Wenn es für die Marke Nissan einen großen Botschafter gibt – dann ist es ausgerechnet der kleine Micra. Auch wenn er im ersten Jahr seiner langen Karriere noch unter Datsun firmierte, hat er es seit 1983 in fünf Generationen auf mehr als sieben Millionen Exemplare geschafft – knapp 700.000 allein in Deutschland. Er gab sich mal kantig, mal knuffig, mal weltläufig und dabei stets irgendwie pfiffig. Brachte erst die Drei-Stufen-Automatik ins Kleinwagen-Segment, später das CVT-Getriebe und errang 1993 als erstes japanisches Auto überhaupt die Auszeichnung „Car of the Year“.
Ende dieses Jahres wird aus dem Wandel ein Wechsel: Nach fast drei Jahren, in denen es still war um die Kleinwagen-Ikone, wird die nunmehr sechste Auflage rein elektrisch und voll vernetzt ins B-Segment rollen. Bei Nissan gilt das als nächste Phase einer großen Stromer-Offensive: Bis 2027 sind außer dem Micra der neue Leaf, der Juke und ein neues Modell für das A-Segment angekündigt. Entsprechend europäisch haben sie den Vier-Meter-Flitzer im Designzentrum London gezeichnet: Die Nase stolz vorgereckt, die Achsen auf 2,54 Meter gespreizt, die 18-Zöller für den wuchtigen Auftritt weit in den Ecken. Dazu schwarze Beplankung und Luft nach unten für den Hauch von SUV.
Wer sucht, kann optische Anleihen finden. Vorne beim Fiat 600 Elektro, hinten beim Renault 5 E-Tech, auf dessen Plattform der Micra auch steht. Seitlich indes haben die Designer mit dem „Ice Cream Scoop“ einen höchst eigenständigen Akzent gesetzt – eine Linie, die sich wie mit einem Eisdipper gezogen von der Scheinwerferecke bis über die hintere Tür durch die Flanke zieht. Apropos: Der Griff für die zweite Reihe versteckt sich im Bereich der Seitenscheibe, so dass Nissans Jüngster von weitem wie ein Dreitürer aussieht. Kombiniert mit optionaler Zweifarb-Lackierung wirkt er noch einen Hauch sportlicher. Und das, obwohl der gegenüber dem Ur-Micra um 20 Zentimeter in Länge und Breite gewachsen ist und um zehn in der Höhe.
Der Innenraum gibt sich schlicht und funktional. Dass untenrum Hartplastik dominiert, fällt – zumindest in der gezeigten Topversion – gar nicht so sehr auf, weil sich im oberen Bereich auch Umschäumtes und Bespanntes findet. Sicher eingefasst von gut konturierten Sitzen kann man den Blick über das Zehn-Zoll-Cockpit und das – je nach Ausstattung – ebenfalls bis zu zehn Zoll große Display schweifen lassen. Erfreulich in Zeiten des Touchscreen-Overkills: Für die wichtigsten Funktionen darf man auf klassische Schalter drücken – oder man spricht mit dem Micra. Warum allerdings das Volant kein Lenk-Rad mehr ist, sondern ein doppelt abgeflachter Kranz, erschließt sich dem Designer vermutlich eher als dem Fahrer.
Platz hat es vorne reichlich, in zweiter Reihe indes wird’s an den Knien eng – und auch der Einstieg erfordert zunächst etwas Demut vor der Dachkante. Hinter voller Bestuhlung kommen trotz aller Kürze noch ordentliche 326 Liter unter, mit umgeklappten Sitzen packt der Micra sogar 1,1 Kubikmeter weg. Allerdings muss jedwede Fracht erst über eine hohe Ladekante gehievt werden. Pluspunkte beim Crashtest haben halt auch ihre Schattenseiten. Doch weil der Micra seit jeher gerne von Frauen gekauft worden ist, dürfte das vor allem jene Frauen erzürnen, die noch immer den Wocheneinkauf verladen müssen. Da helfen auch die „Easter-Eggs“ nicht viel. Von der Silhouette des japanischen Mount Fuji auf der Mittelablage über den Hahn auf der Frontscheibe als Hinweis auf den französischen Produktionsstandort Douai bis hin zu stilisierten Schriftzeichen für Ni und San auf der Ladeklappe finden sich die versteckten Symbole an vielerlei Stellen.
In Sachen Vortrieb stehen zwei Varianten zur Wahl: 90 kW aus dem Akku mit 40 kWh sorgen nach Angaben von Nissan für offizielle 310 Kilometer Reichweite. Entscheidet man sich für die 52-kWh-Batterie, stehen 110 kW Leistung und ein Aktionsradius von maximal 408 Kilometern zur Verfügung. Günstig wirkt sich da aus, dass der Micra mit dem kleineren Stromspeicher gerade mal 1,4 Tonnen auf die Waage bringt – 1,52 Tonnen sind es mit dem größeren. Per Schaltwippen lässt sich die Rekuperation anpassen, per Knopfdruck der Fahrmodus – obendrein verspricht Nissan One-Pedal-Driving bis zum Stillstand.
So der so ist Saft irgendwann alle. Mit dem 100-kW-Lader (80 kW bei der kleinen Batterie) verspricht Nissan eine Füllung von 15 auf 80 Prozent in rund einer halben Stunde. Beide Akkus verfügen serienmäßig sowohl über eine Wärmepumpe wie auch über eine Batterieheizung und -kühlung. Zudem sind beide Speicher mit der „Vehicle-to-Load“-Technologie (V2L) ausgerüstet. Damit lässt sich die Energie auch zum Betrieb externer Geräte nutzen. Eine zentrale Rolle bei der Routenplanung inklusive Vorkonditionierung der Batterie spielt Google Maps. Für alle Ausstattungsvarianten verfügbar ist die App NissanConnect, über die sich Informationen etwa zum Ladezustand abrufen und Funktionen wie Klimatisierung und Ladeplanung aus der Ferne steuern lassen.
In Sachen Sicherheit ist der Micra auf der Höhe der Zeit. Er hält Tempo, Abstand und Spur, späht in Querverkehr und tote Winkel, wacht über die Aufmerksamkeit des Fahrers und im Notfall bremst er auch. Ein Fahrwerk, das mit seiner Multilenker-Hinterachse im Konzept dem R5 E-Tech entspricht, lässt agiles Handling erwarten. Was all das kosten wird – darüber herrscht bei Nissan noch Stillschweigen. Knüpft der Micra allerdings an seine jahrzehntelange Tradition an, muss der Preis auch im Elektro-Zeitalter für breite Käuferschichten erschwinglich sein.
Quelle: Nissan – Pressemitteilung