Der schwedisch-chinesische Autobauer Polestar setzt sich in Sachen Nachhaltigkeit höhere Ziele, als es die Politik vorgibt. Was das Unternehmen alles noch vor hat, was besonders große Aufgaben sind und warum es das alles tut, berichtete uns Polestars Nachhaltigkeits-Managerin (Head of Sustainability) Fredrika Klarén im exklusiven Interview.
Frau Klarén, Polestar ist es gelungen, im zweiten Jahr in Folge die CO2-Emissionen pro Fahrzeug zu reduzieren. Zur angestrebten Reduzierung um 50 Prozent bis 2030 ist es aber noch ein weiter Weg. Wie realistisch ist das – und wie kann es gelingen?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen pro verkauftem Auto zwischen 2020 und 2030 zu halbieren und bis 2040 in der gesamten Wertschöpfungskette klimaneutral zu werden. Dabei ist zu beachten, dass das Reduktionsziel berücksichtigt, dass wir als Unternehmen wachsen müssen. Dies ist entscheidend, denn nur wenn wir unser Geschäft ausweiten, können wir Verbrenner durch Elektrofahrzeuge ersetzen und die Emissionen im Verkehrssektor verringern.
Das Ziel besteht also darin, das Wachstum von Polestar von den Auswirkungen des Klimawandels zu entkoppeln. Wir haben die relativen Treibhausgasemissionen pro verkauftem Fahrzeug im Vergleich zu 2021 um acht Prozent und seit 2020 um 13 Prozent gesenkt und arbeiten kontinuierlich daran, sie weiter zu senken. Deshalb glauben wir, dass wir das Ziel der Halbierung der relativen Emissionen bis 2030 erreichen können, wenn wir diesen Trend fortsetzen. Es ist jedoch eine immense Herausforderung.
Ein Kritikpunkt an Elektroautos ist mitunter der im Vergleich zu konventionell betriebenen Fahrzeugen große CO2-Rucksack, den elektrische Neuwagen mit auf den Weg bekommen. Wie lange dauert es derzeit bei einem Polestar 2, bis er diesen Produktionsmalus ausgeglichen hat und klimafreundlicher unterwegs ist als ein vergleichbarer Verbrenner?
Elektroautos sind nicht perfekt, aber sie sind bereits heute eine skalierbare Lösungsmöglichkeit, um dem Klimawandel zu begegnen. In unserer Ökobilanz haben wir das Launch Modell unseres Polestar 2 Long Range Dual Motor von 2020 mit einem Volvo XC40 mit Verbrennungsmotor verglichen. Während der Verbrenner die Werkstore mit einem CO2e-Fußabdruck von 14 Tonnen verließ, kam der Polestar damals auf einen CO2e-Fußabdruck von 26 Tonnen, wobei die Differenz vor allem auf den Produktionsprozess der Batterie zurückzuführen ist.
Die Anzahl der Kilometer, die der Polestar 2 zurücklegen musste, um den Break-Even-Point des XC40 mit Verbrennungsmotor zu erreichen, betrug 40.000 Kilometer, wenn er mit Strom aus Windkraft aufgeladen wurde, oder 76.000 Kilometer mit einem EU-Strommix. Heute wird der den Break-Even-Point früher erreicht, da der Fußabdruck des Polestar 2 von dem Zeitpunkt, zu dem er die Werkstore verlässt, bis er zum Verbraucher gelangt, dank unserer Upgrades bezüglich Nachhaltigkeit gesenkt werden konnte. Es ist wichtig festzuhalten, dass das Elektroauto über seine Lebensdauer hinweg einen geringeren Fußabdruck hat als der Verbrenner, unabhängig von der Lademethode.
Darüber hinaus gibt es eine klimaneutrale Nutzungsphase, wenn das Elektroauto umweltfreundlich geladen wird. Ein Elektroauto, das mit erneuerbaren Energien aufgeladen wird, hat über die gesamte Lebensdauer hinweg einen halb so großen CO2-Fußabdruck wie ein vergleichbares Verbrennerfahrzeug. Wir gehen bei diesen Berechnungen sehr transparent vor und stellen die gesamte Methodik der Lebenszyklusanalyse (LCA) auf unserer Website frei zur Verfügung.
