Neben dem richtigen Antrieb wird bei Autoherstellern derzeit fast ebenso intensiv die Frage nach der richtigen Form diskutiert. Zwischen Wiedererkennbarkeit, technologischem Wandel und globalen Märkten gewinnt Gestaltung eine strategische Bedeutung, die weit über Ästhetik hinausgeht. Für BMW ist dieser Moment mit der sogenannten Neuen Klasse erreicht, einer neuen Modellgeneration über alle Fahrzeugklassen hinweg, die Design, Technik und Markenverständnis neu ordnen soll.
Auslöser für die Debatte war unter anderem der BMW XM. Das große SUV steht exemplarisch für eine Phase bewusst gesetzter Extreme. Größe, Gewicht und eine stark betonte Front sorgten für Aufmerksamkeit, aber auch für deutliche Kritik. Während Beobachter von Provokation sprachen, verteidigte der Konzern das Modell als selbstbewusstes Statement. Innerhalb der Marke markiert der XM damit weniger ein Zielbild als einen Endpunkt einer sehr expressiven Formensprache.
Adrian van Hooydonk und die Neudefinition von Schönheit
Die Verantwortung für den nun folgenden Richtungswechsel liegt maßgeblich bei Adrian van Hooydonk. Seit mehr als 15 Jahren prägt er das Erscheinungsbild der Marke und steht vor einer seiner letzten großen Aufgaben. Schönheit, so seine Überzeugung, sei kein fest definierter Begriff, sondern Ergebnis von Kontext, Zeitgeist und Funktion. Genau dort setzt die Neue Klasse an.
Erstmals öffentlich sichtbar wurde sie auf der IAA in München. Mit dem iX3 zeigte BMW ein Elektro-SUV, das sich deutlich von aktuellen Modellen absetzt. Auffällig sind die ruhigeren Flächen, klareren Linien und eine Frontgestaltung, die sich stärker an historischen Proportionen orientiert. Die Nieren fallen schmaler aus, ihre vertikale Ausrichtung erinnert an frühere Generationen der Marke.
Schon im kommenden Jahr folgt der nächste Schritt. Im Münchner Stammwerk startet die Produktion der neuen 3er-Generation, die als i3 auf den Markt kommt. Gestaltung und Architektur greifen bewusst Elemente aus den 1960er- und 1970er-Jahren auf. Van Hooydonk verweist dabei auf Modelle wie den BMW 2002 oder die ursprüngliche Neue Klasse von 1962, die für Klarheit und funktionale Eleganz standen.
An der Entwicklung beteiligt war auch Julia de Bono, Leiterin von BMW Designworks. Gemeinsam mit dem Projektteam begann sie 2019 mit einer grundlegenden Bestandsaufnahme. Alles wurde überprüft: Proportionen, Lichtführung, Flächengestaltung. Ziel war es, Überflüssiges zu minimieren und dem Innenraum mehr Offenheit zu geben. Größere Fensterflächen und niedrigere Linien sollen genau diesen Eindruck vermitteln.
Das Auto selbst verstehen die Designer als zurückhaltende Basis. Die Individualisierung verlagert sich stärker auf die digitale Ebene. Anzeigen auf der Windschutzscheibe, ein personalisierbares Head-up-Display und variable Software-Inhalte sollen es ermöglichen, unterschiedliche Erwartungen in Europa, China oder Nordamerika zu berücksichtigen, ohne die Grundform zu verändern.
Externe Experten sehen Potenzial im neuen Ansatz
Branchenexperten verfolgen diesen Ansatz aufmerksam. Designberater Martin Groschwald verweist darauf, dass BMW schon oft mit bewussten Brüchen gearbeitet habe. Gerade in einem Markt, in dem sich viele Modelle formal ähneln, könne eine klare, eigenständige Handschrift entscheidend sein. Auch Christian König, der lange für Porsche in Nordamerika tätig war, sieht im iX3 einen wichtigen Impuls für die Marke.
Studien zeigen, dass die Gestaltung eines Autos maßgeblich beeinflusst, ob es überhaupt in die engere Auswahl potenzieller Käufer gelangt. Beratungsgesellschaften wie Simon-Kucher verweisen darauf, dass technische Qualitäten ihre Wirkung oft erst entfalten, wenn das äußere Erscheinungsbild überzeugt. Für BMW kommt hinzu, dass die Kundschaft als vergleichsweise markentreu gilt.
Besondere Aufmerksamkeit gilt dem chinesischen Markt. Dort konkurrieren zahlreiche Hersteller mit ähnlich wirkenden Modellen. BMW plant deshalb spezielle Varianten mit längerem Radstand für China. Nach Einschätzung von Groschwald könnte der iX3 dort profitieren, weil er vertraute Elemente aufgreift, sich aber klar von der Masse absetzt.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei das internationale Netzwerk von BMW Designworks. Das Studio wurde vor 30 Jahren in Santa Monica übernommen und arbeitet bis heute als eigenständige Industriedesign-Agentur mit Standorten in den USA, Deutschland und China. Gründer Chuck Pelly betont, dass externe Aufträge bewusst erhalten blieben, um Impulse von außerhalb der Autoindustrie aufzunehmen.
Für van Hooydonk steht fest, dass die Neue Klasse nicht auf kurzfristige Effekte zielt. Statt Lautstärke gehe es um Dauerhaftigkeit. Die Formensprache sei bewusst ruhiger angelegt, um über Jahre hinweg Bestand zu haben. Raum für expressive Modelle werde es dennoch weiterhin geben. Der Wandel, so macht er deutlich, sei kein Bruch mit der Identität, sondern eine Neujustierung.
Quelle: Handelsblatt – BMWs schwierige Suche nach dem schönen Auto







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