So fährt sich der neue Nissan Leaf

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Elektroauto-News

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 9 min

Kopenhagen zeigt sich am Dienstagmorgen grau, leicht windig – perfektes Wetter, um zu testen, wie viel Effizienz tatsächlich im neuen Nissan Leaf steckt. Es ist die dritte Generation des Elektro-Pioniers, und sie soll vieles besser machen: aerodynamischer, leiser, digitaler und vor allem europäischer soll der Leaf jetzt sein. Auf den Straßen rund um die dänische Hauptstadt, zwischen Landstraßen, Küstenabschnitten und kurzen Autobahnetappen, durfte der Leaf seine Stärken unter Beweis stellen. Am Ende standen weit über 200 km auf dem digitalen Tacho.

Erster Eindruck des neuen Nissan Leaf: Mehr Charakter, mehr Balance

Schon nach den ersten Kilometern fällt auf: Der Leaf hat an Charakter gewonnen. Die flache Silhouette wirkt sportlicher, die Proportionen stimmiger. Die Lenkung reagiert präzise, das Fahrverhalten ist stabil und souverän – auch dank der neuen Multilink-Hinterachse und des tiefen Schwerpunkts. „Wir wollten ein Auto, das sich emotional anfühlt, aber rational fährt“, hatte Xavier Tesson, Director Product Planning Electric Vehicles Europe, gegenüber Elektroauto-News im Gespräch erklärt. Genau das trifft es: Der neue Leaf vermittelt Ruhe, selbst, wenn es ein wenig zügiger vorangehen muss.

Daniela Loof

Im Stadtverkehr überzeugt der Leaf durch seine Laufruhe. Kaum Windgeräusche, fast keine Abrollgeräusche – Nissan hat beim NVH-Feinschliff (Noise, Vibration, Harshness) ganze Arbeit geleistet. Gerade im Vergleich zur vorherigen Generation wirkt das neue Modell deutlich ruhiger. Türen schließen mit sattem Klang, das Abrollen über Kopfsteinpflaster bleibt leise, und selbst beim kräftigen Beschleunigen dringt nur ein gedämpftes Surren ins Innere.

Laut den Ingenieuren war die Geräuschreduktion ein zentrales Entwicklungsziel. Dafür wurde nicht nur die Dämmung verbessert, sondern auch die Karosseriestruktur überarbeitet. Die Batterie dient als tragendes Element und erhöht die Verwindungssteifigkeit – ein Vorteil, der nicht nur die Geräuschkulisse senkt, sondern auch das Fahrgefühl spürbar stabilisiert. Zwischen Reifen, Radkästen und Radhausschalen kommen spezielle absorbierende Materialien zum Einsatz, die Schallwellen dämpfen und Resonanzen verhindern. Auch die Windgeräusche konnten verringert werden: durch eine strömungsoptimierte Außenspiegelgeometrie (speziell angepasst für Europa), eine glatte A-Säulen-Abdeckung und kleine Spoilerlippen an der Heckklappe.

Das Ergebnis ist spürbar: In der Stadt gleitet der Leaf fast lautlos dahin, selbst auf nassem Asphalt oder grobem Belag. Der Übergang von Rekuperation zu Antrieb gelingt weich, ohne die sonst typische Verzögerung. Das One-Pedal-Driving („e-Pedal Step“) funktioniert intuitiv und erlaubt fein dosiertes Fahren – ideal im Stop-and-go-Verkehr Kopenhagens. Wünschenswert wäre es hier lediglich gewesen, auch durch die Betätigung der Wippen in den e-Pedal-Modus zu gelangen. Ist leider nicht der Fall und gelingt nur über die Betätigung des entsprechenden Tasters in der Mittelkonsole.

Souverän auf Landstraße und Autobahn unterwegs

Auf der Landstraße entfaltet der Leaf dann seine ruhige Souveränität. Der 160-kW-Motor in der großen Batterievariante zieht kraftvoll, aber nie hektisch. Es ist kein Auto, das den Fahrer oder die Fahrerin überfordert oder mit übertriebener Spontanität provoziert – stattdessen bietet es lineare, saubere Beschleunigung. Ganz im Sinne der Ingenieure im Entwicklungszentrum Cranfield, die das Ansprechverhalten bewusst europäisch abgestimmt haben. „Das Auto ist etwas breiter und niedriger geworden, aber die Überhänge sind kürzer“, erklärte Testingenieur Joel Sandham. „Dadurch wirkt der Leaf agiler, ohne Komfort einzubüßen.“

Dass man allerdings beim E-Crossover auch kein Sprintmeister erwarten sollte, ist eigentlich auch ohne gesonderte Einordnung klar. Im Sport-Modus sprintet er von 0 auf 100 km/h in 7,6 Sekunden, im Standard-Modus benötigt er für den gleichen Spurt 7,8 Sekunden. Egal welcher Fahrmodi gewählt ist, bei 160 km/h Höchstgeschwindigkeit wird abgeriegelt.

