Elektromobilität in Kanada: Der große Funke fehlt

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Stefan Grundhoff
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  —  Lesedauer 5 min

Der kanadische Automarkt gilt im Schatten der mächtigen US-Nachbarschaft als wichtiger Indikator für Fahrzeugtrends kommender Jahre. Im Hinblick auf Elektroautos tut sich in dem Flächenstaat wenig, auch wenn das Ladenetz langsam dichter wird. Selbst in den Großräumen des Ostens, in Städten wie Toronto, Montreal, Quebec oder Halifax, sieht man nur selten ein Elektromodell auf den kanadischen Straßen. Etwas anders sieht es im Großraum Vancouver aus, in dem die US-amerikanischen Einflüsse größer sind und regelmäßig Elektroautos des Premiumsegments in der City unterwegs sind.

Wer in den endlosen Weiten des nordamerikanischen Staates einmal auf ein Elektroauto trifft, begegnet meist einem Tesla Model 3. Der große Funke bezüglich Elektromobilität ist in Kanada bisher nicht übersprungen, denn Plug-in-Hybride und Elektroautos machen aktuell erst zwölf Prozent der kanadischen Neuzulassungen aus. Das liegt nicht zuletzt an den enormen Entfernungen, die außerhalb der Agglomerationen zurückgelegt werden müssen. Die Benzinpreise liegen zudem rund 20 bis 25 Prozent unter denen in einem europäischen Land wie Deutschland oder Frankreich.

Pick-Ups dominieren: Große Motoren bleiben gefragt

Verlässt man die Großräume von Vancouver, Toronto oder Montreal, dann geben ähnlich wie in den USA die mächtigen Fullsize-Pick-Ups auf den Straßen den Ton an. Mit Arbeitsgerätschaften, Campingutensilien oder Freizeitgeräten sind deren Ladeflächen prall gefüllt und viele ziehen gleich noch einen Anhänger für Übernachtung, Boot oder Quad hinter sich mehr – da wird die Luft für einen elektrischen Pick-Up wie den Ford F-150 Lightning und seine Nachfolger dünn. Die Kanadier lieben ihre großen Pick-Ups, am besten mit bulligen Achtzylindern oder zumindest leistungsstarken Sechszylinder-Turbotriebwerken.

Die Ladeinfrastruktur hat trotz aller landesweiten Bestrebungen große Lücken, denn rund 27.000 öffentliche Ladesäulen an 11.000 Stationen sind im zweitgrößten Land der Erde alles andere als beeindruckend. Im vergangenen Jahr gab es immerhin einen Anstieg um mehr als 30 Prozent. Wenn man dann einmal in einem Gewerbegebiet oder nahe einem Supermarkt ein paar Ladesäulen gefunden hat, liegt die Ladegeschwindigkeit oft unter schmalen 50 Kilowatt.

Die meisten Fahrer eines Elektroautos laden ohnehin zu Hause

Die meisten Fahrer eines Elektroautos laden aber ohnehin zu Hause. Die meisten öffentlichen Ladesäulen bieten das sogenannte Level-2-Nachtanken an, das oftmals nicht mehr als zehn Kilowatt bietet; bisweilen jedoch kostenlos ist. Ansonsten liegen die Kosten zwischen einem kanadischen Dollar (circa 0,68 Euro) pro Stunde und drei kanadischen Dollar pro Nachtanken. Oftmals befinden sich die Ladesäulen versteckt im Dunklen hinter Gebäuden und lassen sich mit Apps wie Plug Share and Charge Hub am einfachsten ausmachen.

Neben dem Tesla-Supercharger-Netz mit seinen rund 2000 Ladesteckern gibt es gemessen an der Größe des Landes bisher erst wenige Schnelllader und Hypercharger, die Elektromodelle mit mehr als 150 kW befüllen und das leere Akkupaket in 30 bis 40 Minuten wieder auf über 80 Prozent erstarken lassen. Knapp 5000 der 22.000 Ladepunkte sind aktuell Schnelllader, doch nur sehr wenige bieten mehr als 100 oder gar 150 kW. Die Kosten liegen durchschnittlich bei rund 15 kanadischen Dollar pro Stunde.

Seit Jahren baut etwa der Tankstellenbetreiber Petro Canada einen elektrischen Highway von Ost nach West an den Hauptverkehrsadern aus. Die Kosten liegen pauschal bei 0,50 Kanada-Dollar pro Minute. Bei den Schnellladern expandiert insbesondere der nationale Anbieter Flo, der mittlerweile mehr als 9100 Ladestationen in Betrieb hat. Vergangenes Jahr kamen 265 High-Speed-Lader hinzu; die meisten jedoch nur mit mehr als 100 kW. Die neuen Hypercharger bieten den Elektroautofahrern jedoch stattliche 320 kW und im nächsten Schritt sind 500 kW geplant.

