Berlin oder zumindest die Regionen rund um die Hauptstadt mausern sich immer mehr zu einem Zentrum der E-Mobilität in Deutschland. Mit Tesla, BASF, SVOLT und anderen Unternehmen aus dem Umfeld der Elektromobilität ist man bereits gut aufgestellt. Anfang der Woche hat nun das chinesische Unternehmen Nio sein Smart Driving Technology Center in der deutschen Hauptstadt eröffnet. Diese Eröffnung markiert einen wichtigen Meilenstein für Nio, da diese damit ihrem Bekenntnis E-Autos “For Europe in Europe” spürbar Nachdruck verleihen können.
Eröffnung des Nio Smart Driving Technology Center in Berlin
Bei der Eröffnungszeremonie, die eine Brücke zwischen kultureller Bedeutung und technologischem Fortschritt schlagen sollte, begrüßte Hui Zhang, Nio Group Vice President, eine Vielzahl von Gästen. Unter den Anwesenden befanden sich Vertreter aus Politik und Wirtschaft sowie Fachjournalisten und Medienvertreter. EAN war ebenfalls vertreten und konnte einen Blick hinter die Kulissen werfen.
Dabei war es spannend zu erfahren, dass die Reise von Nio in Europa bereits vor neun Jahren im Café Reitschule in München begann, einem Ort, der inzwischen mehr als nur eine Anekdote in der Firmengeschichte darstellt. Es war der Ort, an dem die ersten entscheidenden Schritte unternommen wurden, um Nio auf dem europäischen Markt zu etablieren. Von diesem bescheidenen Anfang aus hat Nio eine durchaus nennenswerte Entwicklung durchlaufen. Beginnend mit der Gründung seines Design-Headquarters in München im Jahr 2015, hat das Unternehmen seine Präsenz in Europa stetig ausgebaut. Heute beschäftigt Nio in Europa 900 Mitarbeiter und ist in sieben Ländern aktiv.
Dabei bringe das Motto “For Europe in Europe” die Philosophie von Nio auf den Punkt, wie Zhang bei der Eröffnung sagte. Es stehe für die Anpassung der Produkte und Strategien an die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen des europäischen Marktes.
Spannender Side-Fact, der chinesische Hersteller vermittelt den Eindruck, verstanden zu haben, dass ebendiese spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen nicht für ganz Europa auf einmal zu beantworten sind. Sondern es für jedes Land eine eigene Betrachtungsweise gibt. Europa wird hier nicht als ein homogenes Land gesehen. Etwas, was anderen chinesischen Marktbegleitern nicht ganz so zu gelingt.
Entwicklung für Europa aus Berlin heraus
Das Nio Smart Driving Technology Center in Berlin Schönefeld steht unter der Leitung von Mirko Reuter, dem Senior Director für autonomes Fahren bei Nio. Reuter und seine Mannschaft sind dafür verantwortlich, sämtliche systemspezifischen Entwicklungen und Validierungen für Fahrzeuge im Hinblick auf europäische Standards durchzuführen.
Ein konkretes Beispiel ist die Anpassung der Lidar-Sensoren, um die spezifischen Herausforderungen dicht besiedelter urbaner Umgebungen in Europa zu bewältigen, wie z.B. das Erkennen von Fahrradfahrern und Fußgängern in engen Straßen. Die Softwareentwicklung profitiert ebenfalls von den direkten Rückmeldungen europäischer Nutzer. Ein spezielles Projekt könnte die Optimierung der Energienutzung und Reichweite unter den klimatischen Bedingungen Europas umfassen, wo niedrigere Temperaturen die Batterieleistung beeinflussen können. Durch die Nutzung von OTA-Updates kann Nio diese Anpassungen effizient an bestehende Fahrzeuge liefern, was die Langlebigkeit und Zufriedenheit der Nutzer erhöht
Die Entscheidung, Berlin als Standort zu wählen, ist ein strategischer Schachzug. Berlin etabliert sich als pulsierender Knotenpunkt für Innovation und Technologie, insbesondere in der Automobilbranche und bei Startups. Die Stadt zieht mit ihrem dynamischen Ökosystem aus Forschungseinrichtungen, einer vielfältigen Talentlandschaft und unterstützender Infrastruktur Fachkräfte weltweit an. Dies fördert nicht nur den kreativen Austausch und die Entwicklung neuer Ideen, sondern bietet auch ideale Voraussetzungen für die Erprobung und Implementierung fortschrittlicher Technologien.
Zudem begünstigen die lokale Förderpolitik und die enge Vernetzung zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik das Wachstum von Unternehmen wie Nio, wie sowohl der Nio Group Vice President Hui Zhang, als auch Stephan Worch, Referatsleiter Branchen- und Industriepolitik des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg, sagten.
