Wer in der Welt der Elektromotoren über maximale Leistung bei minimalem Bauraum spricht, kommt an Yasa kaum vorbei. Das britische Unternehmen gilt als Technologieführer bei Axialflussmotoren – einer Bauart, die sich zunehmend zur bevorzugten Lösung für Hochleistungsanwendungen entwickelt.
Seit 2021 gehört Yasa zu Mercedes-Benz, beliefert unter anderem AMG, Lamborghini und Ferrari – und denkt längst über den Supersportwagen hinaus. Im Gespräch mit Elektroauto-News.net erklärt CEO Jörg Miska, warum das Unternehmen den Startup-Geist behalten will, welche Vorteile die Yasa-Technologie wirklich bietet – und wie der Einstieg in größere Serien gelingen kann.
Sebastian Henßler, Elektroauto-News: Herr Miska, Sie sind seit dem 1. April CEO von Yasa. Zuvor waren Sie viele Jahre in verschiedenen leitenden Positionen bei Mercedes-Benz und AMG tätig. Wie hat Sie Ihr Weg in der Automobilbranche zu Yasa geführt – und was hat Sie daran gereizt, jetzt die Verantwortung für ein auf Axialflussmotoren spezialisiertes Unternehmen zu übernehmen?
Jörg Miska, Yasa: Ich bin 1999 bei Daimler-Chrysler eingestiegen – die internationale Ausrichtung und das technologische Umfeld haben mich damals sofort überzeugt. Inhaltlich habe ich mich schon früh mit alternativen Antrieben beschäftigt, zunächst im Bereich Brennstoffzelle. Später habe ich die Entwicklung von Hybridsystemen begleitet, unter anderem in einer groß angelegten Kooperation mit General Motors, Chrysler und BMW. Das waren spannende Jahre, in denen wir versucht haben, einen Industriestandard zu setzen, der sich von den Toyota-Systemen abhebt.
Besonders prägend war dann meine zehnjährige Zeit bei AMG. Dort habe ich unter anderem den Bereich Aufbau und Karosserie verantwortet – also Themen wie Steifigkeits- und Crashberechnungen, Interieur und Exterieur. Wir haben das erste komplett eigenständige AMG-Auto entwickelt, den SLS, und viele Derivate aufgebaut. Später bin ich zurück in den Konzern gewechselt und war verantwortlich für die Projektleitung der EQ-Reihe – sowohl der Limousine als auch des SUV. In dieser Phase hat sich endgültig gezeigt, dass Elektromobilität marktreif ist. Die Technologie war da, die Kunden waren bereit – und im Unternehmen wurde das Thema strategisch verankert.
Im Rahmen der Entwicklung rein elektrischer AMG-Fahrzeuge bin ich dann erstmals intensiv mit Yasa in Kontakt gekommen. Wir haben eng zusammengearbeitet, um eine neue Generation leistungsstarker E-Antriebe zu realisieren. Nach eineinhalb Jahren gemeinsamer Arbeit bot sich Anfang des Jahres die Gelegenheit, dauerhaft zu Yasa zu wechseln. Seit dem 1. April leite ich nun als CEO das Unternehmen am Standort Oxford. Es ist eine spannende Herausforderung, vor allem weil wir bei Yasa an einer Schlüsseltechnologie für die Elektromobilität der Zukunft arbeiten.
Yasa ist bekannt für Axialflussmotoren – eine Technologie, die vielen zwar als Begriff begegnet ist, aber selten richtig verstanden wird. Was unterscheidet diesen Motortyp von herkömmlichen Lösungen und wie lässt sich das verständlich erklären?
Das lässt sich am besten mit einem Bild erklären: Während bei klassischen Elektromotoren – sogenannten Radialflussmotoren – der magnetische Fluss von innen nach außen verläuft, also radial, verläuft er bei unseren Motoren axial, also entlang der Drehachse. Die gesamte Bauweise ist dadurch grundlegend anders. Unsere Motoren erinnern im Aufbau eher an eine flache Scheibe, fast wie eine abgeschnittene Baumscheibe. Dieser Scheibenaufbau ist nicht nur anders – er bringt echte physikalische Vorteile mit sich.