Die Produktion eines Fahrzeugs mit einer Vielzahl an Lieferketten ist äußerst komplex. Wie aufwändig ist es, da umfassend das Thema Nachhaltigkeit objektiv im Blick zu behalten? Und wo liegen die Schwierigkeiten darin?
Wir sind uns bewusst, dass unsere Branche eine enorme Verantwortung für den Übergang in Richtung einer emissionsarmen und ressourcenschonenden Wirtschaft trägt. Obwohl wir bereits über Lösungen und technische Möglichkeiten verfügen, um zum Beispiel die Transparenz oder den Klimaschutz in unseren Lieferketten zu verbessern, sind wir derzeit noch weit davon entfernt, dies zu erreichen. Um dies zu ändern, brauchen wir einen gemeinsamen Aktionsplan, die Verpflichtung zu kollektivem Handeln und eine noch nie beispiellose Partnerschaft auf allen Ebenen.
Deshalb haben wir gemeinsam mit dem US-amerikanischen Elektroautohersteller Rivian und der Unternehmensberatung Kearney den Pathway Report für die Automobilhersteller entwickelt, um sicherzustellen, dass wir uns als Branche der Klimakrise stellen und gemeinsam die Maßnahmen ergreifen, die die größte Wirkung haben. Die Beschleunigung des Umstiegs auf Elektrofahrzeuge ist ein guter Ausgangspunkt, aber wir müssen auch die Fahrzeugherstellung dekarbonisieren und grüne Energie sowohl in der Produktion als auch in der Nutzungsphase unserer Autos einsetzen. Dies kann nur mit vereinten Kräften erreicht werden, insbesondere wenn es darum geht, die Zulieferer zum Handeln zu bewegen.
Wo ist es vergleichsweise einfach, im Produktionsprozess Emissionen zu sparen – und wo ist es besonders schwierig?
Ein erster wichtiger Schritt, um Emissionen in den Produktionsprozessen einzusparen, ist zu wissen, woher sie stammen und die Bereiche zu identifizieren, in denen die höchsten Belastungen entstehen. Aus diesem Grund ist die Ökobilanz ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit im Bereich Klima und liefert uns wichtige Informationen darüber, wo wir Maßnahmen ergreifen müssen.
Beim Polestar 2 beispielsweise führte die Umstellung auf eine mit Wasserkraft betriebene Schmelze zu einer Reduzierung von 1,2 Tonnen pro Fahrzeug. Schon der Wechsel des Lieferanten von Aluminium für die Räder und Batterieträger kann zu Einsparungen führen, wie wir beim Polestar 2 gezeigt haben. Und natürlich werden auch die Emissionen reduziert, wenn die Fabriken mit Ökostrom betrieben werden. In unserer Fabrik in Taizhou sind 100 Prozent des im Werk verbrauchten Stroms Ökostrom, der durch Solarpaneele vor Ort aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Durch diese Umstellung konnten wir unseren CO2-Fußabdruck um 0,5 Tonnen CO2e pro Fahrzeug verringern. Besonders schwierig ist es immer dann, wenn Technologien noch nicht zur Verfügung stehen, um die für den Automobilbau benötigten Komponenten in der geforderten Qualität herzustellen. Deshalb ist es so wichtig, auf Zusammenarbeit zu setzen, und unser Polestar 0 Projekt widmet sich der Erforschung und Entdeckung noch nicht vorhandener Lösungen zur Vermeidung von CO2e.
Polestar produziert in China – ein Land, das aus europäischer Sicht nicht gerade den Ruf hat, besonders umweltfreundlich zu agieren. Wie wird Ihrer Erfahrung nach dort mit dem Thema Nachhaltigkeit umgegangen?
China ist, wie viele andere Länder auch, ein komplexes Land. Es ist stark von Kohle abhängig und steht vor Herausforderungen in Bezug auf Transparenz und Menschenrechtsfragen, aber wir sehen auch eine parallele Entwicklung hin zu erneuerbaren Energien, ethischen Geschäftspraktiken und Investitionen in Elektrofahrzeuge und Ladenetze. Und wir sehen eine ganz neue Generation, die zu einer integrativeren und transparenteren Gesellschaft beitragen will.
Wir können durch die Produktion vor Ort einen positiven Einfluss haben. Sowohl unser Werk in Chengdu als auch unsere Fabrik in Taizhou werden zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom betrieben. Wenn wir als wirklich globales Unternehmen ein echter Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein wollen, müssen wir unsere Standards rund um den Globus vermitteln und umsetzen.