Kaufverhalten: Traditionelle Modelle bleiben beliebt

Jetzt müssen nur noch die neuen Elektroautos und die Kunden mitspielen, denn viele haben mit Elektroautos noch nicht viel im Sinn. Das meistverkaufte Auto in Kanada ist der Honda Civic. Mehr als 14.000 verkaufte Fahrzeuge in der ersten Jahreshälfte mit einem Anstieg von 15 Prozent sind nur knapp mehr als die Nummer zwei Toyota Corolla. Mit deutlichem Abstand folgen Hyundai Elantra, Toyota Camry und mit dem wiedererstarkten VW Jetta erneut eine Limousine der unteren Mittelklasse. Bei den SUV liegt der Toyota RAV4 mit mehr als 42.000 verkauften Modellen vor dem Toyota CR-V und dem Nissan Roque. Gering ist das Interesse beispielsweise am neuen bz4x, dem Elektro-SUV von Toyota.

Und die Premiumhersteller wie Audi, BMW, Mercedes oder Volvo tun sich auf dem kanadischen Markt ohnehin eher schwer – nicht nur mit ihren Elektromodellen. Mehr und mehr Autos sind jedoch mit einem Mild-Hybrid-System unterwegs – was den Verbrauch in der Realität etwas drückt. Ein Volumenmodell wie der neue Mazda CX-70 liegt trotz leistungsstarkem Sechszylinder bei einem Realverbrauch von etwas mehr als 8,5 Litern. Da fällt angesichts der günstigen Benzinpreise der Umstieg ins Elektro- oder Plug-in-Lager schwer.

Am besten verkaufen sich ebenso wie in den USA Kanada-weit die großen Pick-Ups. Da Ford in der ersten Jahreshälfte 2024 keine Zahlen veröffentlicht hat, liegt der Chevrolet Silverado mit mehr als 58.000 Verkäufen zumindest offiziell auf Platz eins. Das sind doppelt so viele Verkäufe wie Ram von Dodge, die um 24 Prozent auf 31.000 Fahrzeuge fielen. Noch größer ist der Abstand zum Toyota Tundra, von dem in den ersten sechs Monaten des Jahres gerade einmal 6800 Modelle verkauft werden konnten. Bleibt abzuwarten, ob die neuen Fullsize-Pick-Ups von Ram, Chevrolet und Toyota mit elektrifizierten Antrieben den Kanadiern mehr Lust auf den Stecker machen. Bei einigen ist diese Lust bereits geweckt. Max Rastelli betreibt in Halifax, Nova Scotia eine Flotte von HFX e-Scootern und versorgt deren Akkupakete aus seinem Ford F-150 Lightning heraus. Langfristig sicher kein Einzelfall.

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Stefan Grundhoff

Stefan Grundhoff

Stefan Grundhoff ist Firmeninhaber und Geschäftsführer von press-inform und press-inform consult. Er ist seit frühester Kindheit ausgemachter Autofan. Die Begeisterung für den Journalismus kam etwas später, ist mittlerweile aber genau so tief verwurzelt. Nach Jahren des freien Journalismus gründete der Jurist 1994 das Pressebüro press-inform und 1998 die Beratungsfirma press-inform consult.

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Dieter schel:

Ja aber in der Realität haben die meisten Leute auch einfach keine Lust sich darüber Gedanken machen zu müssen wenn sie mal die 700 bis 1000 km in den mühsam angesparten Urlaub fahren

Gastschreiber:

Dann nehme ich Deine Zahlen auf, wie groß ist der Anteil der 39 Millionen, die in besagter Wallachei leben? Das Argument kommt mir ein bisschen realitätsfern vor, wie die 700 bis 1000km Dieselreichweitendiskussion hierzulande. In der Realität findet das meist so selten statt, dass man sich nicht vorstellen kann, Autos nach Reichweite auszuwählen.

Peter:

Ach was das hat nix mit einer Lobby zu tun, schau dir Deutschland an der VDA und die Müllers Hilde redet immer positiv über BEV.

Spiritogre:

150.000 von 39 Millionen spielen statistisch praktisch keine Rolle.

Kanada ist ein riesiges Flächenland mit harschen Wintern. Elektromobilität ist mehr oder minder gut in den Ballungsgebieten möglich, für den Rest des Landes aber praktisch aktuell nicht umsetzbar. Da zeichnet sich ein ähnliches Bild wie in Australien. Von Metropole zu Metropole kommt man ganz gut, will man aber einen kleinen Abstecher in die Wallachei machen ist man aufgeschmissen.

Ich hatte mal eine kanadische Bekannte, die in besagter Wallachei lebte, es dauerte etwa immer eine Woche bis die bestellte Zeitung ankam. Ein Hoch auf Satelliten-Internet!

Gastschreiber:

Welche Rolle es wohl spielen mag, dass in Kanada ca. 150.000 Menschen in der Ölförderung arbeiten und Kanada über 18% des Weltmarktes an Öl produziert?

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