Michael Jost spricht ruhig, aber bestimmt. Der frühere Chefstratege des Volkswagen-Konzerns, der heute mit seinem Unternehmen Ed-Tec an elektrischen Antriebssystemen im maritimen Bereich arbeitet, betrachtet die aktuelle Entwicklung des Automobilmarktes mit analytischer Distanz. Sein zentrales Argument bleibt unverändert: Die Transformation der Gesellschaft und Industrie ist unausweichlich, aber sie verläuft zu langsam und zu unkoordiniert.
„Das Morgen ist heute – eigentlich hat es schon gestern begonnen“, so Jost gegenüber Elektroauto-News Herausgeber Sebastian Henßler beim gemeinsamen Gespräch in München. Damit bezieht er sich nicht nur auf die technologische Entwicklung. Die Energiewende, so seine Überzeugung, sei keine abstrakte Zukunftsfrage, sondern längst Realität. „Wir müssen aus dem fossilen Energiemarkt raus. Die einzige nachhaltige Energie ist erneuerbar.“ Dass die Gesellschaft dies noch immer als politische Entscheidung betrachte, hält er für einen Denkfehler. „Wir wissen längst, dass der Temperaturanstieg real ist. Es geht nicht mehr um Glauben, sondern um Akzeptanz und Handeln.“
„Wir haben zu spät verstanden, was auf dem Spiel steht“
Sein Blick auf die vergangenen Jahre fällt sachlich aus. Die Umstellung auf Elektromobilität sei beschlossen, aber zu spät und zu zögerlich in Europa umgesetzt worden. „Wir (Anm. d. Red.: bezogen auf den VW Konzern) haben im Jahr 2018 entschieden, in diese Richtung zu gehen. Damit zeigt sich, wie lange eine Strategie vorbereitet werden muss. Heute sind es sieben Jahre, die wir gebraucht haben, um überhaupt dahin zu kommen, wo wir stehen.“ Für Jost ist das ein Hinweis darauf, wie groß die zeitliche Verzögerung zwischen Erkenntnis und Umsetzung in der Industrie und Gesellschaft ist.
Er selbst war in dieser Phase für die Konzernstrategie bei Volkswagen verantwortlich. Der Umbau eines globalen Unternehmens mit mehr als einer halben Million Mitarbeitenden sei gelungen, aber nicht ohne Fehler. „Wir haben es geschafft, den Konzern in die Zukunft zu führen. Aber wir haben das Verhalten von Gesellschaft, Politik und Industrie unterschätzt.“
Besonders in einem Punkt sei das Versäumnis offensichtlich gewesen: in der Kommunikation. „Wir hätten viel deutlicher erklären müssen, warum wir das tun. Warum es keinen Sinn ergibt, weiterhin 100 Kilometer mit sechs Litern Diesel zu fahren. Und warum es nicht zukunftsfähig ist, Energie in Kilotonnen Öl-Äquivalent zu messen, statt in Kilowattstunden.“
Der Ex-VW-Chefstratege spricht von einem „Kommunikationsdefizit“, das über Technik hinausgeht. Die Menschen müssten verstehen, warum der Wandel notwendig ist, nicht nur, dass er stattfindet. „Wir haben zu wenig erklärt und dadurch zu wenig Vertrauen geschaffen.“ Für ihn bleibt dieser Aspekt zentral, wenn es um Akzeptanz und Umsetzung geht.
