Wie bidirektionale Elektroautos Wohnquartiere transformieren können

Cover Image for Wie bidirektionale Elektroautos Wohnquartiere transformieren können
Copyright ©

Shutterstock / 2238649587

Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 5 min  —  0 Kommentare

Die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrssektors und die steigende Zahl von Elektroautos auf den Straßen stellen das Stromnetz vor Herausforderungen. Sie bieten aber auch Chancen für die Netzstabilität, wenn das Batteriespeicherpotenzial von E-Autos während ihrer Ruhezeiten aktiv und netzdienlich genutzt wird. Die Studie „Power Transfer Vehicle-to-Home (V2H) – Einsatz extern geladener bidirektionaler Elektrofahrzeuge und Ladeinfrastruktur in Wohngebieten. Eine simulationsbasierte Potenzialanalyse“ (Link zum PDF) des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO analysiert umfassend die Anwendung von Vehicle-to-Home in gemeinschaftlich genutzten Parkhäusern und Tiefgaragen und zeigt regulatorische Möglichkeiten, wirtschaftliche Hürden und technische Herausforderungen auf. Einer grundsätzlich positiven Einstellung zur V2H-Nutzung stehen Bedenken hinsichtlich Batteriedegradation und Reichweitenangst gegenüber.

Jeder Pkw verbringt die meiste Zeit des Tages im Ruhezustand, und erfüllt dabei keinerlei Funktion. Anders sieht das bei Elektroautos aus. Hier kommt die bidirektionale Lademöglichkeit Vehicle-to-Home (V2H) ins Spiel, die insbesondere für Mehrfamilienhäuser mit gemeinsamem Netzanschluss und Tiefgarage relevant sein könnte.

Bei Vehicle-to-Home wird das Elektroauto nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern auch als mobile Energiequelle für das Haus genutzt. Das V2H-Konzept ermöglicht es, Energie aus den Batterien von E-Autos in das Haus zu leiten, um beispielsweise das gesamte Haus mit Strom zu versorgen. E-Autos können als Notstromversorgung dienen, wenn der Energiebedarf im Haus besonders hoch ist oder das Stromnetz ausfällt.

Gleichzeitig kann gezielt überschüssige und klimafreundliche Energie aus erneuerbaren Quellen, die das Fahrzeug durch externe Ladevorgänge aufnimmt, bei Lastspitzen in das Haus zurückgespeist werden – was bislang vor allem Gas- und Kohlekraftwerke übernehmen. Die Effizienz von V2H kann durch die Integration einer PV-Anlage und zusätzlicher kleiner stationärer Energiespeicher weiter gesteigert werden. So kann tagsüber kostengünstig Strom erzeugt werden, der abends genutzt werden kann.

Fahrzeuge mit externer Lademöglichkeit könnten durch die Rückspeisung auch höhere Ladeleistungen anderer Fahrzeuge im Quartier ausgleichen. Die Umsetzung dieses Energietransfers erscheint technisch machbar und praktikabel, da der Energiebedarf für typische Fahrten unter den verfügbaren Batteriekapazitäten liegt, die Pendler üblicherweise benötigen, so das Fraunhofer IAO. Im Vergleich zu V2G-Anwendungen, bei denen Strom aus den Batterien von Elektroautos in das öffentliche Stromnetz zurückgespeist wird, könne hier eine größere Energiemenge übertragen werden, ohne in das öffentliche Stromnetz eingespeist zu werden.

Die Integration von V2H in Wohnquartiere bietet Potenziale zur Spitzenlastunterstützung und zur Nutzung überschüssiger PV-Energie, wodurch Wohnquartiere effizienter mit Strom versorgt werden können. Die Fraunhofer-Studie will zeigen, wie die Potenziale genau aussehen und welche Hürden zu überwinden sind.

