Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs nimmt zu, und mit ihr wächst der Bedarf an Lademöglichkeiten für Elektroautos. Besonders in dicht bebauten Gebieten, mit Mehrparteienhäusern und kommerziellen Einrichtungen, stehen Bewohner, Besitzer und Betreiber vor Herausforderungen, wenn es um den Ausbau der Ladeinfrastruktur geht. Dies gehe aus einer aktuellen Studie der Fraunhofer-Institute Fraunhofer ISE und Fraunhofer ISI im Auftrag von Transport & Environment Deutschland hervor.
Investitionen in Ladeinfrastruktur werden demnach oft zögerlich getätigt, da nicht immer diejenigen, die investieren, direkt von den neuen Ladestationen profitieren. Zudem erschwerten technische Limitationen, wie etwa veraltete elektrische Systeme, die Installation zusätzlicher Ladepunkte.
Die aktuelle Untersuchung hat sich unter dem Arbeitstitel “Potenziale von Stellplätzen an Wohn- und Nichtwohngebäuden zur Bereitstellung privater Ladeinfrastruktur” (verlinkt als PDF) mit der Thematik auseinandergesetzt und versucht, den zukünftigen Bedarf an Ladeinfrastruktur in Deutschland bis zum Jahr 2030 zu prognostizieren. Dabei lag der Fokus auf bestehenden Mehrparteien- und Nichtwohngebäuden. Die Studie teilt sich in vier Bereiche: die Analyse regulatorischer Anforderungen, die Bestimmung des Bedarfs an Ladepunkten, die Untersuchung der Auswirkungen auf das Stromnetz und die Vorhersage der Entwicklung von Elektroautos sowie der Verteilung von Ladestationen.
Um den Markthochlauf zu beschleunigen, besteht demnach gerade bei den gut 3,5 Millionen Mehrfamilienhäusern – darin befinden sich etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland – sowie den etwa 2 Millionen relevanten Nichtwohngebäuden wie Bürogebäuden, Supermärkten oder Parkhäusern Handlungsbedarf. Nur wenn diese über entsprechende Ladeinfrastruktur verfügen und die dort vorhandenen Stromnetze möglichen Belastungen aufgrund hoher Ladeleistungen standhalten, kann eine umfängliche E-Mobilitätswende gelingen.
Welche Ladebedarfe bestehen in Mehrfamilien- und Nichtwohngebäuden?
Die durchgeführten Simulationen zeigen, dass es bis 2030 theoretisch ausreichen würde, für 20 Prozent der Elektroautos in Mehrfamilienhäusern Ladepunkte vorzusehen – sofern Stellplätze mit Ladeinfrastruktur zur Verfügung stehen, diese geteilt werden und nach vollendeter Ladung direkt vom nächsten Fahrzeug genutzt werden können bzw. Gebühren für blockierte Stellplätze anfallen. Die Autor:innen der Studie schätzen dies jedoch als unrealistisch und nicht wünschenswert ein und betrachten diese 20 Prozent als untere Grenze des Bedarfs.
Für 2030 gehen sie von gut 1,6 Millionen privaten E-Autos und E-Dienstwagen in Mehrfamilienhäusern mit privaten Stellplätzen aus. Eine Verpflichtung zur Errichtung von Ladeinfrastruktur besteht im Rahmen des Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetzes (GEIG) jedoch lediglich bei größeren Renovierungen sowie bei Neubauten. Daher geht die Studie von weniger als einer Million Ladepunkten bis 2030 in Mehrfamilienhäusern aus. Es werde also eine relevante Lücke zwischen Infrastrukturausbau und -bedarf entstehen, wenn der Ausbau nur nach den gesetzlichen Mindestvorgaben erfolgt. Aufgrund der geringen Sanierungsrate in Deutschland reichen auch ambitioniertere Vorgaben in einer möglichen GEIG-Novelle nicht aus, diese Lücke zu schließen.