Zum einen ist der Luftspalt zwischen Rotor und Stator extrem klein, was die Reaktionsgeschwindigkeit verbessert. Zum anderen können wir durch den größeren Durchmesser und die axiale Kraftübertragung ein deutlich höheres Drehmoment erzeugen, bei kompakteren Abmessungen. In Zahlen heißt das: Unsere Axialflussmotoren bieten eine etwa dreifach höhere Drehmomentdichte und eine doppelt so hohe Leistungsdichte im Vergleich zu herkömmlichen Radialmotoren. Und sie sind extrem flach, in der Regel unter zehn Zentimetern. Das erlaubt es, zwei Motoren problemlos nebeneinander auf einer Achse zu platzieren – ein entscheidender Vorteil, gerade in Hochleistungsfahrzeugen mit engen Packaging-Anforderungen oder in Hybridanwendungen.
Klingt nach einer idealen Lösung – warum also sieht man Yasa-Motoren bislang fast ausschließlich in Supersportwagen?
Das liegt in erster Linie an unserer bisherigen Produktionsstruktur. Yasa hat sich in den letzten Jahren auf Performance-Anwendungen spezialisiert – etwa im Zusammenspiel mit AMG, wo wir aktuell drei unserer Motoren pro Fahrzeug einsetzen, aber auch bei Ferrari und Lamborghini, die unsere Technologie für hybride Hochleistungsfahrzeuge nutzen. Solche Partnerschaften boten sich an, weil wir zunächst in Kleinserien gedacht und produziert haben. Das passte gut zur exklusiven Stückzahl dieser Segmente.
Mit dem AMG-Projekt haben wir nun allerdings einen entscheidenden Schritt gemacht: Die Motoren für Mercedes entstehen in einem traditionsreichen Werk in Berlin, erstmals in echter Großserie. Gleichzeitig haben wir unseren zweiten Fertigungsstandort in Yarnton massiv ausgebaut. Dort können wir künftig bis zu 25.000 Motoren jährlich produzieren – unabhängig vom Mercedes-Konzern, für weitere Autohersteller. Das gibt uns erstmals die Möglichkeit, Skaleneffekte zu nutzen, neue Märkte zu erschließen und über die Nische der Supersportwagen hinauszuwachsen. Es ist ein klarer Schritt in Richtung breiterer Anwendungen.
Sehen Sie Yasa perspektivisch auch in Volumenmodellen oder Transportern, also Anwendungen jenseits der klassischen Hochleistungssparte?
Ja, auf jeden Fall. Gerade im Transporter- oder Van-Segment sehen wir ein enormes Potenzial. Denn dort zählt jedes Kilogramm, und unser Technologieansatz bringt hier einen ganz konkreten Vorteil: Unsere Motoren sind extrem leicht und kompakt. Wenn ich beispielsweise mit einem Yasa-Motor 50 oder sogar 100 Kilogramm Gewicht einsparen kann – bei gleicher oder sogar höherer Leistung –, dann lässt sich dieses Einsparpotenzial direkt in zusätzliche Zuladung umrechnen. In kommerziellen Anwendungen wie Lieferfahrzeugen ist das ein echter ökonomischer Hebel.
Zum Vergleich: Dieselbe Gewichtsersparnis über strukturelle Maßnahmen an der Karosserie zu erzielen, wäre ungleich teurer und oft auch technisch schwieriger umzusetzen. Insofern glauben wir fest daran, dass unsere Technologie nicht nur für Supersportwagen, sondern auch für volumenstärkere Fahrzeugsegmente eine sinnvolle Lösung sein kann.
Der entscheidende Faktor wird dabei die weitere Optimierung der Herstellungskosten sein. Je stärker es uns gelingt, unsere Prozesse zu industrialisieren und die Produktionskosten zu senken, desto attraktiver wird unser Motor auch für Anwendungen mit größeren Stückzahlen. Das ist ein klares strategisches Ziel für uns: Hochleistungstechnologie, die sich in neuen Märkten bewährt.
Yasa ist eine hundertprozentige Tochter von Mercedes-Benz. Wie beeinflusst diese Zugehörigkeit Ihre strategische Ausrichtung – insbesondere im Hinblick auf andere potenzielle Kunden?
Seit April dieses Jahres wird Yasa direkt von AMG gesteuert – ein Schritt, der auch organisatorisch sehr viel Sinn ergibt. Denn AMG ist nicht nur Fahrzeughersteller, sondern auch Technologielieferant. Das sieht man zum Beispiel an der Zusammenarbeit mit Marken wie Pagani. Diese Offenheit für Kooperationen ist für uns als Antriebshersteller enorm wichtig, denn sie schafft Freiräume für Projekte mit weiteren Herstellern, auch außerhalb des Mercedes-Konzerns.