Nutzer:innen First, Marge Second. Oder so ähnlich
Zentral für Nios Ansatz bei der Entwicklung seiner Elektroautos sei das tiefe Verständnis für und die Ausrichtung auf die Nutzerbedürfnisse. Dies werde durch ein umfassendes System zur Erfassung von Nutzerfeedback erreicht, das über verschiedene Kanäle funktioniert, von Online-Plattformen bis hin zu direktem Austausch in Nio-Häusern. Ein innovatives Feature, das aus diesem Feedback entstanden ist, war die Entwicklung einer verbesserten Routenplanung, die Ladestationen berücksichtigt und dabei Verkehrsdaten und die individuellen Fahrpräferenzen der Nutzer einbezieht. Ein weiteres Beispiel für die Fokussierung auf die Nutzererfahrung ist die Einführung von personalisierten Innenraum-Einstellungen, die über die Nio-App gesteuert werden können. Nutzer können vor Fahrtantritt Temperatur, Sitzpositionen und Medieninhalte einstellen, wodurch jede Fahrt im E-Auto zu einem individuell zugeschnittenen Erlebnis wird.
Ferner nutzt Nio “over the air” (OTA) Updates, wie andere Automobilhersteller auch, um sowohl Software als auch Firmware seiner Fahrzeuge zu aktualisieren. Software-Updates erweitern und verbessern Anwendungen wie das Infotainment-System, indem sie neue Funktionen hinzufügen oder bestehende optimieren. Im Gegensatz dazu aktualisieren Firmware-Updates das eingebettete Betriebssystem und die Steuerungssoftware, die für die grundlegenden Betriebsfunktionen und die Sicherheit des Fahrzeugs essenziell sind. Diese OTA-Updates ermöglichen es Nio, die Leistung, Effizienz und Benutzererfahrung ihrer E-Autos kontinuierlich zu verbessern, ohne dass ein physischer Werkstattbesuch nötig ist.
Dadurch, dass die bisherigen Nio-Modelle auf die gleiche Plattform setzen, lässt sich dies entsprechend skaliert abbilden. Rund 90 Prozent der Systeme in Nios Fahrzeugen sind updatefähig. Eine Ansage. Wie wichtig die Auswahl der richtigen Komponenten und deren Langlebigkeit ist, zeigt sich beim Vortrag von Mirko Reuter. Er erläuterte die technischen Fortschritte, die durch die Zusammenarbeit mit Zulieferern und Partnern möglich wurden.
Ein Schlüsselelement sei hierbei die Lidar-Technologie, die in Nios Fahrzeugen zum Einsatz kommt, und die speziell auf die Anforderungen und Bedürfnisse europäischer Fahrer abgestimmte Softwareentwicklung. Die Partnerschaft mit Seyond, repräsentiert durch CEO Junwei Bao, der das Lidar-System liefert, ist ein Beispiel für die synergetische Zusammenarbeit, die technologische Fortschritte und die Entwicklung zukunftsweisender Lösungen ermöglicht. Hier hat positiv überrascht, dass der chinesische Automobilhersteller seinen Lieferanten eine solche Bühne geboten hat. Üblicherweise bleiben Lieferanten unerwähnt.
Ein Dialog mit der Zukunft
Die abschließende Diskussionsrunde der Eröffnungsveranstaltung bot eine Plattform für einen tiefgreifenden Austausch über die Vision von Nio, die Bedeutung der Nutzererfahrung und die zukünftigen Investitionen in Europa. Führungskräfte von Nio, darunter Hui Zhang und Mirko Reuter, betonten die Entschlossenheit des Unternehmens, eine aktive Rolle in der Gestaltung der Mobilität der Zukunft in Europa spielen zu wollen.
Ein wesentlicher Aspekt dieses Dialogs war die Hervorhebung der kontinuierlichen Integration von Nutzerfeedback in den Entwicklungsprozess. Diese Praxis soll sicherstellen, dass Nios Fahrzeuge nicht nur technologisch fortschrittlich, sondern auch im täglichen Gebrauch praktisch und benutzerfreundlich sind. Durch die regelmäßige Interaktion mit Nutzern – sowohl online als auch offline – sammelt Nio wertvolle Einblicke, die direkt in die Optimierung bestehender Funktionen und die Entwicklung neuer Features einfließen.
Nio plant, seine Investitionen in Europa zu erhöhen, um die Forschung und Entwicklung weiter voranzutreiben und den Ausbau des Vertriebs- und Servicenetzes zu unterstützen. Der Austausch in der Diskussionsrunde deutete darauf hin, dass Nio bereit ist, erhebliche Ressourcen einzusetzen, um eine führende Position im Bereich der Elektromobilität in Europa zu erreichen. Auch, wenn man zunächst Rückschläge beim Absatz verzeichnet. Man sei angetreten, um im Marathon zu bestehen und nicht, um beim kurzen Sprint aufzutrumpfen.
Festhalten lässt sich: Die Zukunft der Mobilität, wie sie Nio sieht, ist nicht nur elektrisch, sondern auch intelligent vernetzt und auf die Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten. Mit seinen fortschrittlichen Technologien, wie der Lidar-basierten Fahrassistenzsysteme und der Software, die “over the air” – in verschiedenen Stufen – aktualisiert werden kann, setzt Nio teils neue Maßstäbe in der Automobilindustrie. Oder wählt zumindest neue Wege der Umsetzung.
Man darf daher davon ausgehen, dass das Smart Driving Technology Center in Berlin als Inkubator für Innovationen dienen wird, die nicht nur die Produktangebote von Nio, sondern auch die globale Landschaft der Elektromobilität bereichern werden.
Disclaimer: Nio hat zur Eröffnung des Smart Driving Technology Center in Berlin eingeladen und hierfür die Reisekosten übernommen. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.