Für Nichtwohngebäude fällt der Ladeinfrastrukturbedarf bezogen auf die parkenden Elektroautos geringer aus als in Mehrfamilienhäusern. Dies liegt daran, dass zahlreiche Privat- wie Dienstfahrzeuge künftig vorrangig zuhause geladen werden. Zumindest zum Teil ist anzunehmen, dass Ladepunkte nach erfolgtem Ladevorgang wieder freigegeben werden. Dann dürften Ladepunkte für 10 Prozent der die Nichtwohngebäude ansteuernden Fahrzeuge ausreichen.
Die Berechnungen im Projekt zeigen, dass bei einem Fahrzeugbestand von 15 Millionen Elektroautos im Jahr 2030 und einem Ladevorgang pro Fahrzeug und Woche etwa 3 Millionen Fahrzeuge täglich in Nichtwohngebäuden geladen würden. Diesen Gebäuden komme also eine große Bedeutung zu, weil sie insbesondere für die Bewohnerinnen und Bewohner von Mehrfamilienhäusern ohne eigenen Stellplatz oder Ladeinfrastruktur planbare Lademöglichkeiten bieten und gleichzeitig tagsüber solares Laden ermöglichen. Hier könnte eine ambitionierte Ausgestaltung der gesetzlichen Mindestmengen an Ladeinfrastruktur die Lücke bei Mehrfamilienhäusern schließen.
Bedarfslücke sollte alsbald geschlossen werden
Dr. Annegret Stephan, Studienautorin vom Fraunhofer ISI, unterstreicht mit Blick auf das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) und der anstehenden Novellierung der Europäischen Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden: “Es bleibt festzuhalten, dass zwischen den aktuell geltenden gesetzlichen Anforderungen bzw. den zukünftig geltenden Mindestanforderungen auf Basis der Novellierung der EU-Richtlinie und dem Bedarf an Ladeinfrastruktur in Mehrfamilienhäusern eine Lücke besteht. Eine ambitionierte Ausgestaltung des zukünftigen GEIG könnte diese Lücke verringern und somit die Nutzung und das Laden von Elektroautos für die Bewohner:innen deutlich erleichtern.”
Aktuell verpflichtet das GEIG lediglich bei größeren Renovierungen und Neubauten zur Errichtung einer Ladeinfrastruktur. Das stellt Menschen, die in Mehrfamilienhäusern im Bestand leben, vor Herausforderungen. “Wenn wir im Bestand nur auf Vorgaben bei Renovierungen setzen, dann wird private Ladeinfrastruktur zum Jahrhundertprojekt”, sagt Friederike Piper, Referentin für E-Mobilität und Studienleiterin von T&E. Die Sanierungsrate in Deutschland liege gerade mal bei einem Prozent. “Die Hälfte aller deutschen Wohnungen befinden sich in Mehrfamilienhäusern. Dies muss mitgedacht werden, damit die Mobilitätswende gelingt, denn bei E-Mobilität für die breite Bevölkerung geht es nicht nur um günstige E-Autos, sondern auch um günstiges Laden.”
Welche Auswirkungen haben hohe Ladeleistungen auf die Stromnetze?
Für Niederspannungsnetze geht die Studie zukünftig von einer deutlichen Mehrbelastung aus, wie Studienautor Dr. Matthias Kühnbach vom Fraunhofer ISE betont: “Diese kann dort, wo es schon heute starke Auslastungen gibt, einen Netzausbau erforderlich machen. Der Einsatz eines netzorientierten Lastmanagements könnte dabei Lastspitzen verringern und zeitlich verkürzen. Da die Elektrifizierung des Fahrzeugbestandes im Jahr 2030 noch immer steil anwachsen wird, ist für den Zeitraum nach 2030 mit weiteren Herausforderungen im Verteilnetz zu rechnen.” Dabei erscheine auch die Nutzung von Energiemanagementsystemen für private Ladevorgänge äußerst sinnvoll, damit solche E-Fahrzeuge bevorzugt behandelt werden können, die lediglich eine kurze Standzeit oder einen großen kurzfristigen Energiebedarf haben.
Quelle: Transport & Environment Deutschland – Per Mail / Fraunhofer ISI – Pressemitteilung vom 15.02.2024