Nio ist seit zehn Jahren mit einem Designzentrum in München präsent. Als die Chinesen damals starteten, gab es weder ein Serienmodell noch ein Logo. „Wir hatten noch kein Auto und nicht einmal eine Entscheidung, wie unser Logo aussehen würde“, erinnert sich Europachef Hui Zhang im Gespräch mit der Automobilwoche. Inzwischen gilt München als wichtiger Standort für die globale Ausrichtung der Marke. Zwölf Modelle inklusive Showcars sind dort unter Leitung von Designchef Kris Tomasson entstanden.
Der Schritt nach Europa erfolgte ungewöhnlich früh: Bereits sechs Monate nach der Gründung in Shanghai eröffnete Nio das Büro in München, ein Jahr später folgte Oxford, parallel dazu der Einstieg in die Formel E und ein Standort im Silicon Valley. Gründer William Li habe von Beginn an ein globales Start-up gewollt, so Zhang.
Trotz der internationalen Ausrichtung sind die Absatzzahlen in Europa bislang gering. Während Nio in China im ersten Halbjahr 2025 mit den Marken Onvo und Firefly fast 115.000 Autos absetzte, wurden in der EU nur 369 Neuzulassungen registriert, davon 168 in Deutschland. Hui Zhang zeigt sich davon unbeeindruckt: „Wir verfolgen einen eigenen Ansatz, der auf Direktvertrieb setzt und mit dem wir nachhaltigen Erfolg erzielen möchten.“
Vergleiche mit Wettbewerbern wie XPeng, der in Deutschland 1300 Autos im ersten Halbjahr verkaufte, seien für ihn nicht ausschlaggebend. Stattdessen spricht er von einer langfristigen Strategie, die in drei Phasen unterteilt sei: Zunächst habe man Kompetenzen in Design und Entwicklung aufgebaut, anschließend die ersten Modelle auf den Markt gebracht und nun beginne die dritte Phase mit der Einführung von Smart Technologies, die speziell auf Europa zugeschnitten sind. „Wir haben in drei Jahren sechs Modelle eingeführt und ein stabiles Fundament gelegt“, betont er.
Deutsche Bürokratie bremse Nio-Batteriewechselstation-Netz
Ein Hindernis sieht der Europachef in der deutschen Bürokratie. „Die Zeit für eine Baugenehmigung für eine Batteriewechselstation liegt jetzt bei zehn bis zwölf Monaten. In Norwegen dauert das maximal drei bis vier Monate, in den Niederlanden auch“, kritisiert er. Anfangs habe er Verständnis gehabt, da die Technologie neu war, heute sei das nicht mehr nachvollziehbar. „Das ist ein relevantes Hemmnis für die Geschäftsentwicklung“, so Zhang. Nio sei bereit zu investieren, werde aber durch lange Genehmigungsverfahren ausgebremst.
Zhang verweist aber auch auf Fortschritte. Nio beschäftigt mittlerweile rund 800 Mitarbeiter in sieben Ländern, davon 400 in Deutschland. Europaweit sind 19 Verkaufsstandorte und 60 Swap-Stationen in Betrieb, darunter jeweils 20 in Deutschland und Norwegen, zehn in den Niederlanden und acht in Schweden. „In Shanghai haben wir mehr als 100.000 Nutzer, die wir mit 190 Swap-Stationen bedienen. Nimmt man dieses Verhältnis als Maßstab, sind die 20 Stationen in Deutschland fast schon viel“, erklärt er. Auch die Wahrnehmung der Marke habe sich verbessert. Zwar werde Nio in deutschen Medien oft als China-Marke bezeichnet, doch in der Automobilindustrie sei man zunehmend als globaler Partner anerkannt.
Zusammenarbeit im Fokus – auch auf Europas E-Automarkt
Besonders wichtig ist Zhang die Zusammenarbeit mit europäischen Zulieferern. Am Beispiel des Luxusmodells ET9 nennt er zentrale Bauteile von deutschen Partnern: „Steering by Wire ist von ZF, die Vorderachse von Schaeffler, das Glas-Schiebedach von Webasto und die Farbe von BASF.“ Für ihn zeigt das, wie sehr Hersteller und Zulieferer auf beiden Seiten voneinander abhängig sind. „Wir beziehen Lieferumfänge in dreistelliger Millionenhöhe aus Europa. Diese Art von Kollaboration ist einfach notwendig.“ Der ET9 sei zudem das erste Auto in China, das für Steering by Wire zugelassen wurde, und nach dem Tesla Cybertruck das zweite weltweit, das die Technologie in Serie einsetzt.
Trotz Konkurrenz mit deutschen Premiumherstellern spricht sich Zhang für mehr Kooperation aus. „Natürlich sind wir Konkurrenten. Aber letztlich sind wir eine globale Industrie, die um die besten Lösungen ringt. Abschottung hilft da nicht, wir müssen Brücken bauen.“ Angesichts geopolitischer Spannungen sei dies noch wichtiger geworden. Für Zhang ist klar, dass Nio langfristig in Europa erfolgreich sein will – nicht mit schnellen Stückzahlen, sondern mit einem stabilen Fundament aus Technologie, Infrastruktur und Kooperation.
Quelle: Automobilwoche – Nio-Europachef Hui Zhang: „Ich dachte, das wird ein easy Auftrag werden“