Europa droht im Wettlauf um Batterien weiter abgehängt zu werden

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Michael Neißendorfer
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Die EU droht im Wettlauf um eine Führungsposition bei der Batterieherstellung trotz eingeleiteter Gegenmaßnahmen zurückzufallen. Dies geht aus einem vom Europäischen Rechnungshof veröffentlichten aktuellen Bericht hervor. Zwar habe die EU die Industriepolitik für Batterien in den letzten Jahren wirksam gefördert, der schwierige Zugang zu Rohstoffen führe jedoch nach wie vor oft zu Engpässen. Hinzu kämen steigende Kosten und ein immer härterer weltweiter Wettbewerb. Die Bemühungen der EU, die Batterieproduktion zu steigern, könnten daher möglicherweise nicht ausreichen, um die steigende Nachfrage zu decken. Mit der möglichen Folge, dass die EU ihr Nullemissionsziel für 2035 verfehlt, warnen die Prüfer.

Fast jeder fünfte im Jahr 2021 in der EU zugelassene Neuwagen hatte einen Elektroantrieb, der Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge soll bis 2035 verboten werden. Daher sind Batterien von großer strategischer Bedeutung für die EU. Die europäische Batterieindustrie sei jedoch im globalen Wettbewerb zurückgeblieben – insbesondere hinter China, auf das 76 Prozent der weltweiten Produktionskapazität entfielen. Um die EU im Batteriebereich an der Weltspitze zu positionieren, hat die Europäische Kommission 2018 einen strategischen Aktionsplan veröffentlicht. Dessen wichtigste Punkte zur Unterstützung des Sektors seien auch weitgehend umgesetzt worden, so der EU-Rechnungshof in seiner Mitteilung. Diese bezögen sich auf eine strategische Führungsposition, Gesetze und Finanzierung.

Die EU darf im Batteriebereich nicht in Abhängigkeit geraten, so wie es beim Erdgas der Fall gewesen ist – ihre wirtschaftliche Souveränität steht auf dem Spiel“, warnt Annemie Turtelboom, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs. „Mit der Absicht, den Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge bis 2035 einzustellen, setzt die EU ganz klar auf Batterien. Was den Zugang zu Rohstoffen, die Attraktivität für Investoren und die Kosten betrifft, befindet sie sich jedoch möglicherweise in einer Position der Schwäche.“

Im Zeitraum 2014 bis 2020 habe die Batterieindustrie mindestens 1,7 Milliarden Euro an EU-Finanzhilfen und -Darlehensgarantien erhalten, zusätzlich zu staatlichen Beihilfen von bis zu 6 Milliarden Euro, die zwischen 2019 und 2021 genehmigt wurden – hauptsächlich in Deutschland, Frankreich und Italien. Die Prüfer stellten jedoch fest, dass die Europäische Kommission keinen Gesamtüberblick über die öffentliche Förderung für die Industrie hat. Dies behindere eine gut abgestimmte Koordinierung und Ausrichtung.

Von 44 auf 1200 GWh innerhalb von zehn Jahren

Die Batterieproduktionskapazität in der EU entwickle sich rasant und habe das Potenzial, von 44 GWh im Jahr 2020 auf 1200 GWh im Jahr 2030 zu wachsen. Dies sei aber keineswegs sicher: Die Entwicklung könne durch geopolitische und wirtschaftliche Faktoren gefährdet werden.

Erstens könnten Batteriehersteller aus der EU in andere Regionen abwandern – insbesondere in die USA, wo sich ihnen massive Anreize böten. Im Gegensatz zur EU subventionierten die USA die Gewinnung von Mineralien und die Herstellung von Batterien direkt. Dies gelte auch für den Kauf von Elektroautos, die im Inland mit amerikanischen Komponenten hergestellt würden.

Zweitens sei die EU in hohem Maße von Rohstoffeinfuhren abhängig – hauptsächlich aus einigen wenigen Ländern, mit denen es keine Handelsabkommen gebe. So stammten 87 Prozent seiner Rohlithium-Importe aus Australien, 80 Prozent der Mangan-Importe aus Südafrika und Gabun, 68 Prozent der Einfuhren von Rohkobalt aus der Demokratischen Republik Kongo und 40 Prozent der Einfuhren von natürlichem Rohgraphit aus China.

Zwar verfüge Europa über einige Vorkommen, doch für ihre Erschließung würden mindestens 12 bis 16 Jahre benötigt, sodass die steigende Nachfrage nicht schnell genug gedeckt werden könne. Die derzeitigen Lieferverträge sicherten die Versorgung mit Rohstoffen in der Regel jedoch nur für die Produktion der bevorstehenden zwei oder drei Jahre. Die Prüfer weisen darauf hin, dass die Europäische Kommission im März dieses Jahres ein Gesetz zu kritischen Rohstoffen vorgeschlagen habe, um hier Abhilfe zu schaffen.

Drittens könne die Wettbewerbsfähigkeit der Batterieproduktion in der EU durch steigende Rohstoff- und Energiepreise gefährdet werden. Ende 2020 waren die Kosten für einen Batteriesatz (200 Euro pro kWh) mehr als doppelt so hoch wie geplant. Allein in den letzten beiden Jahren sei der Preis für Nickel um mehr als 70 Prozent und der für Lithium um 870 Prozent gestiegen.

