Der Nissan Micra ist zurück – nach mehr als 40 Jahren Geschichte und über sechs Millionen verkauften Einheiten nun erstmals als reines Elektroauto. Dabei soll es auch bleiben, wenn es nach Alexandre Armada, Regional Product Planning Manager des Nissan Micra, geht. „Es gibt keinen Plan für eine Verbrennervariante auf dieser Plattform. Der Micra bleibt voll elektrisch, das ist entschieden“.
In und um Rotterdam konnte ich beim Nissan-Fahrevent der sechste Generation des Micran, diesen fahren und erleben, wie sich der Kleinwagen im Alltag schlägt. Mit einer Mischung aus Stadtverkehr, Landstraße und Autobahn ergab sich am Ende ein Durchschnittsverbrauch von 14,4 kWh pro 100 Kilometer, womit realistische Reichweiten von um die 350 Kilometern möglich sind – zumindest bei der großen Batterievariante. Damit liegt der Micra durchaus im Bereich der Erwartungen, die Nissan mit den beiden Batterievarianten von 40 und 52 kWh weckt, da man sich recht nah an den Daten aus den technischen Datenblättern bewegt.
Nissan Micra gegenüber Renault R5: Eigenständigkeit trotz Plattformnähe
Im Anschluss an die ersten Fahreindrücke in und um Rotterdam, auf die wir noch eingehen, ergab sich die Gelegenheit, mit mehreren Verantwortlichen von Nissan ins Gespräch zu kommen. Dabei wurde deutlich, dass der Micra in seiner sechsten Generation mehr sein soll als nur ein technischer Zwilling des Renault R5, mit dem er sich die AmpR-Small-Plattform teilt. „Es gibt natürlich viele Gemeinsamkeiten bei Motorisierung, Batterie und Fahrwerk“, hieß es seitens des Produktteams, „aber wir wollten dem Micra eine klar erkennbare Eigenständigkeit geben.“
Der eigenständige Auftritt des Micra zeigt sich nicht nur in den großen Linien, sondern auch in vielen feinen Details. Schon auf den ersten Blick ist klar: Mit dem Renault R5 teilt er sich zwar Plattform und Technik, optisch aber wollte Nissan bewusst einen anderen Weg gehen. „Nur Dach und Fenster sind geblieben, der Rest wurde komplett neu gestaltet“, betonte Regional Product Planning Manager Armada. Das Team hatte sich zum Ziel gesetzt, dem Micra einen robusteren, fast SUV-artigen Auftritt zu verleihen, der dennoch die europäische Designhandschrift erkennen lässt. So ist die sogenannte „Ice Cream Scoop“-Linie entstanden – eine sanfte Einprägung entlang der Karosserie, die sich von den Scheinwerfern bis zu den hinteren Türen zieht. Diese Kontur erinnert an die Spur eines Eisportionierers, der über eine Oberfläche fährt, und verleiht dem Kleinwagen zusätzliche Dynamik.
Auch die Proportionen tragen ihren Teil dazu bei. Serienmäßig rollt der Micra auf 18-Zoll-Rädern, die je nach Ausstattung entweder als Radkappen oder Leichtmetallfelgen ausgeführt sind. Durch die dunklen Radlaufverkleidungen wirken sie noch größer, was den breiten und stabilen Stand betont. „Jedes Plastikelement haben wir bewusst mit einem glänzenden Finish versehen, um ein hochwertiges Erscheinungsbild zu schaffen“, erläuterte Armada. Marketing-Managerin Camila Ciordia brachte die Positionierung auf den Punkt: „Wir sprechen beim Micra bewusst von einem Audacious Compact EV. Er ist kein kleines Auto, sondern ein frech-kompakter Auftritt, der Spaß machen soll.“
Dieses Selbstverständnis prägt auch die Lichtgestaltung. Die markante Signatur der Frontscheinwerfer ist eine moderne Neuinterpretation früherer Generationen, während die Rückleuchten mit ihrem schlichten, aber kunstvoll gezeichneten LED-Design eher zurückhaltend wirken und so einen klaren Kontrast setzen. Beim Entriegeln begrüßt das Auto seine Nutzer:innen mit einem pulsierenden „Willkommensblinken“ der Frontscheinwerfer – ein kleines Detail, das die emotionale Verbindung zum Auto verstärken soll. Giovanny Arroba, Vice President Nissan Design Europe, fasste die Leitidee so zusammen: „Das Design der sechsten Generation des Nissan Micra feiert all jene Werte, die das Modell so beliebt gemacht haben – und schlägt zugleich ein neues Kapitel für den Micra als Elektrofahrzeug auf.“
Wer die Türen öffnet, erlebt dann eine zweite Ebene, die deutlich macht, wie eng Eigenständigkeit und Konzern-Synergien miteinander verwoben sind. Auf den ersten Blick prägen zwei Displays das Cockpit – je nach Ausstattung bis zu 10,1 Zoll groß – ergänzt um klassische Bedienelemente für die Klimafunktion. Diese Mischung wirkt vertraut und modern zugleich. „Das ist der erste Micra mit voller Google-Built-in-Integration“, erklärte Sanjeev Singanellore, verantwortlich für Connected Services bei Nissan. „Google Maps berücksichtigt den Ladezustand, wählt automatisch die beste Route und konditioniert die Batterie für schnelleres Laden.“ Diese Tiefenintegration ist in den ersten fünf Jahren kostenlos, erst danach sollen Gebühren anfallen, deren Höhe Nissan bislang noch nicht kommuniziert hat. Damit positioniert sich der Micra im Bereich der Konnektivität klar auf Augenhöhe mit größeren Klassen.