Nach über 200 km mit der dritten Generation des Leaf lässt sich festhalten, dass seine Ausgewogenheit den gesamten Fahreindruck prägt. Auf unruhigem Asphalt federt der Leaf geschmeidig, ohne schwammig zu wirken. Kleine Unebenheiten werden souverän absorbiert, größere Wellen kontrolliert geglättet. Die neu abgestimmte Mehrlenker-Hinterachse sorgt dafür, dass das Auto selbst bei schneller Kurvenfahrt neutral bleibt und nicht nachfedert – ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem Vorgänger.

Auch beim Wechsel auf die Autobahn bleibt der Leaf seiner Linie treu: ruhig, stabil, vorhersehbar. Wind und Querfugen beeinflussen ihn kaum, das Lenkrad liegt ruhig in der Hand. Der Wechsel von Landstraße zu Autobahn erfolgt mühelos, ohne dass das Fahrverhalten kippt. Das Fahrwerk ist präzise abgestimmt – genug Komfort für Langstrecken, genug Rückmeldung für engagierte Fahrer. Genau das war laut Sandham das Ziel: „Wir wollten ein E-Auto, das sich nicht künstlich anfühlt. Es sollte reagieren wie ein klassischer Kompakter – nur leiser und effizienter.“

Und das gelingt: Der neue Leaf fährt sich nicht spektakulär, sondern selbstverständlich – ein Auto, das weder Geräusch noch Härte kennt und dabei unauffällig genau das liefert, was man von einem reifen Elektroauto erwartet.

Messbare Effizienz unter realen Bedingungen beim neuen Leaf

Am Ende zählen aber vor allem die harten Fakten, wie etwa nach überwiegend Landstraße und einigen kurzen Autobahnabschnitten bis 110 km/h ein Verbrauch von 13,8 kWh auf 100 Kilometer. Durchaus erwähnenswert, wenn auch teilweise den Bedingungen unterwegs geschuldet. Als auch der Tatsache, dass wir uns stets nah am Tempolimit und der damit gesetzten Höchstgeschwindigkeit bewegt haben.

Auf Landstraßen, wo der Leaf seine volle Effizienz entfalten kann, gleitet er förmlich dahin. Der Energiefluss wirkt stabil, die Rekuperation greift feinfühlig ein, und die Klimatisierung arbeitet leise und unaufdringlich. Nur bei den Autobahnetappen stieg der Verbrauch spürbar – mit 17 bis 18 kWh pro 100 Kilometer bei gleichmäßig 110 km/h.

Rein rechnerisch ergibt das mit der großen 75-kWh-Batterie eine realistische Reichweite von rund 540 Kilometern. Dieser Wert deckt sich mit den Erfahrungen anderer Testfahrer:innen und liegt durchaus ein Stück weg von den 622 km nach WLTP. Ob man noch näher an die WLTP-Werte herankommt, gilt es über einen längeren Testzeitraum in Erfahrung zu bringen.

Tesson brachte es bereits im Vorfeld der Testfahrten, im gemeinsamen Gespräch auf den Punkt: „Reichweite war unser oberstes Ziel. Aber sie sollte auf realen Bedingungen beruhen, nicht auf Laborwerten.“ Genau das spürt man hinter dem Steuer. Der Leaf fordert keine disziplinierte Fahrweise, um effizient zu bleiben. Selbst mit Klimaanlage, Infotainment und gelegentlichen Beschleunigungsphasen bleibt der Energieverbrauch moderat. Insofern man sich nach den vorgegebenen maximalen Geschwindigkeiten richtet.

Das liegt an einer Vielzahl kleiner technischer Maßnahmen, die sich zu einem großen Effekt summieren. Der Luftwiderstandsbeiwert von 0,25 ist nur der sichtbare Teil. Bündig eingelassene Türgriffe, eine fließende Dachlinie und der fast vollständig verkleidete Unterboden verringern die Verwirbelungen, die bei höheren Geschwindigkeiten sonst Energie kosten. Selbst die aerodynamisch optimierten Außenspiegel wurden speziell für Europa entwickelt – minimal kleiner, mit schmalerem Steg und glatter Oberfläche, um den Luftstrom gezielt zu lenken.

