Rivian hat bei der Vorstellung seiner Quartalszahlen nicht nur Einblicke in aktuelle Geschäftszahlen gegeben, sondern auch einen umfassenden Ausblick gewährt auf die mittelfristige Strategie rund um das neue Mittelklassemodell R2, die Autonomieplattform und das Joint Venture mit Volkswagen. CEO RJ Scaringe sprach von einem „unglaublichen Produkt-Markt-Fit“ beim R2. Der Start der Serienfertigung rückt näher – aktuell befinden sich die ersten Vorserienfahrzeuge auf der Pilotlinie, die Qualität und Softwarestabilität seien laut Scaringe bereits auf hohem Niveau.
Mit dem R2 will Rivian den entscheidenden Schritt in Richtung Skalierung machen. Laut Scaringe liegt der Materialkostenanteil – also die Einkaufskosten der Komponenten – rund 50 Prozent geringer als beim R1. Diese Einsparung sei nicht nur geplant, sondern bereits durch vertraglich festgelegte Lieferantenpreise gesichert. Auch die Montage sei stark vereinfacht worden, unter anderem durch eine reduzierte Verkabelung, weniger Bauteile und optimierte Fertigungsprozesse. Javier Varela, Chief Operations Officer, betonte: „Der R2 ist zu 100 Prozent eingekauft. Die Preise stehen fest, die Einsparung ist real.“
Doch nicht nur in der Fertigung setzt Rivian auf Effizienz. Die Autonomieplattform wird als Schlüsseltechnologie für künftige Geschäftsmodelle betrachtet. Scaringe kündigte einen „Autonomy & AI Day“ im Dezember an. Bereits heute sei der Datenrückfluss durch das eigene Sensornetzwerk enorm und bilde die Grundlage für das Training des „Rivian Large Driving Model“. Die neue Fahrzeuggeneration R1 mit 55 Megapixeln Kameraleistung (beim R2: 65 Megapixel) bilde hier die Datengrundlage. Bis 2026 will Rivian teilautonome Funktionen wie „hands off, eyes off“ umsetzen – also echtes freihändiges Fahren unter bestimmten Bedingungen.
Zusammenarbeit mit VW gewinnt an Bedeutung
Auch in der Zusammenarbeit mit Volkswagen sieht Rivian ein großes Potenzial: Rund 188 Millionen Euro Umsatz stammen im zweiten Quartal bereits aus dem Joint Venture für Software und elektrische Hardware. Insgesamt erzielte Rivian im zweiten Quartal einen Umsatz von rund 1,12 Milliarden Euro, davon circa 800 Millionen Euro durch den Fahrzeugverkauf. Die Bruttomarge lag mit negativen 177 Millionen Euro jedoch weiterhin deutlich im Minus. Die operative EBITDA-Verlustspanne lag bei 573 Millionen Euro, die Verluste sollen sich für das Gesamtjahr auf 1,72 bis 1,94 Milliarden Euro summieren. Der Autoabsatz sank auf 5979 produzierte und 10.661 ausgelieferte Fahrzeuge, was unter anderem mit Lieferkettenproblemen begründet wurde.
Für das Gesamtjahr hält Rivian an seinem Ziel fest, 40.000 bis 46.000 Fahrzeuge auszuliefern. Allerdings wirken sich Änderungen bei US-Steuervorteilen, neuen Zöllen und regulatorischen Gutschriften negativ auf die Finanzplanung aus. So erwartet Rivian aus dem Verkauf von Emissionsgutschriften nur noch rund 138 Millionen Euro – zuvor waren es 258 Millionen Euro. Die entgangenen Einnahmen und steigende Kosten durch neue Zölle (rund 1700 Euro je Fahrzeug) drücken auch die EBITDA-Prognose. Dennoch hält Rivian am Ziel fest, 2027 operativ profitabel zu arbeiten.
Besonders positiv hob Scaringe die Marktstellung des R1 hervor. In Kalifornien und dem Bundesstaat Washington sei das R1S das meistverkaufte Premium-SUV – unabhängig vom Antrieb. Auch in der Preisklasse über 60.000 Euro sei Rivian bei Elektro-SUVs in den USA Marktführer. Mit dem neuen R2, der ab rund 38.600 Euro starten soll, will Rivian nun auch die Mitte des Markts adressieren. Varianten mit höherer Ausstattung könnten im Bereich von 46.000 bis 52.000 Euro liegen, so Scaringe. Das Fahrzeug sei für Kunden gedacht, „die bisher keinen Zugang zu einem E-SUV in dieser Preisklasse hatten.“
Mikromobilität, Skalierung der Produktion sowie E-Lieferwagen im Fokus
Neben der eigenen Produktentwicklung setzt Rivian auch auf neue Geschäftsfelder. Der ehemalige „Skunk Works“-Bereich für Mikromobilität wurde als eigenständiges Unternehmen „Also Inc.“ ausgegründet. Rivian hält daran knapp unter 50 Prozent der Anteile. Auch die Vermarktung gebrauchter Fahrzeuge, der Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie Versicherung und Finanzierung tragen zunehmend zum Umsatz bei.
Für das Jahr 2026 erwartet Rivian erstmals ein positives Ergebnis auf Fahrzeugebene beim R2 – also eine positive Bruttomarge. Die Anlaufphase profitiert davon, dass viele Fixkosten der Fabrik in Normal bereits durch R1 und die Lieferwagen mit Amazon ausgelastet sind. Die künftige R2-Produktion in Georgia, finanziert durch einen 5,7 Milliarden Euro schweren Kredit des Energieministeriums, startet 2026 mit dem Hochbau. Im ersten Schritt sind dort rund 200.000 Einheiten Kapazität geplant.
Auch im gewerblichen Bereich sieht Scaringe Wachstumspotenzial. Der Lieferwagen für Amazon habe sich zur „besten Plattform für Logistik und Zustellung“ entwickelt. Man gehe davon aus, dass mit wachsender Elektrifizierung auch andere Flottenkunden auf Rivian zukommen werden. Scaringes Fazit: „Wir wollen nicht nur Marktführer bei E-Autos werden – wir wollen das beste SUV im Segment von 40.000 bis 50.000 Dollar bauen. Nicht nur unter den Elektroautos, sondern unter allen.“
Quelle: Eletric-Vehicles.com – Rivian Q2 Earnings Call: Full Transcript