Trotz dieser technischen Eigenständigkeit ist die Nähe zum Renault R5 im Innenraum unübersehbar. Architektur, Bedienelemente und Anmutung gleichen sich weitgehend, Unterschiede liegen eher in Details: So zeigt sich die Benutzeroberfläche im Micra aufgeräumter, mit reduzierter Informationsdichte und klareren Anzeigen. Während sich der Micra außen bewusst abgrenzt, nähert er sich innen stark an. Das wirkt logisch, schließlich sollen die Synergien der gemeinsamen Plattform auch wirtschaftlich genutzt werden.

Eigenständige Akzente setzt Nissan dennoch. In der Topausstattung Evolve ist ein Harman-Kardon-Soundsystem mit neun Lautsprechern serienmäßig verbaut – ein Alleinstellungsmerkmal im Segment. Hinzu kommen kleine, fast versteckte Designideen wie die in den Stauraum eingeprägte Silhouette des Mount Fuji oder die bewusst abgeschrägte Kante des Handschuhfachs, die zusätzlichen Raum für die Knie schafft.
Während die Vordersitze großzügigen Platz bieten, bleibt es im Fond eng, was im Alltag die Hauptschwäche darstellt. Der Kofferraum ist mit 326 Litern ordentlich dimensioniert, unter dem Ladeboden findet unter anderem der serienmäßige V2L-Adapter für bidirektionales Laden Platz, mit dem sich unterwegs externe Geräte betreiben lassen. „Damit können Kund:innen beispielsweise ein Paddelboard aufpumpen oder einen Laptop anschließen“, erläuterte Armada.
Fahreindrücke des Nissan Micra zwischen Wendigkeit und Stabilität
Bevor es um die konkreten Fahreindrücke geht, ist ein Blick auf die gewählte Route hilfreich. Nissan hatte für das Event in Rotterdam eine Strecke zusammengestellt, die bewusst verschiedene Alltagsszenarien abdeckte. Der Start erfolgte im Stadtzentrum, wo dichter Verkehr, viele Ampeln und enge Straßen den Micra im Stop-and-Go forderten. Von dort führte der Weg über die Ausfallstraßen hinaus auf die Autobahn in Richtung Den Haag, ergänzt durch ein Stück Landstraße mit sanftem Höhenprofil – eher ungewöhnlich für die Region, aber passend, um auch das Fahrwerk auf wechselndem Untergrund zu erproben. So entstand ein abwechslungsreiches Bild aus urbanen Passagen, längeren, gleichmäßigen Abschnitten sowie Zwischenstücken mit leicht kurviger Charakteristik. Über die gesamte Route hinweg lag die Geschwindigkeit meist zwischen 50 und 100 km/h, nur in kurzen Sprints darüber hinaus, sodass sich der Micra überwiegend in dem Bereich bewegte, für den er auch konzipiert ist.
Auf der Straße präsentierte sich der Micra vielseitig. Im Stadtverkehr wirkte er ausgesprochen wendig, die Lenkung leichtgängig und dennoch präzise. Gerade im dichten Verkehr überzeugte die enge Wendigkeit, wobei die Rekuperation über Schaltwippen in drei Stufen angepasst werden konnte. Zusätzlich steht das e-Pedal zur Verfügung, mit dem sich der Wagen fast vollständig mit nur einem Pedal fahren lässt – bis zum Stillstand. Allerdings bleibt der Modus nach dem Neustart nicht aktiv, was im Alltag etwas umständlich wirkt. Dennoch ist man dem Renault R5 hier um drei Rekuperationslängen voraus.