Polestar möchte sogar ein Serienfahrzeug herstellen, das komplett klimaneutral ist. Wie soll das funktionieren – und kann das der Kunde dann überhaupt noch bezahlen?
Unser Ziel, das wir im Rahmen des Polestar 0 Projekts formuliert haben, ist es, bis zum Jahr 2030 ein wirklich klimaneutrales Auto zu entwickeln. Wir sind uns bewusst, dass wir uns ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt haben. Wir haben es getan, um uns selbst und die Branche herauszufordern und ein Gefühl der Dringlichkeit zu schaffen. Wir wollen Innovation und exponentielles Denken anregen und sind überzeugt, dass dies zu großen Sprüngen in die richtige Richtung führen wird.
Mehr als 20 führende Unternehmen aus verschiedenen Branchen haben sich inzwischen dem Polestar 0 Projekt angeschlossen, um gemeinsam die Quellen von CO2e-Emissionen zu ermitteln und nach Lösungen zu suchen, um diese zu beseitigen. Unser Ziel ist es, die Art und Weise, wie Autos hergestellt werden, zu überdenken, anstatt einfach so weiterzumachen wie bisher und dann die Emissionen zu kompensieren. Im vergangenen Jahr haben sich beispielsweise Circle Economy und STENA Recycling mit Polestar zusammengetan, um die Auswirkungen des Unternehmens zu messen und eine Grundlage für die Kreislaufwirtschaft zu schaffen, von der aus an der Verbesserung des Rohstoffverbrauchs, der Artenvielfalt und der Recyclingfähigkeit gearbeitet werden kann.
Wie immer, wenn man etwas völlig Neues erfindet, muss man viel investieren – Zeit, Mühe und Budget. Aber ich bin überzeugt, dass Innovation und exponentielles Denken auch dazu führen werden, dass Fahrzeuge zu Preisen produziert werden, die für die Kunden erschwinglich sind. Nicht in die Zukunft zu investieren, würde uns viel mehr kosten.
Nun haben wir viel über Nachhaltigkeit aus Umweltsicht erfahren. Doch wie ist es bei Polestar um die soziale Nachhaltigkeit bestellt? Und gibt es auch hier bereits Ideen für weitere Verbesserungen?
Wir wissen, dass wir in einer Branche und in Lieferketten arbeiten, die große soziale Risiken und Herausforderungen mit sich bringen, von der Ungleichbehandlung der Geschlechter in Automobilunternehmen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten von Mineralien. Wir sehen Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung als Schlüsselfaktoren, um all dies zu verbessern. Wir wollen, dass die Perspektive aller, die unser Geschäft beeinflussen oder von ihm beeinflusst werden, insbesondere derjenigen, am Rande stehen oder am stärksten gefährdet sind, in alles, was wir tun, einbezogen wird.
Wir arbeiten hart daran, eine sogenannte Speak-up-Kultur zu schaffen, also eine Kultur, in der Mitarbeitende auch sensible Themen offen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen kommunizieren können, und Vorurteile in unserer eigenen Unternehmen zu bekämpfen. Wir setzen uns Ziele, zum Beispiel in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter bei der Einstellung und die Art und Weise, wie wir die LGBTQ+-Community unterstützen. Wir freuen uns, dass wir im Vergleich zu anderen Automobilunternehmen einen hohen Anteil an Frauen in der Belegschaft und in Führungspositionen haben mit über 30 Prozent.
In Deutschland stellen Frauen sogar den größeren Anteil im Management! Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben und dass Vorurteile und Diskriminierung von Frauen insbesondere in unserer Branche immer noch so weit verbreitet sind. Außerdem arbeiten wir daran, die Undurchsichtigkeit der Lieferketten durch innovative Lösungen für Rückverfolgbarkeit und Transparenz aufzubrechen, etwa durch die Nutzung der Blockchain zur Rückverfolgung von Kobalt, Glimmer, Nickel und Lithium. Dies sind nur einige Beispiele. Wir haben aber noch viel zu tun und fühlen uns sehr ermutigt durch die Bewegung, die wir in unseren eigenen Unternehmen und bei unseren Lieferanten sehen.