Matthias Müller, früherer Porsche- und VW-Chef, spricht im Interview mit Turi.Moove offen über seine Sorgen um die Zukunft Deutschlands und der Autoindustrie. Der 72-Jährige sieht die Branche in einer tiefen Krise: „Die Deindustrialisierung ist in vollem Gange. Wir erleben derzeit ein Job-Massaker, vor allem bei den Zulieferern.“ Besonders betroffen seien Unternehmen wie Bosch oder ZF. Der ehemalige Konzernlenker führt die Probleme auf politische Fehlentscheidungen, mangelnde Reformbereitschaft und ein zu ideologisch getriebenes Handeln zurück.
Müller kritisiert, dass Deutschland viel Zeit verloren habe: „Wir haben ein Jahrzehnt verloren, weil sich Ideologen und Eurokraten durchgesetzt haben.“ Der einseitige Fokus auf reine Elektromobilität sei ein Fehler gewesen. Stattdessen hätte man, so Müller, „pragmatisch und ausgewogen“ vorgehen und Verbrenner mit Hybrid- oder E-Fuels-Lösungen übergangsweise weiter nutzen sollen – letzteres sieht die EU-Gesetzgebung sogar vor, was allerdings in der aktuellen Debatte oft nicht berücksichtigt wird. Ein vollständiges Verbrennerverbot könne gesellschaftlich gefährlich werden: „Wenn das Verbrennerverbot bleibt, gehen die Menschen auf die Straße – auch in Deutschland.“
Auch hausgemachte Managementfehler seien für den Niedergang verantwortlich. Müller spricht von „disruptivem Handeln“ und zerstörten Strukturen, die nun mühsam wiederaufgebaut werden müssten. Zudem sieht er in der Personalpolitik Defizite: „Da müssen die richtigen Menschen an den richtigen Stellen sitzen. Der Versuch, Führungskräfte von BMW zu holen, ist zum Beispiel bei Audi mehrmals gescheitert – beide Unternehmen haben völlig unterschiedliche Kulturen.“
Aktuelle Lage bei VW lässt deren Ex-Chef unkommentiert
Zur aktuellen Lage des VW-Konzerns äußert sich Müller zurückhaltend, verweist aber auf anstehende Generationswechsel in Aufsichtsräten und Eigentümerstrukturen. Die Nachfolge von Wolfgang Porsche, Hans-Michel Piëch und Hans Dieter Pötsch werde entscheidend für die Zukunft des Konzerns sein. Auch den Einfluss internationaler Anteilseigner wie Katar müsse man im Blick behalten.
In wirtschaftlicher Hinsicht fordert Müller klare politische Rahmenbedingungen und weniger Bürokratie: „Die Politik muss endlich für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen, damit Unternehmen planen können. Energiekosten müssen sinken, Bürokratie abgebaut werden.“ Unternehmen selbst sollten in guten Zeiten effizienter wirtschaften, statt erst in Krisen zu reagieren.
Er beschreibt Deutschlands Situation als „Abwärtstrend“ und warnt, dass es erst „richtig schlecht gehen“ müsse, bevor ein Umdenken einsetzt – ähnlich wie einst in Griechenland. Reformen seien dringend nötig, aber mit Augenmaß: „Evolution ist besser als Revolution. Man muss die Menschen mitnehmen. Aber wir müssen wieder fleißiger werden.“
Mit Blick auf den internationalen Wettbewerb sieht Müller einen deutlichen Nachteil gegenüber China: „Deutsche Entwicklungsingenieure arbeiten im Schnitt sechs bis acht Stunden am Tag, in China wird dreischichtig gearbeitet. Dadurch sind sie dreimal so schnell.“ Auch hohe Lohnkosten und sinkende Produktqualität würden die Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Wenn China künftig auch Vertrieb und Marketing perfektioniere, „wird es ernst – nicht nur für die Hersteller, sondern auch für Zulieferer.“
Bei all seiner Kritik bleibt Müller aber auch optimistisch: „In den letzten 100 Jahren wurde die deutsche Autoindustrie zehnmal totgesagt – und sie hat sich zehnmal erholt. Das wird auch diesmal so sein.“ Sein Rat an heutige CEOs lautet schlicht: „Konzentriert euch auf das Wesentliche: Produkt- und Kundenorientierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.“
Quelle: Turi.One – „Wenn das Verbrennerverbot bleibt, gehen die Menschen auf die Straße – auch in Deutschland“








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