Doch Effizienz endet beim Leaf nicht bei der Karosserie. Auch das Thermomanagement spielt eine entscheidende Rolle: Die Abwärme des Motors oder des Onboard-Laders wird genutzt, um die Batterie zu temperieren, während ein integriertes Ventilsystem den Energiebedarf der Heizung senkt. „Wir nutzen Wärme dort, wo sie entsteht – das spart Strom und schont die Zellen“, erklärte Sandham während der Fahrveranstaltung.

Das Resultat ist ein Elektroauto, das im Alltag weniger auf maximale Leistung als auf Balance setzt. Der Leaf lädt mit bis zu 150 kW Gleichstrom und hält diese Leistung über längere Zeit – kein typischer Peak, der nach wenigen Minuten abfällt. Zumindest ließ sich dies aus den vorgelegten Ladekurven des Herstellers ablesen. In 30 Minuten lässt sich Energie für über 400 Kilometer nachladen – gemessen am WLTP-Zyklus. Für viele Fahrer:innen bedeutet das: kurzer Zwischenstopp mit Kaffee statt ausgedehnte Ladepause. Dennoch muss man anmerken, dass diese Ladegeschwindigkeit nicht mehr den aktuellen Stand der Technik im Markt widerspiegelt. Beim kleineren Akku liegt die Peakleistung bei 105 kW.

Innenraum mit Fokus auf Ruhe und Funktion

Im Innenraum zeigt sich der neue Leaf aufgeräumt, modern und überraschend hochwertig. Weiche Materialien, wenn auch überschaubar, klare Linien und dezente Kontraste erzeugen eine ruhige Atmosphäre, die perfekt zum leisen Antrieb passt. Das Cockpit wirkt digital, ohne überladen zu sein: zwei 14,3-Zoll-Displays übernehmen Instrumentierung und Infotainment, reagieren schnell und lassen sich logisch bedienen. Die Google-Integration mit Maps, Assistant und Play Store läuft stabil, die Sprachsteuerung erkennt Befehle präzise und ohne lange Denkpausen.

Das optional dimmbare Panoramadach bringt Licht und Weite in den Innenraum, die vorderen Sitze bieten guten Seitenhalt und lange Etappenkomfort. Auch im Fond geht es luftig zu, die Beinfreiheit fällt für ein Kompaktmodell großzügig aus. Kleinere Kritikpunkte bleiben: ein fehlender Frunk, kein Heckscheibenwischer und keine Sitzheizung hinten. Nissan setzt klar auf Effizienz statt Überausstattung – ein bewusster Pragmatismus, der zur Gesamtphilosophie passt.

Dafür überzeugen die Fahrerassistenzsysteme mit Präzision. ProPilot mit Navi-Link hält Spur und Abstand sauber, der Around-View-Monitor liefert scharfe Bilder und erleichtert das Rangieren selbst in engen Straßen.

Fazit: Reifer, effizienter und europäischer denn je

Der neue Nissan Leaf zeigt, wie weit die Elektromobilität gekommen ist. Er verzichtet auf Showeffekte, setzt stattdessen auf technische Reife und eine spürbar europäische Ausrichtung. Effizienz, Fahrkomfort und Alltagstauglichkeit stehen im Vordergrund – und genau darin liegt seine Stärke.

Die Ingenieur:innen haben nicht einfach ein weiteres Elektroauto gebaut, sondern einen vertrauten Namen neu definiert. Das Ergebnis ist ein leises, ausgewogenes und zugleich modernes Auto, das seinen Zweck ohne Aufsehen erfüllt. Der Leaf fährt souverän, lädt ausreichend schnell und lässt sich intuitiv bedienen – ein E-Auto, das Technik auf seine Art und Weise selbstverständlich wirken lässt.

„Der Leaf war das erste Elektroauto für die breite Masse“, sagte Dave Moss zum Abschluss der Veranstaltung. „Jetzt ist er das Auto, das Elektromobilität alltagstauglich macht.“ Nach zwei Generationen Erfahrung liefert Nissan nun genau das: einen Leaf, der nicht mehr beweisen muss, dass Elektromobilität funktioniert – sondern einfach zeigt, wie sie sich anfühlen sollte.


Disclaimer: Nissan hat zum Kennenlernen des Nissan Leaf nach Kopenhagen eingeladen. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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