„Europa redet, China handelt – und verliert sich dabei selbst“
Dass Elektromobilität kurzfristig teurer ist, hält Jost für logisch. „Eine Technologie, die über fünf Jahrzehnte perfektioniert wurde (Anm. d. Red.: bezogen auf den Verbrenner), wird kurzfristig immer günstiger sein als eine neue.“ Das gelte besonders in einem gesättigten Markt, in dem kaum zusätzliche Nachfrage entstehe. „Wenn ein Hersteller beide Technologien gleichzeitig bedienen will, muss er doppelt investieren. In dieser Phase kann es kein optimales Ergebnis geben. Der Gewinn sinkt zwangsläufig.“
Aus volkswirtschaftlicher Sicht sieht er jedoch Vorteile. „Wir kaufen jedes Jahr Energie im Wert von etwa einer Million Tonnen Öl-Äquivalent. Wenn wir dieses Geld in erneuerbare Energien investieren würden – in Erzeugung, Speicherung, Netze und Menschen – dann wäre das keine Ausgabe, sondern ein Vermögenswert.“ Er schlägt vor, Deutschland solle zehn Jahre lang jährlich 100 Milliarden Euro in den Aufbau einer erneuerbaren Energieinfrastruktur investieren. „Nach zehn Jahren hätten wir das Geld wieder, weil wir unabhängig wären. Wir würden nicht mehr jedes Jahr Milliardenbeträge für Importe ausgeben.“
In diesem Zusammenhang kritisiert er das europäische Zögern. „Wir haben es nicht geschafft, die großen Hersteller auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Jeder stellt seinen eigenen Gewinn in den Vordergrund. Das ist keine Strategie für eine Gesellschaft.“ Für ihn zeigt sich darin ein strukturelles Problem: Europa handele in Fragmenten, während China geschlossen agiere. „Die chinesische Industrie arbeitet als Einheit, mit einer politischen Logik. Europa redet, China handelt.“
Die Folgen seien längst sichtbar. „Die drei größten chinesischen Hersteller haben in Europa Grundstücke gekauft. Sie werden hier produzieren, weil sich der Markt rechnet. Der Profit pro Auto ist in Europa höher als in China oder den USA. Das große Geld wird hier verdient – aber von anderen.“ Er sieht darin keine Bedrohung, sondern eine Warnung. „Wenn wir weiter so zersplittert handeln, verlieren wir unsere industrielle Bedeutung.“
„Zukunft entsteht nicht durch Verwaltung, sondern durch Mut“
Die Rolle der Politik bewertet er kritisch. „Die Politik ist zu einem Dirigenten geworden, der nur noch von einer Schlagzeile zur nächsten arbeitet.“ Strategisches Denken über Legislaturperioden hinaus fehle weitgehend. „Nach einer Wahl braucht es ein Jahr, um sich einzuarbeiten, dann bleiben zwei Jahre, um etwas zu tun. Im letzten Jahr beginnt schon der nächste Wahlkampf. So entsteht keine langfristige Politik.“
Für ihn liegt die Lösung in klaren Strukturen und Zuständigkeiten. „In einem Konzern musste jedes Projekt zeigen, dass es zur Strategie passt. Ohne diese Verbindung gab es kein Geld. Eine solche Logik fehlt in der Politik völlig.“ Der Staat müsse sich stärker auf seine Kernaufgaben besinnen. „Energie, Verteidigung, soziale Sicherheit und Gesundheit sind höchste nationale Aufgaben. Man kann sie nicht allein dem Markt überlassen.“
Er beschreibt Energie als eine Frage nationaler Souveränität. „Wir machen uns abhängig von Ländern, in denen es keine Gleichberechtigung und keine Mitbestimmung gibt. Das ist nicht verantwortbar.“ Freiheit beginne dort, wo Energieverfügbarkeit gesichert sei. „Mobilität ist der Ausdruck dieser Freiheit – die Möglichkeit, das Haus zu verlassen und dorthin zu fahren, wohin man will. Diese Freiheit wird oft als selbstverständlich gesehen, ist es aber nicht.“
Sein Blick auf Europa bleibt ambivalent. „Wir haben alles, was wir brauchen – Maschinenbau, Elektronik, Software, Systemdenken. Aber wir bringen es nicht zusammen.“ Die Ursachen sieht er weniger im Mangel an Kompetenz als im Fehlen gemeinsamer Zielsetzungen. „Wir wissen, was richtig ist, aber wir handeln nicht.“
Am Ende des Gesprächs fasst Jost seine Haltung in wenigen Sätzen zusammen. „Wir müssen wieder lernen, einfach zu denken, klar zu entscheiden und konsequent zu handeln. Zukunft entsteht nicht durch Verwaltung, sondern durch Mut.“ Es ist kein Appell, sondern eine Feststellung – und sie beschreibt präzise, was Jost meint, wenn er sagt: „Das Morgen beginnt heute.“







Kommentare (Wird geladen...)