Rechtliche Rahmenbedingungen unproblematisch, wirtschaftliche Hürden bleiben bestehen

Unsere Analysen zeigen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen derzeit kein Hindernis für den Einsatz von V2H darstellen. Wirtschaftliche Hürden sind jedoch noch zu überwinden, insbesondere im Bereich der Tarifmodelle für die Energieversorgung und die Kommunikationsinfrastruktur. Ein Hindernis, das wir für eine breite Einführung identifiziert haben, ist die Ungleichbehandlung von bidirektionalen Elektrofahrzeugen im Vergleich zu stationären Batteriespeichern bei der Strombesteuerung“, sagt Andre Leippi, Wissenschaftler im Team Energy Innovation am Fraunhofer IAO und Co-Autor der Studie.

Obwohl es Ankündigungen zu bidirektionalen Fahrzeugen und Ladeinfrastruktur gibt, ist die tatsächliche Produktion von serienreifen Modellen noch sehr begrenzt. Optimierungsbedarf sehen die in der Studie befragten Expertinnen und Experten bei den aktuellen Anreizen und Rahmenbedingungen für die Einführung von V2X-Systemen im Allgemeinen. V2X steht für Vehicle-to-Everything und fasst alle Systeme zusammen, bei denen Fahrzeuge mit Objekten in ihrer Umgebung kommunizieren oder zusammenspielen.

Der wirtschaftliche Aspekt richtet sich vor allem an die Netzbetreiber. Um einen höheren Nutzen zu erzielen, seien insbesondere Veränderungen in den Betreiberstrukturen des Strommarktes notwendig. Der Zugang zu flexiblen Tarifen und Preisstrukturen müsse grundsätzlich ermöglicht werden, so das Fraunhofer IAO in seiner Mitteilung.

V2H in Kombination mit Photovoltaik nutzen, um das volle Potenzial auszuschöpfen

Wie sieht es mit der Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer aus? Die Analyse zeigt, dass positive Aussagen zu V2X mit höherem Einkommen korrelieren: Das Einkommen erweise sich als entscheidender Faktor für die Aufgeschlossenheit gegenüber Elektromobilität und damit verbundenen innovativen Konzepten. Ein zentrales Nutzenversprechen von V2H ist die Optimierung der Haushaltsstromkosten. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass V2H-Anwendungen idealerweise in Kombination mit PV betrieben werden sollten, um das volle Potenzial auszuschöpfen.

Trotz der allgemein positiven Einstellung gegenüber V2X-Technologien bestehen wirtschaftliche Bedenken, insbesondere in Bezug auf die Degradation von Elektroautobatterien. Eine weitere wichtige Hürde bleibe die Reichweitenangst. Sie könnte potenzielle Nutzerinnen und Nutzer davon abhalten, sich für Elektroautos zu entscheiden und damit an V2X-Anwendungen teilzunehmen.

Wirtschaftlichkeitsanalyse von V2H-Anwendungen: Preisschwelle und Batteriekapazität als entscheidende Faktoren

Die Simulationsergebnisse der Potenzialanalyse liefern wertvolle Einblicke in die Wirtschaftlichkeit von V2H-Anwendungen und die Integration von Elektroautos als temporäre Batteriespeicher in Wohnquartieren. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit von V2H ist die Preisdifferenz zwischen dem Laden zu Hause und am Arbeitsplatz, wobei eine Preisschwelle von 5 bis 10 Cent je kWh identifiziert wurde, ab der V2H unter der Annahme einer Investition in die notwendige bidirektionale Ladeinfrastruktur wirtschaftlich ist. Größere E-Auto-Modelle weisen aufgrund ihrer höheren Batteriekapazität und Reichweite eine höhere Wirtschaftlichkeit auf als kleinere Modelle.

Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass der Betrieb eines Batteriespeichers unter den angenommenen Bedingungen nicht wirtschaftlich ist, da Elektroautos Batteriespeicher effektiv ersetzen können, so das Fraunhofer IAO. Die Integration von PV-Systemen in V2H-Umgebungen zeigt Synergiepotenziale, wobei eine effiziente Auslegung der PV-Systeme die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der V2H-Systeme maßgeblich beeinflusst.