Natürlich profitieren wir als Teil eines großen Konzerns in vielerlei Hinsicht, sei es beim Einkauf, bei der Industrialisierung, bei der Qualitätssicherung oder beim Zugriff auf Fertigungs-Know-how. Gerade in Zeiten globaler Lieferkettenengpässe, etwa bei Magneten oder seltenen Erden, ist ein solches Netzwerk Gold wert. Gleichzeitig ist es aber unser klares Ziel, den unternehmerischen Geist und die Agilität zu bewahren, die Yasa auszeichnen. Wir wollen flexibel bleiben, schnell auf neue Anforderungen reagieren und als Tier-1-Lieferant technologisch führend agieren. Das gelingt nur, wenn man Konzernvorteile nutzt, ohne den eigenen Innovationsdrang zu verlieren.
In welchen technologischen Bereichen sehen Sie bei Yasa aktuell das größte Entwicklungspotenzial?
Wir arbeiten derzeit intensiv an zwei strategischen Schwerpunkten. Der erste betrifft die Systemintegration: Wir entwickeln nicht nur einzelne Elektromotoren, sondern komplette Electric Drive Units: integrierte Antriebssysteme, bestehend aus Motor, Radsatz, Ölpumpe, Inverter und effizientem Thermomanagement. Vor allem im Bereich der batterieelektrischen Fahrzeuge sehen wir einen klaren Trend hin zu Komplettlösungen, die den Autoherstellern Entwicklungsaufwand abnehmen und die Time-to-Market deutlich verkürzen. Unsere Erfahrungen aus dem AMG-Projekt – insbesondere im Hinblick auf Hochleistungsbatterien und anspruchsvolle Kühlkonzepte – fließen hier direkt ein.
Der zweite Entwicklungspfad ist noch visionärer: Wir arbeiten im Rahmen eines britischen Förderprojekts an sogenannten In-Wheel-Antrieben, also Radnabenmotoren. Ziel ist es, Antriebseinheiten zu entwickeln, die leistungsfähig genug sind, um auf klassische Reibbremsen weitgehend verzichten zu können – oder diese durch kleinere, platzsparende Systeme wie Trommelbremsen zu ersetzen. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten in der Fahrzeugarchitektur, etwa durch einen flacheren Unterboden oder zusätzliche Nutzräume. Besonders relevant wird das nicht nur im Sportwagenbereich, sondern auch bei Nutzfahrzeugen, bei denen Bodenfreiheit und Ladefläche eine wichtige Rolle spielen.
Erste Demonstrationsfahrzeuge könnten wir noch in dieser Dekade sehen. Für die Serienanwendung rechnen wir jedoch eher mit dem Zeitraum ab 2030, abhängig von Industrialisierung und Hersteller-Interesse.
Und mit Blick auf die wirtschaftliche Seite: Streben Sie an, sich mittel- bis langfristig vom Konzernverbund auch wirtschaftlich unabhängiger zu positionieren?
Definitiv. Unser Ziel ist es, wirtschaftlich eigenständig tragfähig zu werden. Also nicht nur als Teil des Mercedes-Benz-Konzerns zu funktionieren, sondern uns auch am Markt mit eigenen Produkten, Kundenbeziehungen und Umsatzströmen zu behaupten. Dazu gehört, dass wir unser Kundenportfolio gezielt ausbauen wollen, sowohl im Pkw-Bereich als auch bei Nutzfahrzeugen. Und zwar technologieoffen: Wir sehen großes Potenzial sowohl bei hybriden Antriebskonzepten als auch bei vollelektrischen Anwendungen.
Das Besondere an Yasa ist, dass wir bereits über ein skalierbares Produktportfolio verfügen. Wir können mit bestehenden Motorplattformen arbeiten, diese modular anpassen und unseren Kunden damit Lösungen anbieten, die schnell umsetzbar und dennoch maßgeschneidert sind. Das senkt die Einstiegshürden, spart Entwicklungskosten und verkürzt die Zeit bis zur Serienreife. Unser Anspruch ist es, auf zwei starken Beinen zu stehen: technologisch führend und wirtschaftlich solide. Die Voraussetzungen dafür sind da – jetzt geht es darum, sie konsequent zu nutzen.
Herr Miska, vielen Dank für das Gespräch.