirken. Dabei tut die Batterie im Boden das Ihre für einen tiefen Schwerpunkt des Wagens, andererseits strebt Masse in engen Kurven halt Richtung Tangente. Gänzlich überlisten lässt sich die Physik eben auch von den klügsten Helferlein nicht.
Apropos Physik: Je weniger druckvoll der rechte Fuß, desto weiter die Fahrt. Das ist beim Strom nicht anders als beim Sprit. Mit dem großen Speicher verspricht Polestar für den Hecktriebler jetzt stolze 655 Kilometer Radius, im alltäglichen Betrieb und ohne Krampf im rechten Bein können daraus bei guten Bedingungen an die 500 werden. Besonders dann, wenn man das bis zum Stillstand reichende One-Pedal-Driving mit starker Rekuperation nutzt. Wer sich für die kleinere Batterie entscheidet, kommt nominell auf 546 Kilometer, in der Realität also auf rund 400. Das Allrad-Modell schafft offizielle 593 Kilometer, mit Performance-Paket sind nach WLTP noch 568 drin.
Das sind Werte, mit denen die allermeisten prima rollen können. Zumal die Stromzufuhr keine Ewigkeit dauert. Am DC-Lader lasen sich in knapp 40 Minuten 80 Prozent Kapazität ziehen, an der 11-kW-Wallbox vergehen für eine komplette Füllung rund acht Stunden.
Sicherheit und Assistenzsysteme
Ab Werk verfügt der Polestar 2 über ein Notbrems-System, das Autos, Fußgänger, Zweiradfahrer und Wildtiere erkennt – und auch für Gegenverkehr auf der eigenen Spur den Anker wirft. Ebenfalls an Bord ist der „Pilot Assist“, der – zeitlich begrenzt – selbstständig fährt, ohne ein Auto vor sich zu brauchen. Droht der Drift Richtung Gegenseite, greift der Wagen selbst ins Volant.
Gedacht sind die in China gefertigten Nordlichter für Kunden, die das Individuelle lieben, Understatement pflegen und das Gehobene schätzen. Auch beim Preis. Mindestens 50.775 Euro muss man für den Hecktriebler mit kleinem Akku anlegen. Der große kostet 3700 Euro Aufpreis – und dann ist man wiederum nur mehr 4300 Euro vom Allradler entfernt. In diesen Dimensionen ein eher überschaubarer Abstand. Für die Top-Version mit Performace-Paket allerdings ruft Polestar dann schon 65.275 Euro auf. Bestellungen sind übrigens nur online möglich. Aktuell gibt es acht „Spaces“ in großen deutschen Städten sowie diverse Standorte für Probefahrten.
Wer darauf wartet, dass die Schweden ihren Modellen auch mal die Federbeine langziehen – wohl ab dem zweiten Quartal 2024 kommt das bereits bestellbare SUV Polestar 3 auf die Straßen. Mit bis zu 380 kW Leistung, einem 111-kWh-Akku, aber halt auch 2,6 Tonnen Leergewicht. Und: Da geht das Einsteigen überhaupt erst bei 88.600 Euro los. Sechsstellige Summen sind also locker drin. Nische ist halt nicht für alle.