Langfristig Infrastruktur- und Energiekosten senken

Im Ausblick auf zukünftige Entwicklungen rücke die Netzintegration des bidirektionalen Ladens in den Fokus, insbesondere hinsichtlich seines Potenzials zur Stabilisierung des Stromnetzes aus Sicht der Netzbetreiber. Die Flexibilität des bidirektionalen Ladens könnte dazu beitragen, Systemdienstleistungen effizienter zu erbringen und langfristig Infrastruktur- und Energiekosten zu senken.

Eine zentrale Herausforderung werde die Integration von bidirektionalem Laden in lokale Lastprognosen sein, um den steigenden Bedarf durch die zunehmende Verbreitung von Elektroautos zu antizipieren. Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung/Implementierung sei neben den rechtlichen Rahmenbedingungen die Gestaltung von ökologischen und ökonomischen Geschäftsmodellen, um die Akzeptanz und Rentabilität von bidirektionalem Laden zu fördern.

Quelle: Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO – Pressemitteilung vom 27.03.2024

worthy pixel img
Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

Artikel teilen:

Kommentare (Wird geladen...)

Ähnliche Artikel

Cover Image for Der neue Renault Twingo Electric: Kompakt, bunt, elektrisch

Der neue Renault Twingo Electric: Kompakt, bunt, elektrisch

Stefan Grundhoff  —  

Renault belebt den Twingo neu: Der Kult-Kleinwagen fährt vollelektrisch vor, mit Retrodesign, 260 Kilometern Reichweite und einem Preis unter 20.000 Euro.

Cover Image for Wasserstoff: Absatz von Brennstoffzellenfahrzeugen bricht weiter ein

Wasserstoff: Absatz von Brennstoffzellenfahrzeugen bricht weiter ein

Michael Neißendorfer  —  

Der globale Markt für Wasserstoff-Fahrzeuge schrumpft deutlich gegenüber dem Vorjahr – und würde noch drastischer schrumpfen, gäbe es Südkorea nicht.

Cover Image for Pendeln mit dem E-Auto: Daheim-Lader zahlen 70 Prozent weniger für Treibstoff als Verbrenner-Fahrer

Pendeln mit dem E-Auto: Daheim-Lader zahlen 70 Prozent weniger für Treibstoff als Verbrenner-Fahrer

Michael Neißendorfer  —  

Bis zu 70 Prozent weniger an Antriebskosten als für einen Verbrenner zahlen Pendler mit einem Elektroauto. Sehr viele laden sogar kostenlos.

Cover Image for Cupra erzielt weiteren Auslieferungsrekord, Seat schwächelt

Cupra erzielt weiteren Auslieferungsrekord, Seat schwächelt

Michael Neißendorfer  —  

Während Seat zum Vorjahr um 20 Prozent eingebüßt hat, setzt Cupra seinen beeindruckenden Wachstumskurs fort – danke E-Autos und Plug-in-Hybriden.

Cover Image for Lucid kämpft mit Lieferengpässen und Kosten

Lucid kämpft mit Lieferengpässen und Kosten

Sebastian Henßler  —  

Lucid senkt die Produktionsprognose für 2025 und kämpft mit Lieferengpässen, höheren Kosten und verzögerter Fertigung bei den Modellen Air und Gravity.

Cover Image for Bidirektionales Laden: TÜV-Verband drängt auf mehr Tempo bei V2G und V2H

Bidirektionales Laden: TÜV-Verband drängt auf mehr Tempo bei V2G und V2H

Michael Neißendorfer  —  

Die Technologie ist bereit, so der Prüfverband. Jetzt müssen die politischen Weichen gestellt werden, damit bidirektionales Laden die Endkunden erreicht.