Auf den Autobahnabschnitten, die überwiegend bei rund 100 km/h gefahren wurden, zeigte sich der Micra stabil und souverän, auch bei starkem Seitenwind. Windgeräusche blieben auf einem vertretbaren Niveau. Hier machte sich das Multi-Link-Fahrwerk positiv bemerkbar, das in dieser Klasse nicht selbstverständlich ist. Es sorgt für eine gute Balance zwischen Komfort und Fahrdynamik. Auf der Landstraße wiederum kam die straffe Abstimmung deutlicher zur Geltung: In der Stadt wirkte sie stellenweise hart, auf freierer Strecke spielte sie ihre Stärken aus, da das Auto satt auf der Straße lag und sich präzise durch Kurven steuern ließ.

Gefahren wurde die Variante mit der größeren 52-kWh-Batterie und einer Leistung von 110 kW. Damit beschleunigt der Micra in rund acht Sekunden auf 100 km/h, was für Überholmanöver und kurze Zwischensprints vollkommen ausreichend ist. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 150 km/h, im Rahmen der Testfahrt war der Wagen jedoch bis auf kurze Beschleunigungsphasen fast ausschließlich im Bereich bis 100 km/h unterwegs – ein praxisnaher Wert, der auch den realistischen Einsatz im Alltag widerspiegelt. „Es ist eine Balance aus Komfort und Dynamik, die wir in dieser Klasse sonst selten sehen“, erläuterte Armada.
Negativ fiel das Fehlen eines Frunks auf, wodurch das Ladekabel im Kofferraum verstaut werden muss. Zudem sind die Platzverhältnisse im Fond sehr beengt. Auch die auffällig lauten Blinkergeräusche störten den ansonsten soliden Eindruck. Der Verbrauch pendelte sich bei 14,4 kWh pro 100 Kilometer ein – ein Wert, der im Zusammenspiel mit der 52-kWh-Batterie Reichweiten um 350 Kilometer realistisch erscheinen lässt.
Zur Auswahl stehen zwei Batteriegrößen, die auch die Motorisierung vorgeben: Die Einstiegsvariante mit 40 kWh kombiniert eine Leistung von 90 kW mit einer Reichweite von bis zu 317 Kilometern nach WLTP. Darüber rangiert die Version mit 52 kWh, die 110 kW leistet und bis zu 416 Kilometer ermöglicht, ebenfalls nach WLTP. Beide Varianten laden serienmäßig mit 11 kW AC, was eine vollständige Ladung in rund viereinhalb Stunden erlaubt. Am Schnelllader sind es je nach Batteriegröße 80 oder 100 kW – genug, um den Akkustand von 15 auf 80 Prozent in etwa 30 Minuten zu bringen.
Marktstart in Deutschland – Fokus auf Bestandskunden
Das Angebot in Deutschland gliedert sich in drei Ausstattungslinien. Engage startet bei 27.990 Euro und bringt unter anderem LED-Scheinwerfer, ein 10,1-Zoll-Infotainmentsystem, kabelloses Apple CarPlay und Android Auto sowie grundlegende Assistenzsysteme mit. Advance, ab 29.990 Euro, ergänzt One-Pedal-Stop bis zum Stillstand, größere Displays, die volle Google-Integration und eine erweiterte Sicherheitsausstattung. Evolve bildet mit 34.900 Euro die Spitze: Neben einem Harman-Kardon-Soundsystem, Sitz- und Lenkradheizung sowie Zweifarbenlackierungen gehören auch ProPilot Assist und eine Ambientebeleuchtung zur Serie. Unter dem Strich lässt Nissan damit nur wenig Raum für optionale Extras – fast alles ist bereits in den Paketen gebündelt. Eine besonders sportliche Nissimo-Variante sei derzeit nicht in OPLanung.
Für Deutschland sieht Nissan den Micra vor allem als Auto für bestehende Kunden. Die letzte Verbrennergeneration erreichte rund 10.000 Einheiten jährlich, in dieser Größenordnung könnte auch das neue Modell landen – mit Abzug für Wegfall fehlender Umsteigebereitschaft von Verbrenner zu E-Auto – wie Elektroauto-News vermutet. „Mit einer Leasingrate ab 189 Euro im Monat wollen wir vor allem bestehende Micra-Kunden ansprechen. Neue Kundengruppen zu erschließen ist nicht unser Hauptziel“, so ein Sprecher. Bestellstart war der gestrige Montag, die ersten Auslieferungen sind für Anfang 2026 angekündigt.
Disclaimer: Nissan hat zum Kennenlernen des Micra nach Rotterdam eingeladen. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.