Polestar-Rat Neumann: „Deutschland ist zu langsam“

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Polestar

Beatrice Bohlig
Beatrice Bohlig
  —  Lesedauer 4 min

In der Automotive-Industrie gilt Karl-Thomas Neumann, 63, als einer der profundesten Kenner des Bits-und-Bytes-Geschäfts weltweit – sowie als langjähriger Experte für E-Mobilität. Der Hintergrund für sein internationales Renommee in der IT- und Stromer-Szene: Nach seinem beruflichen Einstieg bei Motorola wechselte „KTN“, wie ihn manche Weggefährten nennen, zu VW in Wolfsburg, wo er bis zum Leiter der konzernweiten Elektronikstrategie aufstieg.

Nach einem Ruf von Continental aus Hannover heuerte der promovierte Ingenieur Neumann beim Tier-1-Zulieferer an, den er später als Vorstandsvorsitzender führte. Es folgte eine zweite Amtsphase bei VW, wo er schließlich mit China den größten Einzelmarkt verantwortete.

Von 2013 bis 2017 war „KTN“ Chef von Opel. Im Amt als Opel-Kapitän wiederum folgte ihm Michael Lohscheller, der heute CEO von Polestar ist. Und im Aufsichtsrat dieses Gemeinschaftsunternehmens von Volvo und Geely hat Neumann Sitz und Stimme.

Elektroauto-News hatte die Gelegenheit, Neumann beim „FAT Ice Race“ im österreichischen Zell am See vor der Kamera zu interviewen. Polestar sponsert das Action-Event. Wie übrigens auch Porsche. Neumann sprach Klartext mit Beatrice Bohlig und Henning Krogh vom Hamburger Redaktionskontor BeHonest, die als freie Autoren für Elektroauto-News tätig sind.

Unverhohlen und frei heraus äußerte sich Neumann dabei. Ein Beispiel: Zu den bisweilen fast schon desperat anmutenden Bemühungen vieler deutscher Autobauer um die Entwicklung eigener Software-Lösungen sagte er: „Der Zug ist abgefahren“China sei hier „weiter, schneller, agiler“. Deutschland laufe hinterher. Zudem komme im Reich der Mitte die gemeinsame Arbeit an einer industriellen Standardlösung deutlich besser voran.

Für das stockende Ausrollen der E-Mobilität ausgerechnet auf dem deutschen Markt, während E-Autos woanders deutlich beliebter sind, sieht Neumann mehrere Ursachen. Darunter den Umstand, dass bisher nicht allzu viele Marken dem klaren Weg der reinen Stromfahrt folgen. Polestar hingegen stehe in erster Linie für „Elektro“, betont Neuman. Aber eben auch für „Design und Performance“. Das komplette Video von knapp zweieinhalb Minuten Länge seht und hört Ihr hier:


„Der Zug ist abgefahren“ – Polestar-Aufsichtsrat Neumann über Deutschlands Fehler in der Software-Entwicklung

Henning Krogh: Karl-Thomas, Du hast als Führungskraft unter anderem eine Vergangenheit im VW-Konzern. Du warst Chef des Fahrzeugzulieferers Continental. Du warst Chef des Autobauers Opel. Jetzt bist du unter anderem Mitglied im Aufsichtsrat von Polestar. Wofür steht Polestar? Wofür steht die Marke?

Karl-Thomas Neumann: Ich glaube, es ist eine ganz tolle Marke, die in erster Linie natürlich für Elektro steht, die für Design steht, aber – und deshalb sind wir hier bei dem FAT Ice Race –, sie steht auch für Performance. Die Autos machen Spaß, die Autos haben Leistung und die Fahrwerksentwicklung aus dem Hause Polestar, die haben wirklich Kompetenz.

Die Autos von Polestar fahren rein elektrisch mit Strom. Das Ausrollen der Elektromobilität auf dem deutschen Markt ist ins Stocken gekommen. Woran liegt das?

Das ist sicher eine komplexe Geschichte. Ich bin nach wie vor fest überzeugt, die Zukunft ist elektrisch. Es geht in Deutschland zu langsam. Sicher hat das nicht geholfen, dass die Incentives so plötzlich abgeschaltet wurden. Aber ich glaube, das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, dass wir noch nicht genug positive Stimmungen über das Elektroauto haben, dass noch nicht genug Menschen das erlebt haben, dass es nicht genug Marken wie Polestar gibt, die wirklich einen klaren Weg gehen und dass noch viel zu viel dieses Entweder-Oder und Aber diskutiert wird. Hier sieht man, hier leben Verbrenner und Elektroautos friedlich zusammen. Es ist eine Welt, ein autobegeisterter Mensch kann auch ein Elektroauto fahren. Er wird nichts entbehren.

Ob Verbrenner, Hybrid oder Elektroauto. Ein Schlüssel zur Zukunft des Automobils liegt fraglos in der Software. Hat uns China, mit uns meine ich die deutsche Industrie, hier schon den Rang abgelaufen? Können wir den Rückstand noch aufholen?

Also das ist eine Frage, die mich auch sehr umtreibt, weil, dass wir zu einer Softwareindustrie geworden sind, wirklich vieles verändert hat. Das bringt die Zulieferer in Schwierigkeiten, für die Automobilhersteller ist es super schwierig. Und tatsächlich hat China ja auch einen Start mit einem relativ weißen Blatt von Papier gehabt und die sind weiter, die sind schneller, die sind agiler und wir laufen da hinterher. Was mir gar nicht gefällt, ist, dass alle deutschen Automobilhersteller versuchen, ihre eigene Software zu entwickeln, ihre eigenen Lösungen. Der Zug ist abgefahren. Wir brauchen Industriestandardlösungen und die Chinesen setzen da viel mehr auf eine gemeinsame Basis.

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Beatrice Bohlig

Beatrice Bohlig

Beatrice Bohlig ist Diplom-Kauffrau und beschäftigt sich mit Themen rund um Mobilität, Innenarchitektur und Mode. Die gebürtige Schwäbin hat lange im Raum München gearbeitet und lebt jetzt in Hamburg. Als Freie Autorin ist sie spezialisiert auf redaktionelle Beiträge – vorzugsweise mit einer emotionalen Note – für Social Media.
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Spiritogre:

Oder Polestar ist einfach zu teuer und die deutschen sind nicht blöde genug chinesische Produkte zum Luxuspreis zu kaufen aber natürlich haben immer die anderen Schuld, wenn was nicht läuft, da sind Firmen Weltmeister drin.

Sledge:

Der Zug ist abgefahren. Das bringt die Situation der europäischen Automobilindustrie auf den Punkt. Wir haben es weder geschafft eine europäische Batterieproduktion zu etablieren, noch haben wir es im Bereich der Software geschafft zu den Marktführern aufzuschließen.
Und von autonomem fahren war noch gar nicht die Rede.

Die europäische Automobilindustrie wird wohl den Weg der Unterhaltungselektronik und der Mobilfunkindustrie gehen. Und die Politik, in ihrem vermeintlichen Bemühen der Automobilindustrie zu helfen, wird den Untergang sogar noch beschleunigen.

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