Die Prüfer bemängeln auch das Fehlen von Zielen, die sich auf bestimmte Mengen beziehen und innerhalb bestimmter Fristen erreicht werden müssen. Bis 2030 würden in Europa voraussichtlich rund 30 Millionen emissionsfreie Fahrzeuge fahren, und möglicherweise würden fast alle ab 2035 zugelassenen Neufahrzeuge mit Batterien angetrieben. In der derzeitigen Strategie der EU werde jedoch nicht berücksichtigt, ob die hiesige Batterieindustrie in der Lage sei, die damit verbundene Nachfrage zu decken.

Insgesamt warnen die Prüfer vor zwei Worst-Case-Szenarien für den Fall, dass die Produktionskapazität für Batterien in der EU nicht wie geplant wächst. Im ersten Szenario könne sich die EU gezwungen sehen, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor erst nach 2035 zu verbieten. In diesem Fall werde sie ihre Ziele zur Klimaneutralität nicht erreichen. Im zweiten Szenario müsse die EU zum Nachteil der europäischen Automobilindustrie und deren Beschäftigten stark auf Batterien und Elektrofahrzeuge aus Drittländern setzen, um bis 2035 den Straßenverkehr emissionsfrei zu bekommen.

Quelle: Europäischer Rechnungshof – Pressemitteilung vom 19.06.2023

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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Jakob Sperling:

Züge sind gut. Die ganze Familie hatte jahrzehntelang das Generalabonnement der SBB. Ich hatte unser Haus absichtlich 4 min zu Fuss vom Bahnhof gekauft (schon vor 32 Jahren mit Erdsonden-Wärmepumpe).

Aber auch die individuelle Mobilität ist reizvoll, und da muss man ein wenig out-of-the-box denken.
Wenn ich nur 25 statt 100 kWh Batterie brauche, die ganzen 250’000 km immer 400 kg weniger mit rumschleppe, 2-3 Dutzend mal im Jahr einen Tank Wasserstoff lade und trotzdem immer beliebig weit fahren kann, dann darf der Wasserstoff ziemlich teuer und ziemlich energieintensiv sein, und es ist trotzdem noch sowohl finanziell wie auch ökologisch ein Gewinn.
Die Stellantis-H2-Vans sind ja eigentlich schon so konzipiert, aber noch etwas zu exotisch. In ca. einem Jahr kommt der Honda CR-V FC nach diesem Konzept raus. Weitere werden folgen.

Du bist doch so gut im Rechnen und könntest mal ausrechnen, wie teuer (bzw. energieaufwendig) H2 bei einem 25/25/5-FCEV sein darf, dass es für einen Normalverbraucher trotzdem noch rentabler (ökologischer) ist als ein reines Langstrecken-BEV.

Daniel W.:

Wenn es Langstreckenfahrzeuge braucht, dann sind das in der Zukunft Züge, die Ökosstrom aus den Oberleitungen beziehen und mehrere hundert Passagiere gleichzeitig befördern können.

Auf heise.de gibt es einen Artikel zu Wasserstoff aus Namibia, die Hälfte des Ökostroms wird für die Elektrolyse gebraucht und die andere Häfte des Ökostroms für die Meerwasserentsalzung und Umwandlung von Wasserstoff in Amoniak benötigt – die Träumereien der Hydrogen-Lobby.

In Namibia werden rund 100 kWh Ökostrom für 1 kg Wasserstoff benötigt, dazu kommt der lange Transport von Afrika nach Europa, anschliessend wird viel Energie gebraucht, um den gebundenen Wasserstoff aus dem Amoniak wieder heraus zu lösen. Unterm Strich bleibt trotz höherem Solarertrag und günstigeren Ökostrompreisen in Afrika kein Vorteil gegenüber den BEV.

Wenn Wasserstoff in der Zukunft aus Afrika kommt, dann wird er dringend in der Industrie, bei Schiff- und Luftfahrt gebraucht, aber sicherlich nicht in Fahrzeugen, dafür ist er zu schade und zu teuer.

Peter Bigge von Berlin:

Die USA machen es vor.
Kopplung der Förderungen an die Produktion von Batterien in innereuropäische Länder sollte das Ziel sein.
Des Weiteren muss die Forschung und Entwicklung nach Europa zurückgeholt werden, da ist noch viel Potenzial für viele Chemiemixturen.
Eine Verlängerung der Verbrenner Position ist ein Versagen der Gesellschaft und Politik, zumal der Sprit aus Drttländern stammt und nicht umweltverträglicher wird.
Stattdessen sollten lieber nur die benötigten Rohstoffe für die Batterien eingeführt werden.
Ein weiteren Stellenwert sollte das Recycling einnehmen, wonach Fahrzeuge nur gefördert oder sogar nur gebaut werden dürften, wenn festzulegende Nachhaltigkeitskriterien erfüllt werden.

Jakob Sperling:

Am Schluss des Artikels werden 2 (ungünstige) Ausweich-Szenarien geschildert.
Ein anderes Ausweichs-Szenarium könnte sein, dass man bei Elektrofahrzeugen mit hohen Anforderungen an den Energiespeicher (z.B. > 50 kWh) möglichst auf FCEV setzt. Ein Langstrecken-PKW oder Van mit 25 kWh Batterie, 25 kW Brennstoffzelle und 5 kg H2 kommt deutlich weiter als ein reines BEV mit 100 kWh Batterie und braucht 4 mal weniger Batterien, bzw. Batterierohstoffe.

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